Anleger verklagen Porsche SE Winterkorns heikle Doppelrolle im Abgasskandal

Das Kapitalanlegermusterverfahren gegen die Porsche SE beginnt außerhalb des Gerichts
Frankfurt, Stuttgart Die Filderhalle in der Flughafengemeinde Leinfelden-Echterdingen wird ansonsten gern von der IG-Metall für Gewerkschaftstage oder die große Tarifkommission gebucht. Statt um Stundenlöhne oder das Existenzminimum für Auszubildende ging es an diesem Mittwoch aber nicht um Arbeitnehmer, sondern um die Aktionäre der Porsche SE (PSE): Es ist der Prozessauftakt im Kapitalanlegermusterverfahren. Die PSE-Aktionäre meinen, sie seien zu kurz gekommen, weil sie über die Abgasmanipulation bei Volkswagen vom Mehrheitseigentümer Porsche SE nicht rechtzeitig informiert worden seien (Az. 20 Kap 2/17).
Wegen der Pandemie funktionierte der 20.Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgarts die Filderhalle in einen Gerichtssaal um. Richter Stefan Vatter hatte seinen Platz oben auf der Bühne. Die beiden Parteien saßen fein säuberlich durch Plexiglasscheiben getrennt im Parkett und die Beobachter weit oben auf der Empore.
Der Richter war mit Mikro gut zu verstehen, nur konnte er durch den Hall des großen Raumes die Prozessbeteiligten nicht gut hören. Ein Helfer musste erst einen Lautsprecher auf der Bühne für den Richter aufbauen, fast wie bei einem Rockkonzert.
Holprig wie die Technik war auch der Start in die schwierige Materie des Prozesses. Dabei ging es am ersten Tag vor allem um das Prozedere, noch nicht um die Inhalte. Juristisch sind damit die sogenannten Feststellungsziele gemeint. Erst wenn diese für beide Seiten feststehen, beginnt die Klärung des Sachverhalts. Im Kern geht es um zwei Dinge:
- Ob die Porsche SE von den Machenschaften in Wolfsburg überhaupt unmittelbar betroffen war, wie es das Gesetz erfordert.
- Ob, wenn dem so gewesen sein sollte, Insiderwissen in Wolfsburg vorgelegen hat.
VW-Chef Winterkorn war auch Chef der PSE
Beide Sachverhalte hängen miteinander zusammen. Der Richter hat ein typisches Henne-Ei-Dilemma. Wäre Porsche nicht betroffen – wie die Beklagten behaupten –, dann wäre die Anlegerklage hinfällig. Aber, um das zu beurteilen, muss erst einmal geklärt werden, ob es in Wolfsburg Insidervergehen gab.
Das Thema versucht auch ein Parallelverfahren in Braunschweig von VW-Aktionären gegen den Volkswagenkonzern zu klären. Die Brisanz liegt darin, dass VW-Vorstandschef Martin Winterkorn damals gleichzeitig auch CEO der Stuttgarter PSE war. Die Frage ist, ob sein Wissen aufgrund seines Doppelvorstandsmandats auch der Porsche SE zuzurechnen ist.
Zwischen 2005 und 2006 fiel im VW-Konzern die Entscheidung, die strengeren Umweltvorschriften in den USA zu erfüllen, indem in einigen Dieselmotoren eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut wird. Damit sollte der Stickoxidausstoß geringer erscheinen, als er wirklich war. 2014 entdeckten das Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation und die Universität West Virginia erhöhte Emissionswerte bei einigen Volkswagen-Modellen in den USA.
Im Mai 2014 wurde Winterkorn über die Ergebnisse der Studie informiert. Am 3. September 2015 räumte VW USA gegenüber der US-Umweltbehörde EPA die Manipulation der Abgaswerte ein. Am 18. September 2015 macht die EPA die Vorwürfe öffentlich. Erst am 22. September folgt eine Ad-hoc-Meldung für die Börse, dass weltweit rund elf Millionen Dieselfahrzeuge betroffen sind und der Konzern deshalb 6,5 Milliarden Euro Rückstellungen bildet.
Am selben Tag veröffentlichte auch die PSE eine Ad-hoc-Mitteilung, dass aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung an VW ein ergebnisbelastender Effekt zu erwarten sei. Daraufhin brachen die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien von VW und der Porsche SE ein.
Porsche SE weist frühe Kenntnis der Dieselproblematik zurück
Die Ad-hoc kam zu spät, meint der Musterkläger, der britische Pensionsfonds Wolverhampton City Counsil. „Wenn die Mitteilung früher gekommen wäre, was eindeutig geboten gewesen wäre, wären die Aktien entweder gar nicht oder zu einem deutlich niedrigeren Kurs erworben worden“, erklärt Anwalt Klaus Nieding, der den Pensionsfonds vertritt.
Porsche sieht das anders: „Die Porsche SE hatte von der Dieselthematik vor der Veröffentlichung der US-Umweltbehörde vom 18. September 2015 keine Kenntnis“, erklärt der Konzern. „Eine etwaige Kenntnis von Vorstandsmitgliedern der Porsche Automobil Holding SE, die auch Mitglieder des Vorstands der Volkswagen AG waren, kann der Porsche SE nicht zugerechnet werden.“ Das ergebe sich aus einer langjährigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Nach dem ersten Verhandlungstag werden in der Folge Schriftsätze der Parteien zu den neuen Formulierungen des Richters zu den Feststellungszielen ausgetauscht. Am 9. und 10. November 2021 wird es in der Filderhalle weitergehen. Prozessbeobachter rechnen mit einem jahrelangen Verfahren, denn die unterlegende Seite wird weiter vor den Bundesgerichtshof ziehen.
Hochinteressiert verfolgte auch ein Anwalt von Daimler den Prozessauftakt. Dem Autobauer droht ebenfalls eine Anlegermusterklage wegen seines Dieselskandals.
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