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Schadensersatzprozess Telekom will 16.000 T-Aktionären Schaden plus Zinsen ersetzen

Das Kapitalanleger-Musterverfahren soll nach fast 20 Jahren beendet werden. Die Telekom unterbreitet den 16.000 Geschädigten ein Vergleichsangebot, für das der Richter nur lobende Worte hat.
23.11.2021 Update: 23.11.2021 - 16:19 Uhr 2 Kommentare

Gericht macht Weg für Telekom-Vergleich im Anlegerstreit frei

Frankfurt In schwarzer Robe und mit schwarzer Coronamaske betrat Richter Bernhard Seyderhelm am Dienstag den fensterlosen Sitzungssaal II des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt. Trotz des düsteren Ambiente hatte der Richter beste Laune. Denn der mehr als 20 Jahre andauernde Streit zwischen tausenden Kleinanlegern und der Deutschen Telekom könnte endlich ein gütliches Ende gefunden haben: Aktionäre hatten für Kursverluste beim sogenannten dritten Börsengang der Telekom Entschädigung verlangt.

In Schadensersatzprozess wechselte so manches Gesicht: Der Kläger ist inzwischen verstorben und wird durch seine Erben vertreten, genau wie einer seiner Verteidiger, der bekannte Anlegeranwalt Andreas Tilp. Auch Seyderhelm hat das Verfahren erst übernommen, da seine Vorgängerin in den Ruhestand gewechselt ist.

Jetzt legten die Telekom-Vertreter und die Klägeranwälte dem Vorsitzenden Richter einen Vergleich vor, für den dieser nur lobende Worte fand: Bis Mitte 2022 soll den rund 16.000 Klägern das Angebot unterbreitet werden, demzufolge sie ihren Schaden ersetzt bekommen und einen Großteil der bis dato angefallenen Forderungszinsen erhalten. Auf den Dax-Konzern könnten dadurch Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe zukommen.

Richter Seyderhelm lobte insbesondere die pragmatische Abwicklung des Vergleichs, die im Einzelfall sogar zu einer Überkompensation einiger Geschädigter führen kann: „Man mag sich nicht vorstellen, dass so ein Vergleich abgelehnt werden könnte.“

Gleichwohl räumte er ein, dass das Angebot freiwillig sei und nicht mit einem Quorum verknüpft sei. Das heißt, der Vergleich komme in jedem Fall zustande, egal wie viele Anleger das Angebot annähmen. Seyderhelm warnte zugleich davor, dass eine Fortsetzung des Musterverfahrens mit erheblichen Kostenrisiken verbunden wäre und noch einmal mindestens fünf Jahre dauern würde.

Anlegerschützer raten Aktionären zur Zustimmung

„Der Senat legt allen Beteiligten nahe, diesen Vergleich abzuschließen“, reüssierte er. Es sei nun der richtige Zeitpunkt, das Musterverfahren zu beenden, denn alle maßgeblichen Rechtsfragen seien geklärt. Die Anwälte des Musterklägers kündigten noch vor Gericht an, dass ihre Mandanten das Vergleichsangebot annehmen wollen.

Auch die Anlegerschutzvereinigung DSW rät den betroffenen Aktionären dazu. Wer nicht akzeptiert, dem müsse klar sein, dass der weitere Rechtsweg lang, steinig und kostspielig werden dürfte. Zudem sei die Chance, am Ende ein deutlich besseres Ergebnis zu erzielen, nicht sonderlich hoch, erklärt der DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler.

Das Handelsblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Telekom-Prozess:

Warum kam es zu dem Prozess?

Der Staatskonzern Deutsche Telekom wurde seit Mitte der Neunzigerjahre in mehreren Schritten privatisiert. Im Juni 2000 wurde dafür beim dritten Börsengang ein Aktienpaket an den Markt gebracht, das aus dem Bestand der staatlichen Förderbank KfW stammte und mit erheblichem Werbeaufwand zum Frühbucherpreis von 63,50 Euro, regulär 66,50 Euro, unters Volk gebracht wurde.

