Altersvorsorge Wie Verbraucher ihre Rentenlücke berechnen und schließen können

Viele Verbraucher zweifeln daran, das die gesetzliche Rente gesichert ist.
Frankfurt Die gesetzliche Rente allein wird künftig nicht reichen. Das ist zwar den meisten Deutschen inzwischen klar. Doch das Rentenalter liegt für viele Verbraucher so weit in der Zukunft, dass sie wenig Lust haben, sich damit zu befassen. Das bestätigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach.
Demnach haben zwar 79 Prozent der Deutschen Zweifel, dass die Renten in Zukunft gesichert sind. Dennoch wissen viele nicht, wie hoch ihre gesamten Rentenansprüche im Ruhestand eigentlich sind. Nur ein Viertel der Befragten meint, seine finanzielle Lage im Alter relativ gut einschätzen zu können.
Olaf Stotz, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management, sieht den Grund für die Unwissenheit in der unnötigen Komplexität der Altersvorsorge: Neben der gesetzliche Rente gibt es fünf verschiedene Systeme für die betriebliche Altersvorsorge. Dazu kommen mit der Riester- und der Rürup-Rente weitere staatlich geförderte Produkte für die private Vorsorge. Beliebt sind zudem private Renten- und Lebensversicherungen mit steuerlichem Vorteil im Vergleich zum Sparen am Kapitalmarkt.
Stotz beklagt, dass in der Politik zu viele verschiedene Ministerien für die Altersvorsorge zuständig seien. Und Banken, Versicherer und Finanzdienstleister böten ihren Kunden häufig Produkte an, mit denen sie in erster Linie Geld verdienen wollen, statt die Probleme der Kunden zu lösen.
Damit es aber „im Alter keine Überraschungen gibt, ist es wichtig, dass sich die Menschen rechtzeitig informieren und kümmern“, sagt Thomas Mai, Altersvorsorgeexperte der Verbraucherzentrale Bremen. Dafür müsse man „seine meist verschiedenen Rentenansprüche zusammenrechnen und sich einen Überblick verschaffen, was noch fehlen könnte“, erläutert er. Hilfestellung können Apps im Internet geben. Nutzer sollten aber darauf achten, welche Daten sie dort preisgeben und welche geschäftlichen Interessen hinter kommerziellen Portalen stecken.
Apps helfen bei der Übersicht
Zu mehr Transparenz will Wissenschaftler Stotz mit seiner neuen Renten-App „MeinDirk“ (Mein Digitales Rentenkonto) beitragen. Diese hat den Anspruch, einen informativen Überblick über alle Rentenansprüche zu liefern. Bisher erhalten Verbraucher zwar meist eine jährliche Mitteilung über diese Ansprüche von der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen Altersvorsorge und vom Anbieter des Riester-Vertrags.
Alle Mitteilungen werden jedoch separat verschickt und sind unterschiedlich aufbereitet. Oft können die Menschen daraus nur den nominalen Rentenanspruch ablesen, aber nicht, was sie sich künftig nach Abzug der Geldentwertung damit leisten können. Manchmal weisen die Anbieter auch nur Guthabenstände aus, nicht aber die monatliche Rente. Aufgrund der uneinheitlichen Darstellung können Verbraucher ihre Rentenansprüche nicht einfach addieren. Das sei aber die „zwingende Voraussetzung, um potenzielle Versorgungslücken zu erkennen“, mahnt Stotz.
Berechnungen verschiedener Anbieter wie Versicherungen, Banken, Fonds und Fintechs, die der Hochschullehrer in einer Studie anhand von Beispielfällen untersucht hat, können dagegen eher noch mehr verwirren, wie er feststellt. Die Anbieter weisen die Rentenansprüche in der Tendenz sehr niedrig aus, was die Rentenlücke sehr hoch macht. Auch variieren die Angaben der Finanzinstitute stark. So bewegt sich für eine 40-jährige Person die festgestellte Rentenlücke zwischen 409 Euro und 1.277 Euro – die größte Lücke ist also dreimal so hoch wie die kleinste. „Dies kann Menschen so verunsichern, dass sie gar nicht für das Alter vorsorgen“, meint Stotz.
