Anlegerskandal Prozessauftakt wegen „erfundener Fabriken" in Abu Dhabi: Graumarktkönig Malte Hartwieg droht lange Haftstrafe

Zuletzt trat der Dima 24-Gründer als Extremsportler öffentlich auf.
München Der Münchener Graumarktkönig Malte Hartwieg führte offenbar viele Namen. Als Bernd Schäfer vermittelte er Finanzanlagen am Telefon. Als Georg Altendorf veröffentlichte er Analysen, in denen seine Fonds gut abschnitten. Als Norbert Freund, Ingrid Brand oder Serena Di Vicenco verschickte er Briefe an die Anleger.
Wenn stimmt, was die Behörden ermittelt haben, war Hartwieg ein Meister des Rollenspiels, was seinen Investoren jedoch verborgen blieb. Sie kannten ihn nur in der Paraderolle: als kahlrasierten Finanzjongleur mit dünnem Bärtchen auf der Oberlippe. Tausende Investoren vertrauten dem Münchener und glaubten, dass er ihr Geld großzügig vermehren werde.
Die Hartwig-Show fand 2013 in einer Pleitewelle seiner Fondreihen Selfmade Capital, New Capital Invest und Euro Grundinvest ein abruptes Ende. Hartwieg zog nach Mallorca und später nach Ungarn. Die Anleger blieben ratlos zurück. Seitdem ermittelte die Staatsanwaltschaft München 1.
Am Mittwochmorgen nun führten Justizbeamte Hartwieg in den Saal B 162 des Strafjustizzentrums München, wo ihm der Prozess gemacht wird. Statt eines dunklen Anzugs mit Einstecktuch trug er T-Shirt und Jogginghose. Hartwieg lächelte, winkte seiner Familie zu und ließ sich bereitwillig von Pressefotografen ablichten.
In mehr als 7000 Fällen soll er Anleger seiner Fonds betrogen haben, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Die Behörde beziffert den möglichen Gesamtschaden auf rund 170 Millionen Euro. Bei einer Verurteilung droht ihm eine lange Haftstrafe. Gleich sechs Anklageschriften verlasen die Staatsanwältin und ein Kollege im schnellen Tempo und kamen dabei auch auf die Pseudonyme zu sprechen.
Finanzwunder im Wüstensand suggeriert
Die Verschleierung hatte demnach Methode: Hartwieg habe die vielen Namen genutzt, um unter anderem zwei Selfmade-Capital-Fonds zu vertreiben. Allein im fünften und siebten Fonds dieser Reihe seien 600 Anleger und 14,4 Millionen Euro Kapital betroffen. Die Investoren beteiligten sich mit Kommanditeinlagen an den Gesellschaften.
Der 48-Jährige sitzt seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. In der Vergangenheit beteuerte er öffentlich, dass er sich keiner Schuld bewusst sei.
Die Version der Staatsanwaltschaft geht so: Hartwieg und sein Geschäftspartner Christian Kruppa sollen das Geld der Investoren eingesammelt haben, indem sie diese über die Verwendung des Kapitals, Renditechancen und Risiken täuschten.
Den Anlegern hätten die beiden ein Finanzwunder im Wüstensand suggeriert. Mit dem Kapital werde die erste Biodiesel-Raffinerie des Mittleren Ostens jährliche Renditen von 17,5 Prozent erwirtschaften. Ein Monopol mache das möglich. Weil Abu Dhabi eine Staatsgarantie abgegeben habe, sei auch kein Risiko vorhanden.
Die Staatsanwaltschaft geht von einem „gemeinsamen Tatplan“ der beiden aus. Hartwieg habe sich um Prospekte, Werbung und Vertrieb gekümmert – und dafür Provisionen kassiert. Als Georg Altendorf habe er eine Analyse für die Anleger verfasst, der zufolge es für die volle Laufzeit der Biodieselanlage Liefer- und Abnahmeverträge gebe.
Das eingesammelte Geld habe Hartwieg der Middle East Ventures Future Energy Ltd. im Emirat Ras Al Khaimah zur Verfügung gestellt, die Kruppa gehöre. Laut Staatsanwaltschaft überwies Kruppa Millionen nach Monaco, um sich an einem Joint Venture zu beteiligen. Das Geld sei dann in eine Londoner Aktiengesellschaft investiert worden, die wiederum in der Ukraine Öl und Gas fördere – alles ohne Wissen der Anleger.

In einem Münchener Gewerbegebiet verkaufte das Vertriebsteam Fonds im Milliardenwert.
