Handelsblatt testet Gesetzlichen Krankenkassen: Für die Zukunft nur bedingt gerüstet

Die Krankenkassen sind immer weniger in der Lage, drohende Defizite aufgrund von Kostensteigerungen aus eigener Kraft auszugleichen.
Düsseldorf Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland haben eine finanzielle Rosskur hinter sich. Im ersten Quartal 2021 meldeten AOKs, Innungs-, Ersatz- und Betriebskassen in Summe rund 16 Milliarden Euro an Rücklagen und liquiden Mitteln. Das ist weiterhin eine stattliche Reserve, die weit über dem liegt, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Ende 2019 hatten die gesetzlichen Kassen allerdings noch rund fünf Milliarden mehr auf der hohen Kante.
Der Aderlass ist politisch gewollt. Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Kassen dazu gezwungen, finanziell abzuspecken, um das Defizit im Gesundheitsfonds auszugleichen. Gleichzeitig hatten die Kassen jedoch wegen des Konjunktureinbruchs im vergangenen Jahr mit zurückgehenden Beitragseinnahmen zu kämpfen.
Gesundheitskosten steigen stetig
Mit der Erholung des Arbeitsmarkts sprudeln auch die Beiträge wieder. Dennoch bekommt die zukünftige Bundesregierung, aber auch die gesetzlich Versicherten und deren Arbeitgeber mit der angespannten finanziellen Situation der Krankenkassen eine Erblast mit auf den Weg. Schließlich sind die Kosten der Coronapandemie bei Weitem noch nicht verdaut.
Bei vielen teuren Therapien etwa im Bereich der Onkologie oder der Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt es einen Rückstau, der aufgelöst werden muss. Die Ausgaben dafür haben sich letztlich nur zeitlich verschoben. Hinzu kommen die allgemeinen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem.
„Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob sich die Kassenbeiträge auf Dauer stabil halten lassen werden“, sagt Thomas Lemke, Geschäftsführer des Deutschen Finanz-Service Instituts (DFSI). „Auch Krankenkassen, die in der Vergangenheit solide gewirtschaftet haben, geraten wirtschaftlich zunehmend unter Druck, weil sie ihre Rücklagen abbauen mussten.
Dadurch sind sie immer weniger in der Lage, drohende Defizite aufgrund von Kostensteigerungen aus eigener Kraft auszugleichen. Im Grunde sind sie – und damit indirekt auch die Versicherten dieser Kassen – für ihre gute Haushaltsführung in der Vergangenheit bestraft worden“, kritisiert der GKV-Experte.
Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zukünftige Beitragssteigerungen bei einer finanziell gut aufgestellten Kasse geringer ausfallen werden als bei Anbietern mit schwächeren Bilanzen. Die Versicherungsexperten des DFSI haben daher nicht nur die Beitragssätze von 70 allgemein geöffneten gesetzlichen Krankenkassen zusammengetragen, sondern auch detaillierte Finanzinformationen von jedem Unternehmen angefordert und systematisch ausgewertet.
Auf dieser Basis haben sie eine gesonderte Ratingnote für die Finanzkraft vergeben – wenn denn die Kasse die entsprechenden Daten auch geliefert hat. „Von den 30 größten Krankenkassen haben die AOK Nordost, AOK Sachsen-Anhalt, Bahn BKK und die BIG Direkt Gesund kein entsprechendes Rating bekommen, weil sie zum wiederholten Mal keine Finanzdaten übermitteln möchten“, stellt Lemke dazu fest.
Dabei wäre dies auch im Sinne der Versicherten, wenn die Kassen hier für mehr Transparenz sorgen würden – zumal die Bewertung der Finanzstärke vor dem Hintergrund potenziell steigender Beiträge in diesem Jahr besonders wertvoll ist für die gesetzlich Versicherten.
Dass nämlich ein günstiger Beitrag allein nicht unbedingt als alleiniges Kriterium für die Wahl einer Krankenkasse taugt, hat in diesem Sommer die BKK 24 bewiesen. Die Betriebskrankenkasse musste im August kurzfristig eine finanzielle Notlage beim Bundesamt für Soziale Sicherung, der Aufsichtsbehörde für die bundesweit geöffneten Krankenkassen, anzeigen.
Über Details zu den Gründen der finanziellen Schieflage hält sich die BKK 24 bedeckt. Klar ist aber, dass der ehemals vergleichsweise günstige Zusatzbeitrag von 1,0 Prozentpunkt, den die Betriebskrankenkasse erhoben hat, bis auf Weiteres Geschichte ist. Mit einem Beitragssatz von 17,1 Prozent gehört die BKK 24 derzeit zu den teuersten Anbietern im Feld.
Der Zusatzbeitrag wird auf den vom Gesundheitsministerium vorgegebenen allgemeinen Beitrag von derzeit 14,6 Prozent aufgeschlagen. Dabei gilt: Die genaue Höhe legt jede Kasse selbst fest. Die Handelskrankenkasse (HKK) bringt dabei wie im Vorjahr das Kunststück fertig, den günstigsten Beitrag aller bundesweit geöffneten Krankenkassen im GKV-Qualitätsrating zu berechnen. Dennoch schafft sie es, die Bestnote „Exzellent“ bei der Finanzkraft einzuheimsen.
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