Private Verschuldung Verbraucherinsolvenzen werden 2021 sprunghaft ansteigen

Derzeit gelten in Deutschland 6,9 Millionen Menschen über 18 Jahre als verschuldet.
Berlin Mehr als zehn Jahre lang ging der Trend nach unten – in diesem Jahr wird er gebrochen. „Aktuell gehen wir von bis zu 110.000 Privatinsolvenzen und damit von einer Verdoppelung der Zahlen in diesem Jahr aus“, sagt der Geschäftsführer der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel, Frank Schlein.
Im ersten Quartal 2021 zählte Crifbürgel einen Anstieg von mehr als 56 Prozent. Die Tendenz wird vom Statistischen Bundesamt bestätigt. Derzeit gelten in Deutschland 6,9 Millionen Menschen über 18 Jahre als verschuldet.
Für das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen (iff) kommt die Entwicklung nicht überraschend. Sie prognostizierten bereits im vergangenen Jahr, dass Erwerbslosigkeit, wegfallende Aufträge oder Kurzarbeit, in der Regel bedingt durch die seit mehr als einem Jahr andauernde Covid-19-Pandemie, zu einer steigenden Überschuldung privater Haushalte führen wird.
Überschuldet gelten Privatpersonen dann, wenn sie ihre finanziellen Verpflichtungen über einen längeren Zeitraum nicht mehr begleichen können und keine finanzielle Verbesserung absehbar ist. In einem heute vorgestellten Verschuldungsreport schlüsseln die iff-Forscher die Gründe für die Entwicklung auf.
Doch nicht allein wirtschaftliche Gründe haben zu dem kräftigen Anstieg der Privatinsolvenzen im ersten Quartal geführt. Die Große Koalition hatte sich zudem auf eine Verkürzung der Restschuldbefreiung geeinigt. Verbraucher sollen früher als bisher wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. So halbiert sich die Dauer der privaten Insolvenzverfahren auf drei Jahre, sofern die entsprechenden Anträge nach dem 1. Oktober 2020 gestellt wurden.
Jede fünfte überschuldete Person hat keinen Schulabschluss
In seinem Überschuldungsreport hat sich das iff ein genaueres Bild über die Lage der verschuldeten Haushalte gemacht. Grundlage des Reports sind Fälle von Ratsuchenden, die in Schuldnerberatungsstellen bei der Bewältigung ihrer finanziellen Probleme unterstützt werden. Die Stichproben aus 72 Beratungsstellen aus allen Bundesländern gelten als nicht repräsentativ.
Danach sind besonders Personen zwischen 25 Jahren und 44 Jahren von der Überschuldung betroffen. Alleinerziehende haben ein im Vergleich zu Paarhaushalten niedrigeres Einkommen und würden die Folgen von Einkommensschwankungen und Arbeitslosigkeit besonders stark spüren. Jede fünfte überschuldete Person hat keinen Schulabschluss, fast die Hälfte verfügt über einen Hauptschulabschluss.
In 45 Prozent der untersuchten Fälle führten Ereignisse zur Überschuldung, die die Betroffenen kaum beeinflussen konnten. Dazu gehören Arbeitslosigkeit (knapp 23 Prozent), Krankheit (elf Prozent), Trennung oder Scheidung vom Partner (knapp zehn Prozent), Unfall.
Relativ hohe Dispozinsen
Bei jedem Fünften führte „vermeidbares Verhalten“ zur Überschuldung. Dazu zählen Konsumverhalten, fehlende finanzielle Allgemeinbildung, unwirtschaftliche Haushaltsführung, Straffälligkeit und Einkommensarmut. Knapp neun Prozent der Überschuldungsfälle resultieren aus einer gescheiterten Selbstständigkeit.
Aus Sicht des iff war die Frage schon immer herausfordernd, wie Kredite für niedrigere Einkommensschichten zur Bewältigung von finanziellen Engpässen gestaltet werden können, ohne zugleich in die Überschuldung zu führen. Die Forcierung des Onlinegeschäfts und die Schließung von Filialen führe dazu, dass das persönliche Gespräch immer seltener werde.
„Damit gelingt es immer weniger, passgenaue Lösungen für finanzielle Engpässe zu finden – in beiderseitigem Interesse“, urteilt das iff. Auch relativ hohe Dispozinsen hätten einen Anteil an der Überschuldung von Verbrauchern.
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