Private Unfallversicherung: Was der Unfallschutz leisten kann
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VersicherungenWas private Unfallversicherungen leisten und was nicht
Eine Absicherung für dauerhaft bleibende Schäden nach einem Unfall ist sinnvoll. Den richtigen Schutz bieten die Policen allerdings nicht in jedem Fall.
Bei dauerhaften Schäden springt die Unfallversicherung ein.
(Foto: obs)
Frankfurt Bei einem Sturz vom Fahrrad oder von der Leiter bleiben manchmal dauerhafte Schäden zurück. Es empfiehlt sich, wenn der Verunglückte zumindest gegen die finanziellen Folgen abgesichert ist. Versicherer verkaufen daher gerne private Unfallversicherungen. Diese Policen können sinnvoll sein, bieten aber nicht in jedem Fall den richtigen Schutz.
Zwar werden die Zahlen zu Unfällen in Deutschland nicht einheitlich erfasst. Zuletzt hat aber die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eine Gesamtsumme aus verschiedenen Datenquellen ermittelt. Demnach gab es im Jahr 2015 rund zehn Millionen Unfallverletzte und fast 25.000 Unfalltote.
Das bedeutet: Etwa jeder achte Mensch hatte statistisch gesehen hierzulande einen Unfall. Fast 40 Prozent all dieser Unfälle ereigneten sich in der Freizeit.
Dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zufolge hatten die privaten Unfallversicherer 2018 insgesamt 25,4 Millionen Verträge im Bestand. Größter Anbieter ist die Allianz mit über 3,9 Millionen Policen, gefolgt von Debeka und Ergo.
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Für die Versicherungskonzerne ist das Geschäft einträglich: Beiträgen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro standen nur knapp 3,4 Milliarden Euro an gezahlten Leistungen an die Versicherten gegenüber.
Kern der privaten Unfallversicherung ist eine Kapitalleistung. Der Versicherer zahlt diese, sofern eine dauerhafte Schädigung nach dem Unfall zurückbleibt. Dauerhaft heißt in der Regel mindestens drei Jahre – und ohne Aussicht auf Besserung.
Die Police ist also vor allem dafür da, einen größeren Geldbedarf nach einem Unfall zu decken, um beispielsweise ein Fahrzeug oder die Wohnung umzubauen. Die Kosten für die unmittelbare Behandlung nach dem Unfall übernimmt dagegen die Krankenversicherung, die jeder Bürger in Deutschland haben muss.
„Wenn umfangreiche Bergungsarbeiten notwendig sind, die von den gesetzlichen Krankenkassen nur teilweise übernommen werden, zahlt die Unfallversicherung auch diese Kosten, zumindest bis zur vereinbarten Versicherungssumme“, erklärt Bianca Boss vom Bund der Versicherten (BdV). Daher empfehlen Experten die private Unfallversicherung insbesondere Sportlern mit Hobbies wie Paragliding, Skifahren oder Tauchen. „Allerdings sollten Verbraucher ihre Sportart beim Abschluss der Versicherung unbedingt angeben, damit bei einem Unfall dann auch tatsächlich ein Versicherungsschutz besteht“, sagt Elke Weidenbach, Versicherungsreferentin bei der Verbraucherzentrale NRW.
Als Unfall wird indes ein Ereignis bezeichnet, das plötzlich von außen auf den Körper einwirkt. „Stürzt jemand einfach so ohne erkennbaren Grund, zählt das für die Versicherung nicht unbedingt als Unfall“, schränkt das Internetportal „Finanztip“ ein. Ist der Versicherte dagegen über eine Baumwurzel oder eine lose Gehwegplatte gestolpert, gelte das als Einwirkung von außen.
Das Verbrauchermagazin „Finanztest“ weist zudem darauf hin, dass nur sehr gute Tarife zahlen, wenn der Unfall Folge einer Bewusstseinsstörung durch Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch, eines epileptischen Anfalls oder eines Herzinfarkts war.
Kommt es zum Versicherungsfall, zahlt der Versicherer einen Prozentsatz der vereinbarten Invaliditätssumme. Dieser Prozentsatz orientiert sich daran, wie stark der Versicherte in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beschränkt ist. Für einige Körperteile und Sinnesorgane sind feste Prozentsätze vereinbart, die sogenannte Gliedertaxe.
