Bundesgerichtshof Gebührenerhöhung der Banken: Schweigen ist keine Zustimmung

Stillschweigende Zustimmung ist nicht in unbegrenztem Maße zulässig.
Frankfurt Fehler im Kleingedruckten können unangenehme Folgen haben. Das mussten die Banken in der Vergangenheit schon des Öfteren spüren. Nach falschen Widerrufsbelehrungen und unzulässigen Kreditbearbeitungsgebühren erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) nun eine weitere gängige Praxis der deutschen Geldhäuser für unwirksam: die Klauseln, dass Kunden Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) nicht ausdrücklich zustimmen müssen.
Das geht so pauschal nicht, entschied das oberste Gericht am Dienstag (Az.: XI ZR 26/20). Bei Widerruf und Kreditbearbeitungsgebühren hagelte es immense Rückzahlungsforderungen, auch diesmal könnte der Fehler für die Banken teuer werden.
Im vorliegenden Fall hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) die Postbank verklagt. „Unter anderem die Entgeltänderungen der letzten Jahre waren für uns Anlass, die zugrunde liegende AGB-Praxis der stillschweigenden Zustimmung auf den gerichtlichen Prüfstand zu stellen“, erklärt David Bode, Rechtsreferent beim VZBV.
Stillschweigende Zustimmung impliziert: Ist ein Kunde nicht mit der angekündigten Änderung einverstanden, kann er in einem genannten Zeitraum fristlos und kostenfrei kündigen.
Die Klauseln benachteiligen die Kunden in unangemessener Weise, kritisierte der Vorsitzende Richter Jürgen Ellenberger. Diese müssten tätig werden, um eine Änderung zu verhindern. Ohne inhaltliche Einschränkung seien die Folgen auch viel zu weitreichend. So würden die Klauseln für alle Verträge zwischen Bank und Kunde gelten – neben dem Zahlungsverkehr etwa auch für das Wertpapier- oder Kreditgeschäft, erläuterte der Jurist.
„Urteil ist ziemlicher Knaller“
Tobias Tröger, Juraprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität, hält die BGH-Entscheidung für sehr bedeutsam: „Das Urteil ist in seiner Tragweite nicht zu unterschätzen.“ Die Sprengkraft folge daraus, „dass der BGH die Änderungsklauseln vollumfänglich für nichtig erklärt hat“, sagt der Experte für Vertragsrecht.
„Das Urteil ist in der Tat ein ziemlicher Knaller für die gesamte Kreditwirtschaft“, meint auch Patrick Rösler, Chef der FCH-Gruppe, die als Beratungsgesellschaft und Verlag tätig ist. Die Postbank erklärt, dass inhaltlich identische Klauseln in der gesamten Kreditwirtschaft verwendet würden.
Die Stiftung Warentest prescht als Erste vor: „Dem BGH-Urteil zufolge müssen Banken nun sämtliche Gebühren wieder auf das Niveau bei Vertragsabschluss zurückdrehen. Das betrifft neben der Kontoführung auch Überweisungsentgelte, Kartengebühren, Entgelte, die aufgrund eines nicht mehr erreichten Mindestgehaltseingangs oder Depot- und Ordergebühren erhoben worden sind“, erläutert Christoph Herrmann, Rechtsexperte bei Stiftung Warentest. Das gelte für die Postbank, aber auch alle anderen Geldhäuser, die solche Klauseln angewandt haben.
Alle seit dem 1. Januar 2018 zu viel gezahlten Gebühren plus Zinsen könnten zurückgefordert werden. Der Anspruch auf Erstattung von davor zu viel gezahlten Gebühren sei aber verjährt, ist sich das Team um Herrmann sicher.
Musterbrief von Stiftung Warentest
Die Stiftung Warentest bietet bereits einen Musterbrief an, um die zu viel gezahlten Gebühren zurückzufordern. Die Stifter schätzen den Schaden pro Verbraucher auf „satte dreistellige Beträge“. Hilfe können sich Verbraucher bei den Kreditinstituten selbst holen. Gemäß §10 ZKG sind sie verpflichtet, ihren Kunden eine Entgeltaufstellung zu machen. „Wer seine AGB vom Vertragsabschluss nicht mehr hat, kann die ursprünglichen Gebühren anhand alter Kontoauszüge nachvollziehen“, so Herrmanns Tipp.
Beim VZBV gibt man sich zurückhaltender. „Vertragsänderungen, die einer wirksamen Grundlage entbehren, dürften ihrerseits unwirksam sein“, weiß Bode. „Ob und in welchem Umfang Postbankkunden auf Grundlage des BGH-Urteils Gebührenerhöhungen zurückverlangen können, lässt sich erst nach Veröffentlichung der Urteilsbegründung durch den BGH und einer individuellen Prüfung einschätzen“, so der Verbraucherschützer. Auch er schließt Folgen für die Branche nicht aus: „Da andere Kreditinstitute ähnlich verfahren, könnte auch deren Praxis Fragen aufwerfen“, so Bode.
Für Jura-Professor Tröger ist dagegen noch nicht gesagt, „dass die Kunden tatsächlich massiv Gebühren und Entgelte zurückverlangen können“. Er verweist darauf, dass das Zivilrecht eine Reihe von Rechtsinstituten kenne, „die Rückforderungen ausschließen, wenn die Vertragsbeziehung zwischen Bank und Kunde unter den neuen Bedingungen tatsächlich weiter durchgeführt wurde“.
Die Postbank wollte sich zu den Auswirkungen der BGH-Entscheidung erst äußern, wenn die Urteilsbegründung vorliegt. Das dürfte in wenigen Wochen der Fall sein. Auch die Deutsche Kreditwirtschaft, die gemeinsame Interessenvertretung der Bankenverbände, hält eine Bewertung erst zu diesem Zeitpunkt für möglich.
Gebührenerhöhung deutlich über Inflation
Viele Geldhäuser haben in den vergangenen Jahren Gratiskonten abgeschafft und die Preise erhöht. Wie das Statistische Bundesamt im Oktober mitteilte, stiegen die Gebühren innerhalb von vier Jahren, von 2015 bis 2019, um insgesamt 25 Prozent. Damit liegt der Preisanstieg bei Girokonten deutlich über der Inflationsrate.
Die Postbank hat binnen weniger Jahre sogar mehrfach Girokonten verteuert: Dort kostet das beliebte „Giro plus“-Konto seit April 5,90 Euro im Monat. Erst vor anderthalb Jahren waren die monatlichen Gebühren von 3,90 Euro auf 4,90 Euro gestiegen.
„Die stillschweigende Zustimmung ist nicht per se unzulässig. Banken müssen aber die Bereiche, Gründe und Grenzen dafür explizit nennen“, macht Bode vom VZBV klar. Jurist Tröger meint: Das sei kein reiner Formalismus, sondern stelle die volle Transparenz gegenüber dem Kunden her – die bei einem „Verstecken“ der Umstellungen in den AGB nicht bestünde. „Der Kunde wird so in die Lage versetzt, sich vollinformiert zu überlegen, ob er die Bank wechseln will.“
Berater Rösler hält dagegen: „Es sieht derzeit leider so aus, als dass der Aufwand im Massengeschäft für Bank und Kunde extrem zunehmen wird, ohne dass der Kunde daraus am Ende wirklich einen Vorteil hat.“ Denn kündigen konnte er vorher schon.
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