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Kurz darauf folgten einige schlechte Nachrichten: So musste die Telekom wenige Wochen später bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen 16 Milliarden Euro zahlen – unerwartet viel. Es folgte der überteuerte Zukauf des US-Mobilfunkbetreibers VoiceStream und schließlich wurden Ungenauigkeiten bei der Beteiligung der Telekom am US-Unternehmen Sprint bekannt.

Im Zuge all dieser Nachrichten stürzte die T-Aktie ab und hat sie seither nie mehr alte Höhen erreicht. Am Dienstag notierten die Papiere bei 16,68 Euro. Die Anleger fühlten sich getäuscht.

Warum verlangen die Anleger Schadensersatz?

Die Angaben zur Sprint-Beteiligung waren Teil des Wertpapierprospektes zum dritten Börsengang. Im Prospekt wies die Telekom für die konzerninterne Übertragung von Aktien des amerikanischen Wettbewerbers Sprint einen Buchgewinn von 8,2 Milliarden Euro aus. Tatsächlich war das Paket aber nicht verkauft, sondern nur über eine amerikanische Beteiligungsgesellschaft der Telekom umgehängt worden.

Weil Anleger im Prospekt Fehler sahen, überzogen sie die Telekom, die Bundesrepublik Deutschland und die Staatsbank KfW mit Klagen. Sie argumentierten, dass der Ausgabepreis der Aktie zu hoch gewesen sei und verlangen Schadensersatz für ihre erlittenen Börsenverluste.

Wer ist der Kläger?

In kürzester Zeit liefen über 16.000 Schadensersatzklagen beim Landgericht Frankfurt ein. Daher schuf der Gesetzgeber das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – auch „Lex Telekom“ genannt. In diesem KapMuG-Verfahren werden bestimmte Tatsachen- und Rechtsfragen, die für alle Schadensersatzklagen relevant sind, anhand eines Musterklägers einmalig geklärt.

Im Juli 2006 wurde das KapMuG-Verfahren zur Telekom vor dem OLG Frankfurt eröffnet (23 Kap 1/06). Der Kleinanleger Bruno Kiefer wurde als Musterkläger benannt. Er wurde vertreten durch die Kanzlei Tilp, einen der Pioniere auf dem Gebiet der KapMuG-Verfahren. Wie üblich in Musterverfahren tat sich Tilp mit den Anwälten der restlichen Kläger zusammen, um mehr Erkenntnisse zu bekommen.

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Warum dauerte das Verfahren so lange?

Ein vom OLG verfasstes Urteil im KapMuG-Verfahren – der Musterentscheid – wird in der Regel von der unterlegenden Seite noch mal beim Bundesgerichtshof (BGH) angezweifelt. Der BGH verweist das Verfahren dann zurück an das OLG oder bestätigt den Musterentscheid. Erst nach Ende dieses Musterverfahrens kann dann das LG Frankfurt die einzelnen Klagen ausurteilen.

Im Telekom-Verfahren hatte der BGH bereits 2014 im Verkaufsprospekt einen schwerwiegenden Fehler zur Sprint-Beteiligung entdeckt, die Frage des Verschuldens der Telekom aber erneut den Frankfurter Richtern überlassen. Ende 2020 stellte der BGH dann fest, dass die Telekom tatsächlich einen Prospektfehler begangen hat. Wieder wiesen sie das Verfahren zurück ans OLG.

Mit einem Sachverständigengutachten soll die Telekom ausschließen, dass das Bekanntwerden der Informationen über die wahre Sprint-Beteiligung in keiner Weise zu einer negativen Kursreaktion geführt hat.

Warum gibt es kein Urteil, sondern einen Vergleich?

Ein solches Sachverständigengutachten wäre teuer und würde sofort von der Klägerseite angefochten werden. Das Verfahren würde sich also noch einmal in die Länge ziehen. Hinzu kommt, dass der BGH bereits die vom OLG schon 2016 getroffene Entscheidung bestätigte, dass der Schadensersatzanspruch nicht automatisch besteht. Es müsse vielmehr in jedem Einzelfall geklärt werden, ob der Anleger seine Kaufentscheidung wirklich auf Grundlage des Prospekts getroffen hat.

