Finanzministerium erhöht Steuerlast für Totalverluste
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Steuerlast„Bärendienst für deutsche Aktienkultur“: Anleger bleiben durch neues Gesetz auf Verlusten sitzen
Das Finanzministerium hat die Steuerlast für „Totalverluste“ und Verluste aus Termingeschäften erhöht. Davon sind längst nicht nur Zocker betroffen.
Die Frage, wann Verluste als steuermindernd gelten können, ist umstritten.
(Foto: imago images/photothek)
Frankfurt Verlust – die Bedeutung dieses Wortes ist einfach zu erklären: Zunächst hat man etwas und dann hat man es nicht mehr. Dem Bundesfinanzministerium (BMF) reicht diese schlichte Definition allerdings nicht aus. Bei der Frage, wann Anleger eine missglückte Investition steuermindernd geltend machen können, unterscheidet es verschiedene Arten von Verlust.
Das ist schon lange umstritten, wurde nun aber in einer Gesetzesänderung manifestiert – und die ist bereits seit Jahresbeginn in Kraft. Für Anleger steigt dadurch insbesondere bei Termingeschäften die Steuerlast. Noch gibt es aber Hoffnung auf Anpassungen.
Um die Problematik zu verstehen, ist etwas Vorwissen nötig: Schon seit Jahren gibt es Streit über die Frage, wie Verluste und sogenannte Totalverluste aus Kapitalanlagen steuerlich zu behandeln sind. Das BMF vertritt die Ansicht, dass ein Verlust nur dann steuerlich anrechenbar ist, wenn er durch ein sogenanntes Veräußerungsgeschäft entsteht.
Anders sehen es dagegen die obersten Finanzrichter am Bundesfinanzhof (BFH). In ihren Urteilen zum Verfall von Optionen (Az: IX R 48/14), zum Ausfall von Darlehen (Az: VIII R 13/15) und zu Verlusten aus Knock-out-Zertifikaten (VIII R37 15) haben sie sich auf die Seite der Anleger geschlagen.
Auch solche Verluste können mit Gewinnen verrechnet werden und mindern so die Steuerlast, urteilten sie. Ihre Begründung: Seit Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 werden alle Kapitaleinkünfte pauschal mit 25 Prozent besteuert, deshalb müssten auch alle Verluste, die mit der Kapitalanlage in Zusammenhang stehen, berücksichtigt werden.
Hebelprodukte
Mit CFDs – auch Differenzkontrakte genannt – partizipieren Anleger an steigenden und fallenden Kursen unterschiedlicher Basiswerte. Über einen Hebel, der weit über 100 Prozent sein kann, können sie dabei ein Vielfaches des eingesetzten Kapitals gewinnen – oder auch verlieren. CFDs sind keine Wertpapiere, CFD-Anleger haben keine Rechte an dem Basisinstrument.
Ein Optionsschein ist ein derivatives Finanzinstrument, mit dem Anleger gehebelt von der Kursbewegung eines Basiswerts profitieren können. Optionsscheine sind verbriefte Wertpapiere. Ein Kaufoptionsschein (Call) verbrieft das Recht, einen Basiswert zu einem bestimmten Preis zu einer festgelegten Zeit beziehen zu können. Der Verkaufsoptionsschein (Put) verbrieft dagegen das Recht, den Basiswert zu einem bestimmten Preis zu einem festgelegten Zeitpunkt zu verkaufen.
Mit einem Hebelzertifikat können Investoren einen Basiswert, beispielsweise eine Aktie, zu einem günstigeren Preis kaufen. Hebelzertifikate werden auch unter dem Begriff Knock-out-Produkte angeboten, die je nach Emittent Waves, Mini-Futures, Classic/Unlimited/BEST oder Smart Turbos oder einfach nur Turbos heißen. Hebelzertifikate haben eine Knock-out-Grenze, bei der das Zertifikat wertlos wird. Durch den Hebel partizipieren Anleger stärker an den Kursschwankungen des zugrunde liegenden Basiswerts. Verlieren können Anleger nur den eingesetzten Betrag.
Auch börsengehandelte Indexfonds (Exchange Traded Funds, kurz ETF), die die Entwicklung eines Index eins zu eins nachbilden, gibt es mit Hebel. Diese Hebel-ETFs gibt es als Long- und als Short-Version. Verlieren können Anleger nur den eingesetzten Betrag.
Urteile beziehen sich in Deutschland zunächst nur auf den Einzelfall. Um zu verhindern, dass auch andere Anleger von den BFH-Urteilen profitieren, wollte das Bundesfinanzministerium dazu ein Nichtanwendungsgesetz in das Jahressteuergesetz für 2019 einbringen. Nach Kritik von Verbänden wie etwa dem Bund der Steuerzahler und dem Bankenverband BdB wurde dies jedoch wieder gestrichen. Mit der nun erfolgten Gesetzesänderung schlägt das Bundesfinanzministerium einen neuen Weg ein.
