Grauer Kapitalmarkt Anleger des Containerspezialisten P&R erleiden Schiffbruch

Die P-&-R-Gruppe war Marktführer für Direktinvestitionen in Seecontainer.
Berlin Wenn Sabine S. vor die Haustür tritt, fällt ihr Blick auf das Meer. Am Strand vor ihr erstreckt sich die Kieler Bucht, bei jedem Spaziergang sieht sie eine endlose Schlange von Containerschiffen, die gerade den Nord-Ostsee-Kanal passieren. Hier ist so viel los, das Transportgeschäft muss boomen, denkt sich S. dann. Und sie kann nicht verstehen, warum sie mit ihren eigenen Containern Schiffbruch erleiden soll.
Die 74 Jahre alte Dame aus Kiel ist in den Strudel eines Milliardendebakels geraten: Sie ist eine der vielen Anleger, die in Seecontainer der P&R-Gruppe investiert haben – und die jetzt um ihr Geld bangen müssen. Die Gruppe mit Sitz in Grünwald bei München hat am vergangenen Donnerstag Insolvenz angemeldet, wie erst am Montag bekannt wurde.
Es könnte das größte Grab für Anlegergeld werden, das es je im wenig regulierten Graumarkt gegeben hat: P&R verwaltet 1,3 Millionen Container weltweit. 50. 000 Anleger stellten ihr dafür 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Keine der bisherigen Mega-Pleiten, ob nun der Windparkbetreiber Prokon, der Finanzdienstleister Infinus oder die Vermögensverwaltung Göttinger Gruppe, war beim Anlagevolumen auch nur halb so groß wie P&R.
Alle drei allerdings hatten eines gemeinsam: Sie waren nicht nur große Insolvenzen, sondern auch riesige Skandalfälle. Staatsanwaltschaften ermittelten jahrelang nach kriminellen Gründen für die Abstürze. Anleger wie S. bangen nun, ob dies bei P&R ähnlich kommt.
Dabei schien alles zunächst ganz seriös. Die Gruppe war unangefochtener Marktführer für Direktinvestitionen in Seecontainer. Im Mittelpunkt der Geschäfte stand ein unscheinbarer Metallkasten: der „40 Feet High Cube“. Der Standardcontainer ist zwölf Meter lang und drei Meter hoch, er fasst ein Ladegewicht von bis zu 30 Tonnen.
Die Bedeutung der standardisierten Transportbehälter für den Handel ist kaum zu unterschätzen. Sie machten den modernen internationalen Warenaustausch überhaupt erst möglich. Der Container ist ein Globalisierungsheld. P&R-Gründer Heinz Roth erkannte schon 1975: Mit dieser Heldengeschichte lassen sich Anleger ködern.
Das Geschäftsmodell war so einfach, dass es auch branchenfremde Investoren wie Sabine S. leicht verstanden. Die P&R-Gruppe verkaufte den Anlegern neue oder gebrauchte Container und mietete sie zurück. Nach fünf Jahren unterbreitete P&R ein Rückkaufangebot in Höhe von 65 Prozent des ursprünglichen Containerwerts. Unter dem Strich blieb der Anlegerin nach Abzug von Steuern eine Rendite zwischen drei und fünf Prozent.
Frei von Nostalgie
„Ich konnte das mit dem Taschenrechner nachvollziehen“, sagt S. Selbst in Zeiten der Niedrigzinsen habe sie diese Renditen für realistisch gehalten. Insgesamt hat S. bei der P&R-Gruppe zehn Seecontainer für 23.000 Euro gekauft und an das Unternehmen zurückvermietet. Sie tätigte diese Geschäfte nicht, weil sie direkt am Wasser lebt, sie ist frei von maritimer Nostalgie. S. hat schon seit 2005 bei P&R investiert – und nie gab es Probleme. Die Mieten für ihre Container kamen stets pünktlich.
So ging es auch anderen. Bei P&R sammelten sich viele Anleger, die anderen Anbietern des grauen Kapitalmarktes skeptisch gegenüberstanden, weil diese das Zwei- oder Dreifache an Renditen versprachen. P&R dagegen habe „keine Augenwischerei“ betrieben, meint S.
Ein zentraler Erfolgsfaktor war der Vertrieb. P&R verstand es, Finanzmakler eng an sich zu binden. Viele Verträge hatten eine Exklusivitätsklausel, die es den Vermittlern verbietet, „im Containerbereich tätige Dritte“ zu vertreten. Eine saftige Vertragsstrafe verhinderte in der Regel Zuwiderhandlung – alle legten sich ins Zeug. 1999 hatte das Unternehmen 20.000 Anleger. 2005 waren es schon doppelt so viele. Im Rekordjahr 2013 stieg ihre Anzahl auf 62.000. Seither ist sie zurückgegangen.