Altverträge wechseln
Finanztest hat private Unfallversicherungen zuletzt im September 2018 unter die Lupe genommen und kam zu dem Ergebnis, dass die angebotenen Tarife sehr unterschiedlich seien. Oftmals werde im Ernstfall zu wenig gezahlt. Die Gliedertaxen unterscheiden sich demnach teilweise, sowohl zwischen einzelnen Versicherern als auch zwischen den verschiedenen Tarifen eines Anbieters.
Ein Betroffener erhalte dadurch je nach Tarif bei gleicher Beeinträchtigung eine unterschiedliche Geldleistung. Gute Policen gebe es schon ab 69 Euro pro Jahr. Auch lohne es sich häufig, Altverträge zu wechseln.
Weidenbach empfiehlt vielen Verbrauchern, einen Vertrag mit einer Invaliditätsgrundsumme von mindestens 100.000 Euro zu wählen. Ist die Familie vom Einkommen des Versicherten abhängig, gilt laut BdV folgende Faustregel: Bei einem 30-jährigen Versicherten sollte die Summe dem sechsfachen Bruttojahreseinkommen entsprechen, bei einem 40-jährigen dem fünffachen Bruttojahreseinkommen und bei einem 50-jährigen dem vierfachen Bruttojahreseinkommen.
Der Tarif sollte zudem eine Progression von 225 bis 350 Prozent bei Vollinvalidität beinhalten. Je höher der Invaliditätsgrad, desto höher fällt die Versicherungsleistung aus. Auch eine Todesfallsumme von 10.000 bis 20.000 Euro halten die Verbraucherschützer für sinnvoll.
Nach einem Unfall sollten Versicherte auch darauf achten, bestimmte Fristen einzuhalten. So sollten sie zügig einen Arzt aufsuchen und am besten auch die Versicherung informieren, selbst wenn noch nicht sicher ist, ob ein dauerhafter Schaden von dem Unfall zurückbleibt. Die Invalidität muss ein Arzt spätestens nach 15 Monaten feststellen, damit der Versicherungsschutz greift.
Möglich ist, die Unfallversicherung mit sogenannten Assistance-Leistungen zu kombinieren. Angeboten werden Dienstleistungen wie etwa ein Menüservice, eine Begleitung bei Arzt- und Behördengängen oder eine Haustierbetreuung. Insbesondere für Senioren kann ein solcher Zusatzschutz sinnvoll sein.
Laut BdV sollten Verbraucher darauf achten, dass der Versicherer diese Hilfsleistungen nicht nur vermittelt, sondern auch die Kosten dafür übernimmt. Zudem steht meist im Kleingedruckten, wie lange diese Leistungen in Anspruch genommen werden können.
Senioren sollten bei der Tarifwahl ihrer Unfallversicherung auch auf den sogenannten Mitwirkungsanteil achten. Dieser sollte mindestens 50 Prozent betragen, damit die Versicherung ganz oder teilweise zahlt, wenn Vorerkrankungen zum Unfall beigetragen haben. Bei der Unfallversicherung einen Tarif mit Prämienrückgewähr zu wählen, hält der BdV hingegen nicht für sinnvoll. Auch auf andere Extras wie eine Dynamik oder ein Unfall-Krankenhaustagegeld sollten Verbraucher eher verzichten.
Absicherung von Arbeits- und Wegeunfällen
Besonders wichtig ist eine private Unfallversicherung für Selbstständige und Personen ohne Beruf. Beschäftigte sind hingegen über ihren Arbeitgeber in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert. Diese ist zur Absicherung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten da. Sie ist neben der medizinischen Behandlung vor allem für die Rehabilitation und Wiedereingliederung des Beschäftigten ins Arbeitsleben zuständig. Bei dauerhaften Schäden zahlt sie auch eine monatliche Rente.
Auch Kitakinder, Schüler und Studenten sind gesetzlich unfallversichert. Der Schutz gilt aber jeweils nur bei der Arbeit, in der Kita, Schule oder Hochschule sowie auf dem Weg dorthin und zurück. „Da dieser Versicherungsschutz jedoch nicht immer und überall gilt und auch keine hohen Kapitalzahlungen für Unfallgeschädigte vorsieht, empfiehlt es sich, ergänzend eine private Unfallversicherung abzuschließen“, rät Finanztest auch für diese Personengruppen.
