Daten dokumentieren Apps werden Vitaldaten und Biomarker brauchen

Durch Vitaldaten und Biomarker können Therapieverläufe gemessen werden.
Berlin Sie sind unbestritten derzeit die Stars der digitalen Gesundheitswirtschaft – Apps im Bereich der Gesundheitsversorgung. Dass ihnen seit Monaten in der breiten Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, haben sie zum großen Teil dem Digitalen Versorgungsgesetz (DVG) zu verdanken. Dadurch haben Hersteller die Möglichkeit, ihre Apps durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattbar zu machen. Einige Gesundheits-Apps haben den Parcours bereits erfolgreich durchlaufen und wurden in die Liste der verschreibungsfähigen Leistungen aufgenommen.
Aktuelle Zahlen beweisen, dass die Gesundheits-Apps von Patienten bereits angenommen werden. Trotz der hohen Nachfrage werden die Chancen für Hersteller auf dem Markt begrenzt sein. Denn am Ende werden nur ausgewählte Apps von Ärzten verschrieben.
Bei Patienten stoßen die digitalen Gesundheitslösungen schon heute auf positive Resonanz: Laut einer repräsentativen Studie der Unternehmensberatung Roland Berger konnten sich im Juli 2020 59 Prozent der Befragten vorstellen, Apps auf Rezept zu nutzen, 34 Prozent wollten die digitalen Alternativen „auf jeden Fall“ anwenden. Drei Monate nach dem Start der gesetzlichen Erstattung wurden bereits mehr als 3000 digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) durch Ärzte verschrieben. Das ergab eine Umfrage unter 18 teilnehmenden Krankenkassen. Das klingt erstmal nach guten Voraussetzungen für Anbieter in einem stark wachsenden Markt.

Roland Berger bezifferte im September vergangenen Jahres außerdem das weltweite Umsatzpotenzial für Digital-Health-Apps bis 2025 auf 979 Milliarden Euro, wovon 57 Milliarden auf Deutschland entfallen. Zum Vergleich: Auf die Europäische Union entfallen 232 Milliarden Euro. Eine weitere Prognose des Marktforschungsunternehmens The Insight Partners liegt bei rund 204 Milliarden weltweit allein für den sogenannten Bereich mobile Health bis 2025. 2017 lag der Umsatz in diesem Segment weltweit bei etwa 19 Milliarden Euro.
Nur wenige Apps werden sich durchsetzen
Bedeutet das künftig große und lukrative Marktchancen für bestehende und neue Player? So einfach ist das leider nicht. Der Markt wird sich in den nächsten drei Jahren auf wenige Apps konsolidieren, weil nur wenige verschiedene Apps für eine Indikation verschrieben werden. Nutzer werden Apps bevorzugen, die ihnen den größten Mehrwert bieten.
Wie stark sich die Aufmerksamkeit auf wenige Apps für einen Anwendungsfall konzentrieren kann, zeigen Meditations-Apps. Vor rund vier Jahren war der Marktanteil für Mental-Health-Apps weltweit noch stark fragmentiert, heute treten die Hersteller hinter den Apps „Calm“ und „Headspace“ dominant auf.
Der Aufbau einer Digital-Health-Lösung beschränkt sich im Kern auf die folgenden drei Hauptkomponenten:
• Anamnese/Onboarding
• Interpretation der Anamnese und Vitaldaten (laufende Daten-Inputs zur Individualisierung der Programme sowie zur Überprüfung des Fortschritt bzw. der Veränderungen)
• Intervention in Form von Content, also Anwendungen
Hierbei muss eine Therapie einen echten Mehrwert für den Nutzer aufzeigen. Sich auf erfolgreich abgeschlossene klinische Studien zu beziehen, wird als alleiniges Verkaufsargument nicht ausreichen. Das wird deutlich, wenn man verfolgt, wie sich momentan die entsprechenden Stellen personell für die Preisverhandlungen auf der Gegenseite aufstellen und verstärken. Für einen echten Mehrwert müssen Apps Eigenschaften der Nutzer interpretieren und individuelle Therapien vorschlagen. Für dieses Verständnis bedarf es Vitaldaten und Biomarker, die laufend erhoben werden müssen, um das Versprechen „Interpretation der Anamnese und kontinuierlicher Vitaldaten“ einzuhalten.
Viele Anbieter stehen noch ganz am Anfang und entwickeln die ersten auf Künstlicher Intelligenz basierten Modelle, die Vitaldaten und Biomarker in die Anwendung einbeziehen. Das Erheben und Auswerten dieser Daten hilft nicht nur bei der Individualisierung der Lösungen, sondern hat das große Potenzial, den Patienten jederzeit ihren Therapiefortschritt anhand grafischer Analysen zu zeigen. Ein besseres Verständnis für den eigenen Status quo und Fortschritt hilft dabei, dass Nutzer länger am Ball bleiben und Therapien bis zum Ende absolvieren. Das Vertrauen in Gesundheitsanwendungen wird dadurch nachhaltig gefördert.
Digitale Gesundheit per App steht kurz vor einem Sprung nach vorne. Dieser Sprung wird allerdings nur Lösungen gelingen, die in der Lage sind, relevante Vitaldaten und Biomarker zu erfassen, zu interpretieren und Therapieerfolge darüber zu steuern – also effektive Mehrwerte für Nutzer generieren.
Matthias Puls ist Geschäftsführer des Berliner Start-ups Kenkou, das eine Anti-Stress-App entwickelt hat. Der Wirtschaftswissenschaftler ist Herausgeber des Buchs „Digitale Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen“, das im April 2020 erschienen ist. Zuvor war er für internationale Unternehmensberatungen tätig, zuletzt bei Baringa Partners LLP in Düsseldorf und London als Berater für Strategie- und Organisationsentwicklung sowie Prozesstransformation.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.