Eingefügt wurden die Änderungen kurz vor Weihnachten in das „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ – „völlig überraschend“, wie es von Verbandsseite heißt. Im Eiltempo wurden die Änderungen noch im alten Jahr von Bundestag und Bundesrat beschlossen.
Konkret wird damit der § 20 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes ergänzt. Daraus ergibt sich Folgendes:
1. Obergrenze bei Totalverlusten
Haben Anleger mit ihrer Kapitalanlage einen Totalverlust erlitten, können sie diesen seit Jahresbeginn zeitnah nur noch in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen verrechnen. Damit hat das BMF die Rechtsprechung der Finanzrichter zu einem guten Teil kassiert.
Hat ein Anleger keine Gewinne erzielt oder mehr Kapital verloren, kann er den Verlust ins folgende Jahr vortragen. Diese Regel gilt für Verluste aus Kapitalvermögen, die im Einkommensteuergesetz unter § 20 Absatz 1 aufgeführt werden, zum Beispiel Aktien, Anleihen, Genussrechte und Darlehen.
2. Definition von „Totalverlust“
Unklar ist noch, was genau das Ministerium unter einem Totalverlust versteht. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Eine Kapitalforderung ist insbesondere uneinbringlich, wenn sich auf Grundlage der Gesamtumstände des Schuldverhältnisses abzeichnet, dass der Schuldner die Verbindlichkeit ganz oder teilweise nicht erfüllen wird.“ Die Regelung erfasse daher auch „Veräußerungstatbestände, die zu Gestaltungszwecken abgewickelt werden, also insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich das Solvenzrisiko bereits ganz oder teilweise realisiert hat“.
Steuerexperten interpretieren das unterschiedlich. Im ungünstigsten Fall könnte es bedeuten, dass ein Totalverlust auch dann eintritt, wenn ein Anleger ein Wertpapier nach Bekanntwerden einer Insolvenz zu einem sehr niedrigen Kurs verkauft. Das hätte nach Ansicht von Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), zur Folge, „dass es per Definition auch beim Aktienhandel häufiger zu Totalverlusten kommt“, sagt er. „Bisher kommt das bei Aktien fast nie vor, weil die Anleger meist rechtzeitig verkaufen. Häufiger betroffen waren in den vergangenen Jahren Anleihen.“
Für Aktionäre, die ihre Anteilsscheine unabhängig von einer (drohenden) Pleite des Unternehmens mit einem Minus verkaufen, ändert sich dagegen nichts. Sie können ihre Verluste weiterhin zu 100 Prozent mit Aktiengewinnen verrechnen.
3. Sonderbehandlung von Termingeschäften
Einen Sonderstatus innerhalb der Kapitalanlagen haben bisher schon Aktienverluste. Sie können nur mit Aktiengewinnen verrechnet werden – aber nicht etwa mit Zins- oder Dividendeneinkünften. Im Zuge der Gesetzesänderung gibt es eine solche Sonderbehandlung ab 2021 auch für Verluste aus Termingeschäften. Sie können nur noch mit ebensolchen Gewinnen sowie sogenannten Stillhalterprämien verrechnet werden. Wer keinen entsprechenden Gewinn erzielt hat, kann den Verlust ins nächste Jahr vortragen.
Auch hier gilt jedoch die Einschränkung, dass jährlich nur 10.000 Euro anrechenbar sind. Wie sich dadurch die Steuerbelastung erhöht, zeigt folgendes Beispiel: Wer mit Optionen 50.000 Euro Gewinn und 20.000 Euro Verlust erzielt hat, muss bisher die Differenz in Höhe von 30.000 Euro versteuern. Bei 25 Prozent Abgeltungsteuer macht das 7500 Euro. Ab 2021 können nur noch 10.000 Euro abgezogen werden. Es werden also 10.000 Euro Abgeltungsteuer fällig. Der verbleibende Verlust in Höhe von 10.000 Euro wird ins nächste Jahr vorgetragen.
4. Definition Termingeschäft
Welche Anlageprodukte als „Termingeschäft“ zählen, ist Experten zufolge noch Auslegungssache. In der neuen Gesetzespassage wird als konkretes Beispiel nur der Verfall von Optionen genannt. Zuletzt legte das BMF den Begriff eher weit aus. „Leider ist davon auszugehen, dass neben Optionsscheinen und Futures auch alle Arten von Derivaten, Hebelzertifikaten und CFDs (Contracts of Difference) betroffen sind“, sagt Tüngler.
