Sachbezug Netflix-Abo oder Center-Gutschein: Was der Chef künftig als steuerfreies Gehaltsextra zahlen darf

Mit steuerfreien Leistungen können Chefs ihren Mitarbeitern einen Zuschuss zum Gehalt geben.
Frankfurt Kleine Summen, große Aufregung. 44 Euro, ab dem kommenden Jahr 50 Euro, dürfen Chefs ihren Mitarbeitern jeden Monat steuer- und sozialversicherungsfrei zukommen lassen – jedoch nicht in Bargeld, sondern als Sachlohn in Form eines Gutscheins.
Bisher wurden dafür gern auch speziell aufladbare Geldkarten genutzt, von Anbietern wie etwa Givve, Spendit oder Edenred. Sechs Millionen dieser Karten stecken in deutschen Portemonnaies. Doch der Einsatz dieser steuerfreien Gehaltsextras wird künftig noch schwieriger als gedacht.
Das von Olaf Scholz (SPD) geführte Bundesfinanzministerium (BMF) hat ein Schreiben veröffentlicht, das die steuerfreie Sachleistung von der zu versteuernden Geldleistung klar abgrenzt. Dafür wird die Anwendbarkeit künftig allerdings erheblich einschränkt – zum Leidwesen der Nutzer. Die CDU, mit der das zugrunde liegende Gesetz gemeinsam verabschiedet wurde, ist über diese Auslegung empört.
Grundsätzlich gilt: Damit die Prepaid-Geldkarten weiterhin als Sachlohn eingestuft werden, muss der Betrag zusätzlich zum regulären Lohn gezahlt werden. Mit den Karten darf man kein Bargeld abheben, und sie dürfen nur noch im Inland einsetzbar sein. Außerdem – und das ist jetzt die Crux – muss die Akzeptanz der Karten oder Gutscheine auf eine Region – Stadt oder Landkreis – beschränkt sein. Das stärke die lokale Wirtschaft, betont das BMF.
Doch Restaurants, das Schuhgeschäft oder der Bioladen um die Ecke könnten auch das Nachsehen haben. Denn alternativ zur lokalen Lösung dürfen die Karten laut BMF nun auch ohne regionale Beschränkung für einzelne Ladenketten, Onlineshops (jedoch nur für das eigene Sortiment), Einkaufszentren oder für ganz bestimmte Branchen gelten.
Tanken, Nagelstudio, Streamingdienst sind dem BMF wichtig
Auserkoren wurde von den Ministerialbeamten dabei eine heterogene Mischung: Personennah- und Fernverkehr, Kraftstoff, Ladestrom, Fitnessleistungen, Streamingdienste, Bücher, Hörbücher, Beautybehandlungen (Friseur, Make-up, Hautpflege) sowie „Waren, die der Erscheinung einer Person dienen“ – Schuhe, Taschen, Schmuck, Kosmetika, Düfte. Kleidung ist explizit nicht genannt.
Obwohl das Gesetz dafür schon am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, gilt bis Ende 2021 noch eine Übergangszeit. Heißt: Prepaidkarten, die die neuen Kriterien noch nicht erfüllen, werden von den Finanzämtern nicht beanstandet. Das Handelsblatt hatte darüber bereits vorab berichtet. „Damit findet eine monatelange Hängepartie ein gutes Ende“, sagt Jonny Natelberg, Vorstand des Prepaid-Verbands Deutschland.
Hintergrund der komplizierten Neuregelung ist ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH). 2010 stellten die BFH-Richter erstmals klar, dass auch Wertgutscheine als Sachlohn eingestuft werden dürfen. Die neue Rechtsauffassung ermunterte die Branche, Gutscheine digital in Form von aufladbaren Geldkarten herauszubringen, die überall dort einsetzbar waren, wo Visa oder Mastercard akzeptiert werden.
2018 aber ging dem BFH die inzwischen gängige Praxis der Prepaidkarten dann zu weit. In einem Urteil (Az. VI R 16/17) zweifelte er die Sachbezugseigenschaft der Geldkarten an. „Hintergrund für das Gericht war, dass der Einsatz der Karten so ausuferte, dass sie praktisch wie Bargeld verwendet werden konnten und damit rechtliche Grenzen überschritten“, erläutert Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Betriebsprüfungen deckten Missbrauch auf
Tatsächlich liegen dem Handelsblatt Fälle aus dem Jahr 2019 vor, bei denen Kunden mit den Prepaidkarten von Givve bei der Reisebank Devisen kauften oder sie bei Paypal hinterlegten und damit bezahlten. Der Anbieter wehrt sich. „So etwas passiert selten“, sagt Givve-Chef Patrick Löffler.
