Anke Diehl „Vorbild für technikaffine Ärztinnen“

In der Radiologie entdeckt die heutige CTO ihre Faszination für digitale Medizin.
Düsseldorf „Medizinische Bilder von Hirnregionen faszinierten mich direkt“, berichtet Anke Diehl. Diese Begeisterung habe auch ihr ehemaliger Chef beobachtet und schlug der Medizinerin vor, sich zu spezialisieren, um die feinen und winzigen Nervensysteme mittels Technologien zu analysieren. Diehl wechselte in die Neuroradiologie. Heute ist sie Chief Transformation Officer (CTO) an der Universitätsklinik in Essen. Seither hat sie die Arbeit am Patienten ruhen lassen.
Diese Entscheidung bereue sie nicht. Glaubwürdig wirkt ihre Aussage, betrachtet man die Projekte, die sie anleitet: Smarthospital in NRW, neue Finanzierungsmodelle für die Prävention und Frauenförderung in medizintechnischen Berufen. Als erste technische Leiterin erhält sie die Auszeichnung „Medizinerin des Jahres 2021“, die vom German Medical Club im November auf der Medica vergeben wird. Preisträgerin des Vorjahres ist die Virologin Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
„Im ersten Moment war ich natürlich überwältigt, aber auch ein bisschen beschämt, weil so viele Medizinerinnen an wirklich großartigen Dingen arbeiten“, sagt Diehl. Im zweiten Moment habe sie verstanden, dass die Jury ein Signal senden möchte: „Die Medizin wird digital, und wir brauchen Treiber.“
Seit 2021 leitet Diehl das Konsortium „Smarthospital NRW“ zur Gestaltung eines digitalen Krankenhauses, 2018 ist Diehl an die Uniklinik Essen gewechselt. Das Projekt wird mit 14 Millionen Euro von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gefördert, um drei Anwendungsfelder für den Einsatz von KI in Kliniken zu erarbeiten. Beteiligt sind zwei Fraunhofer-Institute, zwei mittelständische Unternehmen und zwei weitere Universitäten. Das Projekt widmet sich etwa der Sprachsteuerung, um zum Beispiel einen individuellen Service für Patienten zu entwickeln.
„Patienten steuern ihre Behandlung“
In dieselbe Richtung geht Diehls Herzensprojekt, das von der Gematik gefördert wird. Das Unternehmen ist für den Aufbau der digitalen Infrastruktur des deutschen Gesundheitswesens zuständig. In einem Patientenportal können Ärzte einzelne Behandlungspfade beobachten. Patienten hingegen sehen Termine, ihre Aufgaben und Behandlungen ein. „Sie werden so aktiver in die Versorgungsstrategie einbezogen und steuern ihre Behandlung mit“, berichtet Diehl. Wartezeiten und Wege verkürzen sich.
Im Gesundheitswesen wird die Preisträgerin als Vermittlerin zwischen Informatik und Medizin geschätzt. „Digitalisierung in Kliniken und im gesamten Gesundheitswesen ist ein Dilemma, wenn Ärzte und Ärztinnen nicht in die Transformation einbezogen werden“, sagt Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Oft fehle das Verständnis für das medizinische Handwerk, den Zeitdruck oder den Austausch mit dem Patienten. Umgekehrt verstünden Ärzte nicht, warum Systeme aus Sicherheitsgründen komplizierter zu bedienen sind.
Diehl bestätigt, dass ihr Arbeitsalltag hauptsächlich darin bestünde, Ärzten bei der Anwendung von Technologien zu helfen – oder Informatiker dabei zu unterstützen, Technologien anwendbar zu gestalten. „Ich führe viele Gespräche auf den Stationen.“ Dabei werde sie auf Augenhöhe wahrgenommen.
Dieser Eindruck entstand während eines Besuches von Handelsblatt Inside eines Serverraums der Uniklinik Essen im vergangenen Jahr: Zwischen den Hausinformatikern fällt Diehl nicht nur wegen ihres eleganten Kleidungsstils auf, sondern auch, weil sie die einzige Frau im Raum ist. Kompetent ergänzt sie ihre Kollegen darin, was etwa passiert, wenn ein Server ausfällt. „Man muss nicht programmieren können, um ein gutes Technologieverständnis zu haben“, sagt die CTO.
Frauen in der Gesundheits-IT kaum vertreten
Diehl ist eine Ausnahme in der Branche. Das belegen Zahlen des European Institute for Gender Equality: Rund drei Viertel der im deutschen Gesundheitswesen Beschäftigten sind Frauen, nur 17 Prozent der ITler in der Europäischen Union sind jedoch weiblich. „IT-Systeme im Gesundheitswesen werden überwiegend von Männern erstellt, aber überwiegend von Frauen genutzt“, hält Diehl fest.
Im Netzwerk „#SheHealth“ setzt sie sich deswegen dafür ein, Frauen in der digitalen Medizin sichtbar zu machen. Preise wie etwa der der Medizinerin des Jahres zeigten, dass die Leistung von Frauen in diesem Fachbereich endlich anerkannt werden würde, sagt Ärztinnenpräsidentin Groß: Diehl werde damit zum Vorbild junger Frauen, denen noch immer eingetrichtert werde, dass ihnen Technik nicht liegen würde. „Ich erinnere mich noch gut an E-Health-Kongresse, an denen unter vielen ITlern nur eine Handvoll Ärzte teilgenommen haben, unter denen ich die einzige Frau war“, ergänzt Groß.
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