Aus Sicht der Ermittler war das Renditemärchen aus der Wüste nur heiße Luft. Die Angeschuldigten hätten sich das Investitionsziel nur als Werbevehikel ausgedacht, resümierte ein Staatsanwalt. „Sie wussten, dass ein tragfähiges, fundiertes und wirtschaftlich nachhaltiges Konzept nicht vorlag.“
Hartwieg verfolgte die Ausführungen der Ankläger konzentriert. Einen gelben Textmarker in der Hand las er die Anklagesätze mit. Fast zehn Jahre sind seit dem Kollaps von seinem Reich vergangen. Damals warb sein Vertriebshaus Dima24 damit, mehr als zwei Milliarden Euro von Privatanlegern in einen Fonds und bei Drittanbietern platziert zu haben.
Wegbegleiter aus diesen Tagen beschrieben ihn als gewieften Verkäufer, der selbst einem Eskimo einen Eisschrank angedreht hätte. Anleger köderte Hartwieg oft damit, dass er ihnen den Ausgabeaufschlag – das Agio von fünf Prozent – schenkte.
Der Finanzmagier von damals war beim Prozessauftakt am Mittwoch kaum wiederzuerkennen. Mit seinem langen Rasputinbart und sportlich-hagerem Körper sieht er aus wie ein Asket. Zuletzt war Hartwieg als Tierschützer und Langstrecken-Radfahrer öffentlich aufgetreten.
Hartwiegs Komplize bleibt dem Prozess fern
Der Platz auf der Anklagebank neben ihm war ursprünglich für den mutmaßlichen Komplizen vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft hatte Kruppa für zahlreiche Fälle mitangeklagt. Er blieb dem Prozess in München jedoch fern, sodass sein Verfahren vom Gericht abgetrennt werden musste. Nun gilt er als „gesondert Verfolgter“.
Am Montag erklärte Kruppa am Telefon: Die Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft seien falsch. „Es gab keine Betrugsabsicht, nirgendwo, niemals.“ Die Millionentransfers nach Monaco bezeichnete er als „Zwischenfinanzierung“.
Kruppa lebt mit seiner Familie in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Er könne das Land nicht verlassen, weil die Behörden in den Emiraten gegen ihn wegen Geldwäsche und Unterschlagung ermittelten, sagte er. „Ich kann nicht ins Flugzeug steigen.“
Kaum Hoffnung für Gläubiger
Die Ermittlungsergebnisse passen jedoch nicht zu Kruppas Erklärungen. Der Staatsanwaltschaft zufolge hätten Hartwieg und Kruppa den Anlegern 2011 nichts von einer Zwischenfinanzierung mitgeteilt, sondern einen drastischen Kurswechsel verkündet: Man sei – ohne Verluste – aus dem Biodieselprojekt ausgestiegen, um in eine Fertigbetonfabrik zu investieren.
Dort mischte sich das Kapital offenbar mit Mitteln aus dem Emirates-Fonds, der Nummer 7, den die Angeklagten eigens für die Betonfabrik emittiert hatten. Was dann passierte, kam den Ermittlern bekannt vor. Wieder warb der Vertrieb mit einem angeblichen Regierungsprojekt, mit hoher Sicherheit und Rentabilität, wieder sollte ein Monopol bestehen – diesmal für die Betonproduktion am Flughafen in Abu Dhabi. Und wieder formulierte Georg Altendorf eine wohlwollende Analyse.
Mit der Realität hatte das wohl wenig zu tun. „Die Betonfabrik befand sich nie in Betrieb“, sagte der Staatsanwalt. Auf dem Flughafengelände hätten lediglich ein paar Fahrzeuge und ein provisorischer Bürocontainer gestanden. Die Gelder für die Betonfabrik seien in anderen Firmen von Kruppa versickert. Hartwieg und Kruppa hätten nie echte Renditen erwirtschaftet.
Allerdings flossen nach Ansicht der Ermittler zwei Millionen zurück nach Deutschland – getarnt als Darlehensrückzahlung. Mit dem Geld seien Ausschüttungen an Anleger verschiedener Fonds bedient worden. So konnte die Illusion vom erfolgreichen Geschäft in der Wüste aufrechterhalten werden.
Bald klingelten wieder Telefone der Anleger. Hartwiegs Kundenbetreuer seien laut Staatsanwaltschaft nach erfolgreichen Ausschüttungen angewiesen worden, zu fragen, ob die Kunden vielleicht mehr Geld investieren wollten. Geblendet vom kurzfristigen Geldsegen sagten viele Anleger zu.
Insolvenzverwalter Rolf Pohlmann aus München, der die Scherben von Hartwiegs Firmennetz zusammenkehren soll, machte den Gläubigern zuletzt wenig Hoffnung. Die Spur des Geldes verliere sich oft im Ausland.
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