Was die gesetzliche Unfallversicherung als Arbeits- oder Wegeunfall akzeptiert, ist zudem nicht immer ganz einfach zu beantworten. Im Fall einer Frau, die im Homeoffice arbeitet, ein Glas Wasser trinken wollte und sich auf dem Weg in die Küche verletzte, entschied das Bundessozialgericht (BSG) beispielsweise, dass dies kein Fall für die gesetzliche Unfallversicherung sei (AZ: B 2 U 5/15 R). Das Trinken habe keinen Bezug zur beruflichen Tätigkeit gehabt.
Professor Tim Jesgarzewski, Arbeitsrechtler an der FOM-Hochschule, gab in einem Interview mit der Verlagsgruppe Madsack vor Kurzem zu bedenken, dass der Fall wohl anders ausgegangen wäre, wenn die Frau auf dem Weg vom Arbeitsplatz zur Kantine ausgerutscht wäre.
Solche Grenzfälle führen häufiger zu Streitigkeiten: Erst im Januar hat das BSG mehrere weitere Urteile zur Unfallversicherung gesprochen. Demnach ist auch ein Unfall bei einem Tankstopp auf dem Heimweg nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt (Az. B 2 U 9/18 R), ebenso wenig wie einer auf dem Weg zur Kita bei Homeoffice-Beschäftigten (Az. B 2 U 19/18 R). Wer hingegen nicht von seinem Wohnort sondern von einem dritten Ort aus auf direktem Weg zur Arbeit fährt und einen Unfall hat (Az. B 2 U 2/18 R und Az. B 2 U 20/18 R), kann auf eine Unterstützung durch die Unfallkasse setzen.
Aktuelle Urteile zu Unfällen auf dem Arbeitsweg
Wer bei der Freundin übernachtet und von dort zur Arbeit fährt, ist versichert (Az. B 2 U 2/18 R). In dem Fall ging es um die Frage, ob ein Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte versichert ist, wenn der Arbeitnehmer nicht von zu Hause, sondern von einem dritten Ort aus losfährt. Grundsätzlich gilt: Hat sich der Arbeitnehmer mehr als zwei Stunden an dem dritten Ort aufgehalten, kann der von dort aus angetretene Weg versichert sein. Umstritten ist, welche Entfernung dieser Weg haben darf und ob der Beschäftigte an dem dritten Ort etwas getan haben muss, das mit der Arbeit in Zusammenhang steht. Konkret handelte es sich hier um einen Mann, der polizeilich bei seinen Eltern gemeldet war. Dieser Wohnort ist zwei Kilometer von der Arbeitsstätte entfernt, wo er als Auslieferungsfahrer beschäftigt war. Der Beschäftigte übernachtete aber auch oft bei seiner Freundin und fuhr von dort zur Arbeit, was eine Wegstrecke von 44 Kilometern bedeutete. Der Unfall ereignete sich an einem Morgen auf dem direkten Weg von der Freundin, wo der Mann übernachtet hatte, zu seiner Arbeitsstätte. Für die zahlreichen Verletzungen stellte die gesetzliche Unfallversicherung die Zahlungen ein, da der Unfall nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe. Das Bundessozialgericht stellte sich auf die Seite des Klägers. Die Richter erklärten, dass das Gesetz den Ausgangspunkt für den direkten Weg zur Arbeitsstätte offen lasse und dass unfallversicherungsrechtlich keine Entfernungsgrenze gelte.
Ein Tankstopp auf dem Hin- oder Rückweg ist nicht versichert (Az. B 2 U 9/18 R): Der Arbeitsweg einer Beschäftigten beträgt 75 Kilometer, den sie am Unfalltag mit dem privaten Auto zurücklegte. Die Tankfüllung reichte vor der Heimfahrt aber nur noch für 70 Kilometer, weswegen die Arbeitnehmerin die nächstgelegene Tankstelle ansteuerte. Auf dem Weg zur Kasse rutschte sie auf einem Treibstofffleck aus, wodurch es zu einer Sprunggelenksfraktur kam. Als Arbeits- beziehungsweise Wegeunfall wurde dies nicht anerkannt, weswegen die Frau durch alle Instanzen klagte. Letztlich entschied auch das Bundessozialgericht, dass es sich hierbei um keinen versicherten Wegeunfall handelte. Versichert sei nur der unmittelbare Weg. Diesen habe die Klägerin mehr als nur geringfügig unterbrochen, um einer „privatwirtschaftlichen Verrichtung“, also dem Tanken, nachzugehen. Das Tanken sei eine grundsätzlich unversicherte Tätigkeit. In der Vergangenheit gab es hierzu auch schon anderslautende Urteile. Der Senat stellte aber klar, dass er hieran nicht festhalten wird.
