Börsenrally Warum die Börsen trotz Coronakrise in den Rally-Modus geschaltet haben

Die Pandemie kann der Börse offensichtlich nichts mehr anhaben.
Frankfurt, New York Es hat ein paar Anläufe gebraucht, aber jetzt hat der weltweit wichtigste Börsenindex – der amerikanische S&P 500 – ein neues Rekordhoch markiert. Er stieg am Dienstag im New Yorker Handel um 0,4 Prozent auf 3395 Punkte und stellte damit das im Februar erreichte bisherige Allzeithoch von 3394 Punkten in den Schatten.
Auch der technologielastige Nasdaq 100 erreichte eine neue Bestmarke und zog zeitweise auf 11 421 Punkte an. Am Ende des Handelstages stand der Nasdaq bei 11 399 Punkten, während der S&P bei 3389 Punkten aus dem Handel ging.
Seit dem Dreijahrestief am 23. März hat der S&P 500 mehr als 50 Prozent zugelegt und damit seinen historischen Einbruch von einem Drittel in der Zeit zwischen Mitte Februar und Mitte März mehr als wettgemacht. Dabei befindet sich die US-Wirtschaft inmitten der Rezession, und die steigenden Corona-Fallzahlen machen nicht nur Investoren Sorgen.
Für die Tatsache, dass die Börsen trotzdem in den Rally-Modus geschaltet haben, gibt es laut Experten vor allem drei Gründe:
Erstens fielen die Quartalszahlen vieler Unternehmen besser aus als erwartet. Zweitens wird der Leitindex vor allem von den boomenden Technologiewerten getrieben, und drittens treiben die inzwischen auch in den USA rekordniedrigen Leitzinsen und Anleiherenditen die Investoren in Aktien.
Gute Zahlen von Home Depot und Walmart
Ein Auslöser für den Sprung auf ein neues Allzeithoch waren die guten Zahlen von Home Depot. Die Baumarktkette profitiert von Renovierungen amerikanischer Hauseigentümer während der Corona-Pandemie. Im zweiten Quartal stieg der Umsatz auf bestehender Verkaufsfläche um 23,4 Prozent auf gut 38 Milliarden Dollar, der Nettogewinn kletterte um 24,5 Prozent auf 4,3 Milliarden Dollar. Beides lag über den Schätzungen von Analysten.
Auch der Einzelhandelskonzern Walmart hat die Erwartungen der Analysten weit übertroffen. Sein Onlinegeschäft konnte Walmart wegen der Corona-Pandemie sogar verdoppeln. Insgesamt stieg der Umsatz um 5,6 Prozent. Trotz der höheren Kosten wegen des Virus kletterte auch der Gewinn deutlich. Als Grund nannte das Unternehmen vor allem das großzügige Stimulus-Programm der US-Regierung.
Insgesamt haben nach Berechnungen des US-Datendienstes Refinitiv mehr als 80 Prozent der US-Unternehmen im zweiten Quartal mehr verdient, als Analysten im Vorfeld erwartet hatten. Das zählte für Investoren offensichtlich mehr als die Tatsache, dass die Gewinne der Unternehmen im zweiten Quartal rund ein Drittel niedriger ausfielen als zwischen April und Juni im vergangenen Jahr.
Viele Anleger setzen zudem darauf, dass die Gewinne der Unternehmen im kommenden Jahr besser ausfallen werden als 2020. Auch das treibt die Kurse, ebenso wie die zuletzt wieder besseren wirtschaftlichen Frühindikatoren. Sie alle deuten zumindest daraufhin, dass die US-Wirtschaft ihren Tiefpunkt hinter sich hat.
Sonderkonjunktur bei Tech-Werten
Von einer Sonderkonjunktur profitieren in diesen Tagen zudem die Technologieunternehmen: Die US-Technologiebörse Nasdaq eilt entsprechend seit Wochen von einem Rekordhoch zum nächsten. Microsoft-Chef Satya Nadella brachte das zuletzt so auf den Punkt: Die Corona-Pandemie habe alle Lebens- und Arbeitsbereiche beeinflusst und dazu geführt, dass wir eine digitale Transformation von eigentlich zwei Jahren in nur zwei Monaten erlebt haben.
Die meisten Technologiekonzerne übertrafen deshalb mit ihren Quartalszahlen die Ergebnisse des Vorjahreszeitraums deutlich. Das ist wichtig für den Markt, denn „Big Tech“ zählt zu den absoluten Schwergewichten im S&P 500 und treibt den Index massiv nach oben. Das liegt daran, dass sich die Entwicklung des S&P 500 wie auch die des Dax und vieler europäischer Indizes nach der Marktkapitalisierung der Unternehmen richtet.
Entsprechend haben allein die Konzerne Apple, Microsoft, Amazon, Facebook und die Google-Mutter Alphabet einen Anteil von 28 Prozent am S&P-Anstieg seit Mitte März. Ohne diese Aktien wäre der S&P 500 also noch weit von einem neuen Allzeithoch entfernt.
Strategen sehen darin zwar ein Klumpenrisiko für den US-Aktienmarkt, halten US-Technologieaktien aber dennoch die Treue. René Kerkhoff, Fondsmanager bei DJE Kapital, drückt es so aus: „Die heutigen Technologieunternehmen zeichnen sich durch ihre krisensicheren Geschäftsmodelle aus, was sich besonders jetzt während der Coronakrise bewährt.“
Nicht nur Kerkhoff sieht Technologieunternehmen inzwischen in der Rolle von Versorgern: „Unternehmen, Mitarbeiter und Verbraucher können oder wollen ohne die Produkte und Dienstleistungen der Technologieriesen nicht mehr leben.“
Viele Analysten halten die Technologieaktien zwar inzwischen für hoch bewertet. Aber: Die niedrigen Zinsen lassen solch höhere Bewertungen zu. Die US-Notenbank Fed hat den Leitzins schon im Frühjahr auf das historisch niedrige Niveau von null bis 0,25 Prozent gesenkt und pumpt Billionen Dollar in die Anleihemärkte.
Goldman Sachs hebt Prognose an
Für den S&P 500 sehen Analysten jedenfalls noch Potenzial: Erst am Wochenende kam die Investmentbank Goldman Sachs mit einer neuen Schätzung heraus. Danach werde der S&P-500-Index bis Jahresende weitere sieben Prozent zulegen. Der leitende US-Aktienstratege David Kostin hob seinen Zielwert von 3000 auf 3600 Punkte an.
Für die kommenden Monate rechnet Kostin damit, dass die Unternehmensergebnisse besser ausfallen werden als erwartet. Außerdem glaubt er, dass Investoren höhere Bewertungen für Aktien akzeptieren. Vor der Pandemie hätte der S&P beim 17-Fachen der für 2021 erwarteten Gewinne gelegen. Jetzt sei das 20-Fache akzeptabel, zum Jahresende das 21-Fache.
Die Wahlen im November stellten zwar laut Goldman ein gewisses Risiko dar. Die Wall Street rechne mit einem Gewinn der Demokraten, was höhere Unternehmensteuern mit sich bringen könnte. Diese aber würden, so die Annahme, durch eine neue Handelspolitik abgefedert.
Mit Abstand der größte Anschub werde allerdings von einem Impfstoff kommen. Mit einem ersten Impfstoff rechnet Goldman bis Ende des Jahres. Bis Mitte 2021 werde das Mittel dann einer breiten Bevölkerung zur Verfügung stehen.
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