Altersvorsorge? Nein, danke! Deutsche sparen zu wenig fürs Alter

Eine Studie ergab: 55 Prozent der Befragten möchten wegen der Niedrigzinsphase keine neuen Altersvorsorge-Produkte mehr abschließen.
Frankfurt Es reicht: Trotz Ängsten vor einer finanziellen Misere im Alter wollen die Deutschen nicht mehr vorsorgen. Das Volk der Sparer spart nicht mehr genug für die Rente, weil die rekordtiefen Zinsen die Erträge aus den beliebten Anleihen und Vorsorgeverträgen dahinschmelzen lassen. „Das Zinstief führt dazu, dass die Vorsorgebereitschaft regelrecht gelähmt ist“, klagt Patrick Dahmen, Vorstand beim Versicherer Axa.
Eine repräsentative Umfrage unter 3.324 Deutschen im Auftrag der Axa zeigt: 55 Prozent der Befragten möchten wegen der Niedrigzinsphase keine neuen Altersvorsorge-Produkte mehr abschließen. Besonders frustriert zeigten sich die Thüringer und die Berliner (siehe Karte). Mehr als 60 Prozent der Einwohner aus diesen Bundesländern finden Altersvorsorge uninteressant. Bereits im vergangenen Jahr stellte Axa eine Vorsorgemüdigkeit fest, die sich nun weiter verstärkt hat.
Dabei müssten die Deutschen eigentlich mehr und nicht weniger für ihr Alter zurücklegen. Die von der Axa Befragten glauben, dass es ausreicht, jeden Monat gut 200 Euro zu sparen – aber das ist viel zu wenig für eine auskömmliche Privatrente. Jeder Zweite fragt sich, ob die private Altersvorsorge überhaupt noch sinnvoll ist, jeder fünfte Berufstätige hat wegen der Niedrigzinsphase bereits einen Vorsorgevertrag gekündigt. Das Verhältnis zur Rente ist dabei ambivalent. Denn jeder Dritte erklärt, dass er sich persönlich vor Altersarmut fürchtet. Und sechs von zehn Befragten macht das Thema mehr Angst als früher.
Die Lage in der privaten Vorsorge ist ernst. Die Bürger wissen zwar, dass sie eigentlich vorsorgen sollten, begreifen aber zunehmend, dass die klassischen Produkte dafür immer weniger taugen. „Bei derart niedrigen Zinsen sehen die Menschen keine ausreichende Belohnung für das Sparen“, erklärt Dahmen. „Sie verschieben daher das Thema immer weiter in die Zukunft.“ Das Versäumte lässt sich später aber kaum noch aufholen. Denn in einer Welt ohne Zinsen müssten die Menschen eigentlich mehr zurücklegen, wenn sie auf klassische Garantieprodukte setzen.
Das Thema ist längst in der Politik angekommen. Die private und gesetzliche Rente wird zum Wahlkampfthema. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will künftig einen Zuschuss zu den Betriebsrenten spendieren. Laut Finanzstaatssekretär Michael Meister könnten Geringverdiener in Zukunft einen Zuschuss erhalten. Sie sollen so jährlich 400 bis 450 Euro in die Betriebsrente einzahlen, ohne dass dadurch ihr Nettoeinkommen reduziert werde.
Bei der Riester-Rente gibt es solche Zuschüsse schon lange. Trotzdem steht sie in der Kritik. Das Modell „ist gescheitert,“ erklärte CSU-Chef Horst Seehofer bereits im April. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles kündigte eine Reform an: Die Renditehoffnungen hätten sich nicht erfüllt, und zu wenig Geringverdiener würden riestern. „Wir müssen neue Maßnahmen ergreifen, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu verbreitern und attraktiver zu machen“, erklärte Nahles.
Auch die Verbände machen Druck. Verdi-Chef Frank Bsirske titulierte die Riester-Rente zuletzt als „Fehlkonstruktion“, staatliche Riester-Mittel seien in der gesetzlichen Rentenversicherung besser aufgehoben. Auch Verbrauchervertreter äußern Fundamentalkritik. „Die Niedrigzinsphase ist Gift fürs Sparen und für die kapitalgedeckte Altersvorsorge, für die Riester-Rente ist sie besonders fatal“, warnt Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten. Die Überschüsse der Policen seien von vornherein niedrig und würden zudem durch gesetzlich vorgeschriebene zusätzliche Reservebildung geschmälert.
„Die Folge sind stark fallende Renditen, die auch bei einer Zinserholung erst mal unten bleiben werden“, erläutert Kleinlein. Selbst die Versicherer möchten nachbessern. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft fordert eine Anhebung von Grundzulage und Fördergrenze, eine generelle Kinderzulage von mindestens 300 Euro sowie Freibeträge bei der Grundsicherung, damit die Rente wieder attraktiver wird.