Wer vor der Arbeit im Homeoffice sein Kind zur Kindertagesstätte bringt, ist nicht über die gesetzliche Unfallversicherung geschützt (Az. B 2 U 19/18 R). In dem konkreten Fall arbeitete eine Beschäftigte im Rahmen des Teleworkings von zu Hause aus. Am Tag des Unfalls verließ sie mit ihrer Tochter morgens die Wohnung, um diese mit dem Fahrrad zum Kindergarten zu bringen. Auf dem Rückweg rutschte die Arbeitnehmerin auf Glatteis aus und brach sich das Ellenbogengelenk. Die gesetzliche Krankenversicherung der Frau wollte von der Unfallkasse die Behandlungskosten erstattet haben, was diese ablehnte. Daraufhin klagte die Krankenkasse, hatte vor dem Bundessozialgericht aber keinen Erfolg. Zwar dürfen Beschäftigte auf dem versicherten Arbeitsweg einen Umweg machen, um ihr Kind in den Kindergarten oder eine andere Betreuung zu begleiten. Bei einer Tätigkeit im Homeoffice gibt es aber keinen Arbeitsweg, da hierfür der Ort des privaten Aufenthalts und der Ort der versicherten Tätigkeit auseinanderfallen müssten. Es handelte sich hierbei also nicht um einen Wegeunfall.
Versichert ist, wer von einem Freund aus zum Nachmittagsdienst fährt (Az. B 2 U 20/18 R). Hier ging es erneut um die Frage, ob ein Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte versichert ist, wenn der Arbeitnehmer nicht von zu Hause, sondern von einem dritten Ort aus losfährt. Der Kläger in dem konkreten Fall ist bei einer gemeinnützigen Gesellschaft in der Personenbeförderung tätig. So holt er die Personen morgens von zu Hause ab und bringt sie bis neun Uhr zum Betrieb. Ab 15:30 Uhr holt er sie dort wieder ab und bringt sie nach Hause. Am Tag des Unfalls war er über Mittag bei einem Freund und fuhr am Nachmittag mit dem Motorrad zurück, um seine Arbeit als Fahrer wiederaufzunehmen. Dieser Weg betrug rund 16 Kilometer anstatt der sonst üblichen gut vier Kilometer, die er von zu Hause aus für seinen Arbeitsweg benötigt. Sein Verkehrsunfall wurde nicht anerkannt, da er nicht auf dem versicherten Weg unterwegs gewesen sei, wogegen der Mann klagte. Das BSG gab hingegen dem Mann recht: Es handele sich um einen Wegeunfall, da der Beschäftigte sich auf dem direkten Weg zur Arbeitsstätte befand. Versichert sei auch, wenn der Weg von einem dritten Ort startet, unabhängig davon, was der Mann dort gemacht hatte und dass die Wegstrecke mehr als dreimal so lang wie üblich war. Maßgeblich sei ausschließlich, dass der Fahrer mehr als zwei Stunden bei seinem Freund war, was der Fall war.
Der BdV weist zudem darauf hin, dass die Unfallversicherung grundsätzlich nicht geeignet sei, den Verlust der Arbeitskraft finanziell abzufedern. Hierfür sollten Beschäftigte eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abschließen, die im Versicherungsfall eine Rente zahlt. „Für Menschen, die wegen Vorerkrankungen keine oder nur eine sehr teure BU abschließen können, bietet eine Unfallversicherung aber wenigstens einen gewissen, wenn auch nur punktuellen Schutz“, ergänzt Weidenbach.
Bei Kindern raten Verbraucherschützer zu einer Invaliditätsversicherung. „Sie macht vor allem deshalb Sinn, weil die Wahrscheinlichkeit deutlich höher ist, dass Kinder wegen einer Krankheit invalide werden und nicht wegen eines Unfalls“, sagt Weidenbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Allerdings sind die Beiträge für die Kinderinvaliditätsversicherung deutlich höher als für die Unfallversicherung. Es ist also eine Abwägungssache, was sich die Eltern leisten können oder wollen.
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