Eine individuelle Überprüfung der Ausgangsfälle wäre für die Telekom, aber auch das Gericht äußerst unangenehm geworden. Darum einigten sich die Verfahrensbeteiligten nun auf den Vergleich.

Worauf haben sich die Parteien geeinigt?

Laut dem beschlossenen Vergleichsvorschlag soll den Anlegern der Kaufpreis erstattet werden. Abgezogen würden zwischenzeitlich gezahlte Dividenden und der fiktive Kurswert von 16,50 Euro.

Klägern, die ihre Aktien mittlerweile veräußert haben, wird die Differenz zwischen den Erwerbskosten und dem Verkaufserlös abzüglich der während der Haltedauer geflossenen Dividenden erstattet.

Auf jede Schadensersatzforderung fallen zudem Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozent über Basiszins an. Von den angefallenen Zinsen zahlt die Telekom immerhin 70 Prozent als „Bonbon“, wie Richter Seyderhelm es nannte.

Auf wie viel Geld können Anleger konkret hoffen?

Ein Beispiel: Am 19. Juni 2000 hat ein Anleger 50 Telekom-Aktien zu 63,50 Euro je Stück erworben und dafür 3175,00 Euro zuzüglich Erwerbsnebenkosten aufgewandt. Er hält diese Aktien bis heute. Da der Anleger die Aktien in der Frühzeichnerphase erworben hat, erhielt er spätestens zum 31. Januar 2002 fünf Bonusaktien (eine pro zehn) und hält seit diesem Zeitpunkt 55 Stück Aktien im Bestand.

Der Anleger erhält ein Vergleichsangebot über 3609,22 Euro und kann die bezogene Dividende in Höhe von insgesamt 667,35 Euro sowie die 55 Aktien (mit einem aktuellen Wert von rund 907,50 Euro) behalten. Das wirtschaftliche Gesamtpaket beträgt daher 5184,08 Euro. Er „gewinnt“ also durch den Vergleich 2.009,08 Euro.

Bekommen alle Telekom-Anleger automatisch den Schadensersatz?

Nein, die Anleger müssen dafür zwei Voraussetzungen erfüllen: Zum einen müssen sie die T-Aktie im Zeitraum zwischen dem 27. Mai und 19. Dezember 2000 gekauft haben Des Weiteren müssen sie bis zum 27. Mai 2003 verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen haben und diese Rechtsansprüche bis heute aufrechterhalten haben. Das kann durch eine Klage gewesen sein oder auch die Meldung bei der Schlichtungsstelle ÖRA in Hamburg.

Weil das LG von den Klagen überflutet wurde und es dadurch zur verzögerten Rückmeldung kam, einigten sich die Prozessbeteiligten darauf, dass die Klage bis zum 27. Oktober 2003 zugestellt worden sein muss, andernfalls müssen Belege präsentiert werden, aus denen hervorgeht, dass die Zustellung verzögert war. Das Angebot soll bis zum 30. Juni über die Rechtsbeistände zugestellt werden.

Mehr: 25 Jahre Telekom-Börsengang – Warum die T-Aktie ausgerechnet jetzt steigen könnte

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2 Kommentare zu "Schadensersatzprozess: Telekom will 16.000 T-Aktionären Schaden plus Zinsen ersetzen"

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  • 20 Jahre…..das ist ja der Wahnsinn! Da sieht man immer wieder wie wenig effektiv unser System funktioniert…..

  • 20 Jahre Prozess viel Chancen haben Aktionäre gegen AG nicht .
    Das ist eigentlich eine Frechheit von Aktionärs-Schutzgemeinschaften Bafin und Gerichten.
    Die Aktionärs-Schutzgemeinschaften sind ihr Geld nicht wert haben noch nie was gewonnen. Das Bafin ist ein Beamtenverein auf den Abstellgleis und die Gerichte sagen wir es mal ganz brav ist total überfordert.
    Sintequenz : Klage nie eine Aktiengesellschaft außer du hast 20 Jahre Zeit und weist auch dann nicht welches Urteil rauskommt.

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