Kommentar Putin-Referendum: Schlechte Zahlen, schlechte Politik

König Putin: Eine Frau hält bei einem Protest gegen die geplante Verfassungsänderung in St. Petersburg ein Plakat mit dem Bild des russischen Präsidenten Putin mit einer Krone und einem Mantel mit Hermelinfell.
Berlin Schlechte Nachrichten für die Wirtschaft: Wladimir Putin darf nach dem Verfassungsreferendum noch für zwei weitere Amtszeiten Staatschef bleiben – bis zum Jahr 2036, dann wäre er 83 Jahre alt. Für Putin ist das ein Erfolg. Doch für Russland ist es keineswegs der „Triumph“, den Russlands Anführer für sich reklamiert.
Das von Putins Partei beherrschte Parlament hatte schon vor dem Referendum der Verfassungsreform zugestimmt, auch hat der Präsident sie mit seiner Unterschrift bereits in Kraft gesetzt. Viele Russen wollten bei dieser Farce nicht mitmachen. So blieb die Wahlbeteiligung gering, obwohl es massiven Druck und mutmaßliche Manipulationen gab. Dass die Zustimmung am Ende mit 77,9 Prozent noch höher ausfiel als Putins Ergebnis bei der Präsidentenwahl 2018, versteht sich da fast von selbst – glauben muss man es nicht. Laut allen Umfragen sind seine Zustimmungswerte seit Monaten immer stärker im Rutschen, das durfte durch das Referendum natürlich keinesfalls bestätigt werden.
Denn Russland brauche einen starken Führer, meinen unisono Kremlvertreter und deutsche Investoren. Regelmäßig loben deutsche Firmenvertreter Land, Rahmenbedingungen und Staatsführung. Die Investitionen im Riesenreich stiegen. Doch wer das Zahlenwerk und die Wirklichkeit zwischen Kaliningrad und Kamtschatka genauer betrachtet, gerät ins Zweifeln.
Erstens zieht Russland verglichen mit anderen Schwellenländern deutlich weniger Auslandsinvestitionen an, und viele der vermeintlichen Auslandsinvestoren sind russische Oligarchen mit ihren nach Zypern, Holland oder den Cayman Islands verschobenen Fluchtgeldern.
Zweitens sinkt die Zahl der in Russland vertretenen Firmen seit inzwischen mehr als fünf Jahren. Wirtschaftsanwälte berichten, sie hätten mehr mit der rechtlichen Rückabwicklung getätigter Investitionen in Fabriken und Filialen zu tun als mit Neuansiedlungen. Zum Dritten, und hier kommt das Verfassungsreferendum zum Tragen, verschlechtern sich die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen rasant.
Die neue Verfassung setzt russisches über internationales Recht. Das ist schlecht für die ohnehin relativ wenigen Auslandsinvestoren in Russland. Schon jetzt gibt es dort gemessen am Bruttoinlandsprodukt deutlich weniger ausländische Direktinvestitionen als in vergleichbaren Ländern. Nun sind die Zusätze in vielen Verträgen westlicher Konzerne mit russischen Staatsfirmen, in denen im Schlichtungsfall ein internationales Schiedsgericht angerufen werden kann, Makulatur. Vertrauensfördernd wirkt das nicht. Auch werden Investoren immer wieder so massiv von Kremlvertrauten und geldgierigen Geheimdienstlern unter Druck gesetzt, dass sie außer Landes gedrängt werden.
Investoren auf der Flucht
Zwar hat Putin zu Beginn der 2000er-Jahre sein damals chaotisch regiertes und auf soziale Abwege geratenes Land stabilisiert. Auch hat er die Pensionen der Rentner und die Gehälter der Beschäftigten erhöht. Vor allem Staatsbedienstete profitierten davon. Doch während Putins nunmehr zwei Jahrzehnte währender Herrschaft ist Russland im Vergleich zu anderen Schwellenländern zurückgefallen.
Putins Versprechen, Russlands Bruttoinlandsprodukt würde einmal auf das Pro-Kopf-Niveau Portugals steigen, hat sich bis heute nicht erfüllt: Obwohl Russland über sagenhaften Rohstoffreichtum verfügt und sich unter den Konzernen viele Weltmarktführer finden, rangiert das russische Pro-Kopf-BIP weiter hinter dem polnischen, und an der portugiesischen Wirtschaftsleistung war das Land bei Putins Ankündigung näher dran als heute.
Grund dafür ist kein Schicksal, sondern der Putin-Faktor: Bis heute setzt der Machtpolitiker trotz gegenteiliger Versprechungen bei der Wirtschaft auf das Motto: „Staat statt privat“. Seit fast 20 Jahren spricht Putin sich in den jährlichen Reden zur Lage der Nation aggressiv gegen Russlands schlimmstes Virus aus, nämlich das der Korruption. Aber: Diese breitet sich Berichten von Unternehmern zufolge immer weiter aus. Putins politische Großmannssucht, die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und das Morden in Syrien sorgten zudem für eine ökonomische Talfahrt.
Eigentlich ist Russland für Unternehmer ein attraktives Ziel: Viele Rohstoffe sind im Überfluss vorhanden, als neuntgrößtes Land der Welt ist Russland ein wichtiger Markt, und die 145 Millionen Russinnen und Russen fühlen sich als Teil Europas. Alles Bausteine für ökonomischen Erfolg – wäre da nicht der Putin-Faktor.
Es komme nicht darauf an, wer wähle, sondern wer zähle, hatte Stalin einmal zu Wahlen in der Sowjetunion gesagt. Gewiss: Putin ist nicht Stalin. Doch statt Terror gegen Andersdenkende und Todesangst vor dem Gulag nimmt heute ein Gemisch aus korrupten Beamten, vom Kreml gelenkten Richtern, Staatskonzernen und Oligarchen den Russen die Luft zum Atmen. Die wahre Abstimmung findet so nicht an den Wahlurnen statt, sondern mit den Füßen: Putins harsche innenpolitische Gleichschaltung hat Zehntausende Landsleute ihre kalte Heimat verlassen lassen. Allein 15.000 IT-Spezialisten und dazu weitere Zehntausende Fachkräfte wollen nach Erhebungen von Branchenverbänden 2021 folgen. Mal ehrlich: Sieht so ein „Triumph“ aus?
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