Aber ist Riester wirklich so schlecht? Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Je nach individuellen Laufzeiten, Steuervorteilen, staatlichen Zuschüssen sowie Kosten und Qualität der Policen variieren die Erträge. Klar ist: Die Produkte der Versicherer, die wegen der immensen Vertriebsmacht am häufigsten verkauft wurden, sind nicht mehr beliebt. Im vergangenen Jahr fiel die Zahl der Verträge mit elf Millionen auf den Stand des Jahres 2011. Nur die steigende Nachfrage nach fondsbasierten Produkten und Wohnriester-Verträgen der Bausparkassen sorgt noch für eine zunehmende Zahl an Riester-Verträgen.
Die Riester-Krise ist also vor allem eine Krise der Versicherer, deren Produkte wegen sinkender Erträge auf dem Markt der Zinspapiere und immer noch zu hoher Kosten nicht mehr so viel bringen wie früher. Wie viel nach derzeitigen Garantien und Überschüssen bei den Versicherern derzeit übrig bleibt, zeigen zwei Vergleiche des Analysehauses Morgen & Morgen. Ein junger Gutverdiener erzielt im Marktschnitt eine garantierte Rente von rund 250 Euro, wenn er 37 Jahre den Höchstbeitrag von 162,17 Euro einzahlt (siehe Tabelle).
Wie viel das Zinstief die Sparer kostet, zeigt ein Blick zurück. Wenn der gleiche Sparer 2008, im Jahr vor der weltweiten Finanzkrise abgeschlossen hätte, könnte er sich auf eine um hundert Euro höhere garantierte Rente freuen. Inklusive Überschüsse kann die Rente für diesen Alt-Sparer im Schnitt bei 695 Euro liegen – das wären 175 Euro mehr als bei Sparern, die jetzt abschließen. „Seit 2008 sind die möglichen Renditen in diesem Beispiel um 1,4 Prozent gesunken“, erklärt Thorsten Saal von Morgen & Morgen. „Der Trend zu sinkenden Renditen dürfte mittelfristig anhalten“, glaubt Saal.
Nach Plänen des Bundesfinanzministeriums soll der Höchstrechnungszins für Lebenpolicen im nächsten Jahr von 1,25 Prozent auf 0,9 Prozent sinken. Das betrifft dann die Neuverträge. Laut Debeka-Chef Uwe Laue wird die Absenkung des Garantiezinses dazu führen, dass einige Versicherer künftig keine Riester-Policen mehr anbieten werden. Der Grund: Bei kürzeren Laufzeiten können die Kosten die Erträge der Versicherer übersteigen. Eine Beitragsgarantie in der Riester-Rente kann dann nicht mehr gewährleistet werden.
Wenn die Kosten nicht deutlich fallen, was die Attraktivität der Riester-Policen für die Versicherer schmälern würde – müssten sich die Laufzeiten laut M&M je nach Tarif um rund fünf Jahre verlängern, wenn der Garantiezins auf 0,9 Prozent fallen würde. „Die Darstellung des Beitragserhalts wird ab 2017 sicherlich schwieriger“, meint Dahmen.
Angesichts der ständigen Zinssenkungen und der lauten Kritik an den klassischen Vorsorgeprodukten sehen sich die Deutschen nach Alternativen um. Wer den Glauben an die klassischen Produkte der Versicherer verloren hat, wendet sich dem Immobilienmarkt zu. Laut der Axa-Studie haben die Deutschen dabei schon längst nicht mehr nur das Eigenheim im Blick. Sie suchen verstärkt nach Zinshäusern, also nach Immobilien, die sich privat vermieten lassen.
Steine und Beton sind mittlerweile die beliebtesten Vorsorgeobjekte: 18 Prozent der Befragten geben an, zu diesen Zwecken ein Eigenheim erwerben zu wollen. 16 Prozent nehmen ein vermietetes Objekt ins Visier. Zum Vergleich: Leben- und Rentenpolicen und Gold (jeweils zehn Prozent) sowie Aktien, Fonds und Zertifikate fallen dagegen deutlich zurück.
Aber auch dieser private Immobilienboom birgt Risiken. Seit Beginn der Niedrigzinsphase 2009 sind die Preise für Eigentumswohnungen in den deutschen Metropolen und Wachstumszentren durchschnittlich um rund 40 Prozent gestiegen, erklärt Manfred Binsfeld von Feri Eurorating. Zum Ende des Booms sind die Preise schneller gestiegen als die Mieten. „Wer in dieser Phase kauft, sollte die Risiken von historisch niedrigen Bruttomietrenditen von teilweise unter drei Prozent im Auge haben“, betont Binsfeld.