5. Verrechnung nur per Steuererklärung
Fraglich ist, wie genau die Verrechnung der Verluste künftig in der Praxis ablaufen wird. Bisher konnten Banken die Verluste und Gewinne aus Termingeschäften schon unterjährig für ihre Kunden verrechnen, indem sie sogenannte Verrechnungstöpfe bildeten. In einer Antwort des BMF-Bürgerreferats auf die Anfrage eines Anlegers, die dem Handelsblatt vorliegt, hieß es am 8. Januar: „Eine Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften auf Ebene der Kreditinstitute (unterjährig) findet nicht mehr statt, da eine Verlustberücksichtigung in Höhe von 10.000 Euro nicht gewährleistet werden kann.“
Die Folge wäre, dass Banken zunächst auf alle Gewinne Abgeltungsteuer an den Fiskus abführen müssen. Erst mit der Steuererklärung könnten Anleger ihre Verluste geltend machen und somit zu viel gezahlte Steuern zurückfordern. Auf Anfrage des Handelsblatts verwies ein Sprecher des BMF nun jedoch auf eine noch laufende Abstimmung des Ministeriums mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Optimisten könnten dahinter ein Umdenken des BMF vermuten.
Breite Kritik am Gesetz
In der Gesetzesbegründung rechtfertigt das BMF die Neuregelung damit, dass Termingeschäfte „durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ“ seien. Ziel sei es, „das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen“.
Dieser Fokus auf Spekulanten greift nach Ansicht von Anlageexperten aber zu kurz. „Optionsscheine sowie Termingeschäfte insgesamt sind auch bei konservativen Vermögensverwaltern und Privatanlegern ein beliebtes und wichtiges Instrument, um das Depot gegen kurzfristige Risiken abzusichern“, sagt Andreas Grünewald, Vorstandsvorsitzender des Verbands unabhängiger Vermögensverwalter (VuV).
Auch Christine Bortenlänger, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts (DAI) sieht die Änderung „äußerst kritisch“, denn „sie verstößt gegen das Nettoprinzip der Besteuerung“. Demnach werden Gewinne erst nach Abzug von Verlusten besteuert. Im Paket mit der geplanten Finanztransaktionssteuer erweise der Gesetzgeber „der Aktienkultur in Deutschland einen Bärendienst“.
Sowohl DAI als auch der Bankenverband BdB haben auch verfassungsrechtliche Bedenken. „Es kann nicht sein, dass die Gewinne der Anleger zu 100 Prozent besteuert werden, die Verluste aber nur teilweise anrechenbar sind“, sagt Joachim Dahm, Steuerexperte in der Geschäftsführung des BdB. Die DSW hat bereits zugesagt, betroffene Anleger bei Klagen gegen das neue Gesetz zu unterstützen. Doch bis zu einer gerichtlichen Klärung würde es Jahre dauern.
Die FDP-Fraktion pocht auf eine schnellere Lösung. Nach Angaben von Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP, wird seine Fraktion „in Kürze einen Antrag im Bundestag einbringen, diese Neuregelung unverzüglich abzuschaffen“. Wie hoch die Erfolgschancen sind, ist aber fraglich. Zunächst müsste mindestens die CDU/CSU von einem Änderungsbedarf überzeugt werden. „Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist es für die Politiker schwierig, da noch gesichtswahrend rauszukommen“, heißt es von Lobbyisten.
Alternativ könnten die gesetzlichen Vorgaben im Zuge eines BMF-Schreibens entschärft werden. Dies könnte Klarstellungen enthalten und in wenigen Wochen veröffentlicht werden.
3 Kommentare zu "Steuerlast: „Bärendienst für deutsche Aktienkultur“: Anleger bleiben durch neues Gesetz auf Verlusten sitzen"
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Herr Andreas Grünewald
Sehr guter Gesamtüberblick rund um diese eigentlich unsägliche Thematik, welche schnellstens korrigiert gehört.
Herr_EN Hans Schönenberg
Die wollen uns fertig machen - das nächste Vehikel ist die Transaktionssteuer von der Scholz. da müssen wir mal schauen, wie das Elend nicht zu groß wird.
Herr Karsten Schiefelbein
Da sitzen im BMF - von uns Steuerzahlern - gut bezahlte Mitarbeiter, Staatssekretäre und so weiter und bringen ein Gesetz zustande, dass offensichtlich gegen die absoluten Grundlagen des Besteuerungsprinzips (Nettobesteuerung) verstößt. Und die CDU trägt das mit (bei der SPD in ihrer aktuellen Verfassung wundert ja eh nichts mehr). Für mich ist das bezeichnend für den Zustand dieser Koalition.
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Sehr guter Gesamtüberblick rund um diese eigentlich unsägliche Thematik, welche schnellstens korrigiert gehört.
Die wollen uns fertig machen - das nächste Vehikel ist die Transaktionssteuer von der Scholz.
da müssen wir mal schauen, wie das Elend nicht zu groß wird.
Da sitzen im BMF - von uns Steuerzahlern - gut bezahlte Mitarbeiter, Staatssekretäre und so weiter und bringen ein Gesetz zustande, dass offensichtlich gegen die absoluten Grundlagen des Besteuerungsprinzips (Nettobesteuerung) verstößt. Und die CDU trägt das mit (bei der SPD in ihrer aktuellen Verfassung wundert ja eh nichts mehr). Für mich ist das bezeichnend für den Zustand dieser Koalition.