Mit seiner neuen Renten-App will er die Probleme auf einfache Weise lösen. Nutzer können sich diese kostenlos aufs Smartphone laden. Dann müssen sie die Informationen der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Rentensäule lediglich fotografieren und einscannen. Die App kann auch anonym, also mit geschwärztem Namen, genutzt werden.
Nach Übertragung der Renteninformationen erhalten die Nutzer eine Übersicht, mit welcher Rente sie im Alter rechnen können. Die App zeigt kaufkraftbereinigte monatliche Rentenansprüche an – vorausgesetzt, die Nutzer sparen weiter wie bisher. Wer keine Daten angeben will, kann einen Dummy-User betrachten.
Vor der Nutzung der App können Verbraucher einen Fragebogen, den Stotz über meindirk.de zur Verfügung stellt, ausfüllen. Der Fragebogen soll helfen, die eigenen Rentenansprüche und Wünsche fürs Alter einzuschätzen. Die Antworten können in die App geladen werden. Stotz will die Informationen auch für seine Forschung nutzen.
Gesetzentwurf für Onlineportal
Die Bundesregierung plant ebenfalls eine Renteninformation, in der alle Ansprüche gebündelt werden. Laut Bundesarbeitsministerium (BMAS) soll der Referentenentwurf für ein „Errichtungsgesetz“ im Frühsommer vorgelegt werden. Mit ihrer „säulenübergreifenden Altersvorsorgeinformation“ sollen sich die Bürger in dem geplanten Onlineportal „möglichst unbürokratisch an einer zentralen Stelle informieren können, wie es um ihre gesamte Altersvorsorge aus allen drei Säulen bestellt ist“. Das hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor rund einem Jahr bei der Präsentation eines Gutachtens gesagt, in dem die Universität Ulm und das Beratungshaus Aon untersucht haben, wie ein solches Onlineportal umgesetzt werden könnte.
Die Information über die Rentenansprüche „kann Sicherheit geben, aber auch Lücken in der Absicherung aufdecken“, heißt es im BMAS. Für die Übersicht sollen solche Produkte berücksichtigt werden, die „klar erkennbar vorrangig der Altersvorsorge dienen“ – diese sieht Heil zunächst in der gesetzlichen und betrieblichen Vorsorge.
In die private Vorsorge „würden wir diejenigen Produkte einbeziehen, die vertragsgemäß einen Sparprozess vorsehen, bei dem das vorgesehene Fälligkeitsdatum in einem rentennahen Alter liegt“, heißt es ergänzend in dem Gutachten.
Die Angaben sollen so aufbereitet werden, dass die Nutzer mit dem Onlinecheck „die geschätzte, ungefähre Höhe der gesamten Altersrente“ überprüfen können. Dabei sollen sowohl bisher erreichte als auch noch erreichbare Ansprüche aufgeführt werden. Bei der Berechnung würde unterstellt, dass die Versicherten weiter im bisherigen Umfang Beiträge in die gesetzliche Rente oder in eine ergänzende Vorsorge zahlen.
Weiterhin schlagen die Gutachter vor, die prognostizierten Alterseinkommen so umzurechnen, dass sie der heutigen Kaufkraft entsprechen. Dadurch sollen die Versicherten einen besseren Eindruck von ihrem finanziellen Spielraum in der Rente bekommen. Bis der Online-Rentencheck für alle Bürger im Regelbetrieb eingeführt wird, dürfte es Schätzungen zufolge noch einige Jahre dauern.
Private Anbieter mit digitalen Renten-Rechnern
Weitere Übersichten und Rechner gibt es von kommerziellen Anbietern. Das Frankfurter Start-up Clark bietet in seiner Versicherungs-App ebenfalls einen Rentenbaustein an, der unter anderem aufsummierte Nettorenten ermittelt. Der Kunde soll dafür Fotos seiner Dokumente einreichen. Clark hat allerdings auch Vertriebsinteressen, da die Firma am Verkauf von Versicherungen verdient.