Um Missbrauch zu verhindern, überwache man alle Transaktionen, so Löffler. Bei Auffälligkeiten sperre man die betroffenen Kategorien – so sei es etwa bei der Reisebank und mittlerweile auch bei Paypal der Fall. Die verstärkte Überwachung freue auch die Finanzämter. Auch Spendit-Gründer Florian Gottschaller betont: „Mir ist kein einziger Missbrauchsfall bei unseren 6000 Unternehmenskunden bekannt, der bei Betriebsprüfungen dokumentiert wurde.“
Erfüllen die Karten nicht die Anforderungen an einen Sachbezug, droht den Unternehmen, die sie an ihre Mitarbeiter verteilt haben, eine teure Nachzahlung. Die 44 Euro werden dann vom Finanzamt als Nettolohn eingestuft, die Differenz zum Bruttolohn muss der Arbeitgeber nachzahlen. Ein Rechenbeispiel: Um ein Nettogehalt von 2000 Euro auf 2044 Euro zu steigern, muss der Arbeitgeber in diesem Szenario den Bruttolohn um über 87 Euro erhöhen.

Auch das Jobticket ist inzwischen ein steuerfreies Gehaltsextra.
Dem SPD-geführten Bundesfinanzministerium reichten die Maßnahmen der Kartenanbieter nicht aus. Zum Sachlohn sollen nur noch die „Closed-Loop-Karten“ (zum Beispiel aufladbare Geschenkkarten für den Einzelhandel) und „Controlled-Loop-Karten“ (zum Beispiel Centergutscheine, „City-Cards“) gehören. „Open-Loop-Karten“ hingegen würden sich, da nahezu universell einsetzbar, von Bargeld praktisch nicht unterscheiden, erklärt Binding. Daher seien engere Leitplanken notwendig.
Im Jahressteuergesetz für 2020 wurden diese dann mit zwei Zeilen abgehakt, die jedoch einen gewissen Interpretationsspielraum zuließen. Die Karten dürften keine Barauszahlung erlauben und müssten die Kriterien des Paragrafen 2 Abs. 1 Nr. 10 Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) erfüllen. Dieser sieht ein begrenztes Netz von Anbietern oder ein begrenztes Spektrum von Waren und Dienstleistungen vor.
Finanzämter und Kartenanbieter haben sich seit Anfang 2020 jedoch die Frage gestellt, ob das begrenzte Netz oder Anbieterspektrum schon dadurch erfüllt ist, dass die Karten nur noch im Inland einsetzbar sind. Das ist nicht der Fall, stellt das BMF nun klar.
Regeln könnten Arbeitgeber abschrecken
Die komplizierten Beschränkungen sind dabei ein Alleingang der SPD: „Das BMF-Schreiben wurde ohne Abstimmung mit der Union veröffentlicht“, moniert Sebastian Brehm, finanzpolitischer Sprecher der CSU im Bundestag. „Die Auslegung entspricht nicht dem, was wir im Parlament beschlossen haben.“ Er fürchtet, dass einige Arbeitgeber den Sachbezug infolge der neuen Regularien gänzlich abschaffen.
Auch bei der SPD ist man geteilter Meinung. „Der Arbeitgeber spart für diese Zuwendung Sozialversicherungsbeiträge, die dem Arbeitnehmer beispielsweise später bei der Rente fehlen“, sagt Binding. „Würden die Arbeitnehmer einfach statt der Karten mehr Lohn erhalten, wäre das auch eine gute Idee.“
Union-Sprecher Brehm glaubt nicht, dass Arbeitgeber stattdessen die Löhne erhöhen. Das würden ältere Studien belegen. Nach dem Willen der Union hätte es die starken Einschränkungen nicht gebraucht. „Leute, die nun im Homeoffice arbeiten, können eine City-Karte vielleicht gar nicht nutzen. Gilt die Karte nur noch für große Ketten, schwächt das die lokale Wirtschaft“, argumentiert Brehm. „Es ist völlig unverständlich, warum Olaf Scholz diese Möglichkeiten, von denen ja vor allem Gering- und Durchschnittsverdiener profitieren, beschränken will“, springt ihm Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion bei.
Nach der Bundestagswahl im Herbst will der Prepaid-Verband noch mal in Berlin nach Unterstützern suchen. „Wir brauchen einfach anzuwendende Regeln statt Paragrafen-Tetris“, fordert auch Verbandsvorstand Natelberg. Die Union dürfte auf seiner Seite sein – doch offen ist natürlich, wer das BMF künftig führt.
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