Das eingesammelte Geld ging durch P&R-Gesellschaften von Grünwald weiter in die Schweiz, genauer nach Zug. Während die deutsche Seite in erster Linie als Sparbüchse und als Vertragspartner für die Anleger diente, übernahm die Schweizer P&R Equipment & Finance Corp. das operative Geschäft. Sie vermietete die Container weiter an internationale Leasingfirmen wie Textainer, Dong Fang oder Seacube.
Die P&R-Gruppe wurde durch die Eigentumsverhältnisse zusammengehalten. Zentraler Gesellschafter ist der Unternehmensgründer und Aufsichtsratschef der P&R AG Heinz Roth.
Der Insolvenzantrag trifft nun Kunden wie Vermittler beiderseits ins Mark. Weil sie nichts anderes als Container von P&R vertrieben, stehen zahlreiche Makler vor dem Aus. Für viele Kunden ist die Lage ähnlich ernst. Als im Februar zum ersten Mal die Miete ausblieb, kramte Anlegerin Sabine S. in Kiel ihre Verträge mit P&R heraus.
Beim Überfliegen der Prospekte musste sie schlucken. Das maximale Risiko des Anlegers sei der „Totalverlust“, stand dort. Er hafte zudem auch mit seinem sonstigen Vermögen „bis hin zur Privatinsolvenz“.
S. wurde erstmals bewusst: Ihr gehören zehn Container, für die sie die volle Verantwortung trägt. Im schlimmsten Fall könnten ihr Reedereien oder Häfen in aller Welt Standortgebühren oder Entsorgungskosten in Rechnung stellen. „Ich bin doch gar nicht in der Lage, die Kisten selbst zu verwalten“, sagt die 74-Jährige.
Sie besitzt Container, weiß aber nicht, welche und wo sie gerade sind. Eine Besitzurkunde oder einfach nur die Containernummer habe P&R ihr nie mitgeteilt, sagt sie. Die Containerschiffe in der Kieler Bucht sieht sie jetzt mit anderen Augen. Wer weiß: Schippert da gerade eine ihrer eigenen Metallboxen an ihr vorbei?
Die Angst vor unerwarteten Kosten treibt viele Kunden von P&R sehr um, berichtet Anlegeranwalt Peter Mattil aus München. Mancher Anrufer könne vor Angst kaum schlafen. Mattil rät zur Gelassenheit. Ob die Prospektpassagen zu den Nachforderungen überhaupt gültig sind, müsse erst geklärt werden. „Kapitalanlagen mit Nachschusspflicht sind seit 2015 verboten“, sagt Mattil.
Die Bafin hingegen sieht die Investoren durchaus in der Pflicht. „Der Umstand, dass der Anleger als Eigentümer für sein Eigentum haften muss, stellt keine Nachschusspflicht dar“, teilte sie mit. Die Finanzaufsicht habe zwar die Prospektinformationen auf Vollständigkeit geprüft, es sei jedoch nicht Aufgabe gewesen, das Unternehmen zu überwachen.
Die Insolvenzverwalter aus der Kanzlei Jaffé warnen die Anleger, nicht zu versuchen, ihre Container abzuholen. Solche Vorstöße könnten Schaden anrichten, sagt Michael Jaffé. Sie hätten auch keinen Sinn, „schon weil mit den Containern langfristige Mieteinnahmen erzielt werden sollen“.
Frühzeitige Warnung
Ein Experte warnte schon vor zwei Jahren vor einer Krise bei P&R. Der Rosenheimer Finanzfachmann Stefan Loipfinger wies in seinem Blog „Investmentcheck.de“ auf die hohe Abhängigkeit vom Neugeschäft hin. Mühsam rechnete der Finanzfachmann aus den Prospekten heraus, dass die an Anleger ausgeschütteten Gelder in den Jahren 2014, 2015 und 2016 erheblich höher waren als die von den Container-Leasing-Gesellschaften eingenommenen Mieten. Die Unterdeckungen von mehr als einer halben Milliarde Euro habe man wohl nur aus neu eingeworbenem Kapital ausgleichen können, glaubt Loipfinger.
Wenn er recht behält, führt das zu einem heiklen Verdacht. Ein Anlagemodell, wo die Ansprüche alter Anleger mit dem Geld neuer Anleger bezahlt werden, führt auf Dauer zum Zusammenbruch. „Ob hier ein Schneeballsystem betrieben wurde und eine Abhängigkeit von neu einzuwerbendem Anlegerkapital bestanden hat, muss noch untersucht werden“, sagt Anwalt Mattil.
Was sich heute schon belegen lässt: Das Neugeschäft ging seit dem Rekordjahr 2013 – als es P&R spektakulär gelang, Container für eine Milliarde Euro zu vermitteln – deutlich zurück. Anleger wurden wohl auch deshalb vorsichtiger, weil sie wegen neuer Prospektpflichten leichter die Risiken erkannten. „Ich kenne eine Menge Leute, die ihre Verträge zuletzt nicht mehr verlängert haben“, sagt Anlegerin S. Auch für sie wäre 2020 Schluss gewesen.
Mitarbeit: Gertrud Hussla
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