Informationen bietet zudem der Rentenrechner des Berliner Steuerberaters Michael Schröder unter steuerschroeder.de. Hier lassen sich Nettowerte zur staatlichen Rente sowie zur betrieblichen und privaten Vorsorge ermitteln. Viele Menschen unterschätzen der Erfahrung nach Steuern und Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Der nächste, mindestens so schwierige Schritt ist, den Geldbedarf im Alter abzuschätzen, um eine eventuelle Rentenlücke festzustellen. Dafür gilt es, Kernfragen zu klären: Wie viel Geld brauche ich in der Rente? Viele Berater rechnen mit 80 Prozent des aktuellen Nettoeinkommens. Andere gehen vom aktuellen Bedarf aus.
In die Zukunft zu planen ist nicht leicht: Die Bedürfnisse können sich sehr verändern. Viele frische Rentner planen generell bis zum Alter von 90 Jahren, wie Verbraucherschützer Mai sagt. Doch konkret reicht es nach seiner Beobachtung vielen, nur die nächsten zehn Jahre festzuzurren. Denn oft nimmt der Geldbedarf ab, wenn etwa die Reiselust zu Beginn des Rentnerdaseins erst stärker wird, später aber nachlässt. Der Bedarf kann aber auch höher sein als gedacht, wenn etwa eine Krankheit den Umbau der Wohnung, besondere Anschaffungen oder eine Haushaltshilfe erfordert.
Weitersparen trotz Börsencrash
Doch selbst wenn die Menschen ihre Rentenlücke ungefähr abschätzen können, wissen sie oft nicht, wie sie diese schließen können. „Von Beratern bekommen sie häufig überteuerte Produkte angeboten“, moniert Wissenschaftler Stotz. Und viele Menschen setzten zu stark auf Sicherheit, überschätzten Kursrisiken und unterschätzten Inflationsrisiken, ist seine Beobachtung.
Verbraucherschützer Mai ergänzt: „Es ist wichtig, möglichst früh anzufangen zu sparen“, um über die Jahre den Zinseszinseffekt wieder angelegter Renditen auszunutzen. Er rät dazu, dass die Menschen zwei Töpfe befüllen: einen mit langfristigem Vorsorgegeld und einen mit einer Reserve. Letztere sollte möglichst höher sein als die oft als Notgroschen vorgeschlagenen drei Netto-Monatsgehälter: Ein fünfstelliger Betrag für Wünsche wie Reisen oder Unvorhergesehenes wie Krankheitskosten wäre sinnvoll, meint der Berater.
Der andere Topf sollte möglichst gewichtig mit Aktien gefüllt werden. Daran ändert nach Auffassung des Marktexperten auch der jüngste Kursabsturz infolge der Corona-Pandemie nichts. Mit einem breit angelegten Aktiensparplan etwa über indexnachbildende Fonds wie ETFs oder andere Aktienfonds nehmen Anleger der Erfahrung nach langfristig die höchsten Renditechancen klassischer Anlagearten wahr.
Berechnungen des Deutschen Aktieninstituts über die vergangenen 50 Jahre – in denen es diverse massive Krisen auch an den Börsen gab – zeigen, dass das Risiko von Verlusten nach einem Anlagezeitraum von elf Jahren auf null sinkt. „Einfach weitersparen“, empfiehlt daher Verbraucherschützer Mai mit Blick auf den jüngsten Börsencrash.
Als Richtschnur können Nutzer von Stotz’ App ausrechnen lassen, welchen Betrag sie monatlich anlegen müssten, um die Rentenlücke zu schließen. Den Betrag, über den sie im Alter verfügen wollen, können sie bei den Modellrechnungen variieren. Verschiedene Anlageformen sind vergleichbar: Aktiensparpläne, festverzinsliche Sparpläne oder eine Kombination aus beidem.
Eine Aktienanlage erfordert einen geringeren Sparbeitrag, da sie bis zur Rente mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen höheren Wertzuwachs erzielt als eine Zinsanlage. Die hinter den Modellrechnungen liegenden Kapitalmarktdaten werden in der App regelmäßig aktualisiert. Solche Berechnungen können Menschen als Orientierung dienen – auch für einen Vergleich mit anderen Angeboten.
Mehr: Wie viel Ersparnisse man braucht, um im Alter seine Rente aufzubessern.
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