Digitale Ernährungstherapie Gründer von Diabetes-App Oviva sammeln 68 Millionen Euro ein

Mark Jenkins, Kai Eberhardt und Manuel Baumann (v.l.).
Düsseldorf Zu wenig Bewegung und überzuckerte Lebensmittel können zu krankhaftem Übergewicht führen. Die Diagnose lautet dann oft Adipositas. In Deutschland sind laut Weltgesundheitsorganisation etwa 60 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen erkrankt – die Tendenz ist steigend. Mit Adipositas können Folgekrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck einhergehen. Die Gesundheitskosten steigen.
In dem wachsenden Markt setzen auch Investoren auf Innovationen. Etwa auf die des Unternehmens Oviva: Es hat eine App zum Abnehmen entwickelt und nun eine Finanzierungsrunde in Höhe von 68 Millionen Euro abgeschlossen. Mit dem frischen Kapital möchte das Schweizer Scale-up in andere Länder expandieren und sein Angebot erweitern.
Angeführt wurde die Finanzierungsrunde von der belgischen Beteiligungsgesellschaft Sofina und Temasek, einer Holdingfirma der singapurischen Regierung. Unter den Bestandsinvestoren sind Albion-VC, Earlybird, Eight Roads Ventures, F-Prime Capital, MTIP und Angel-Investoren. Insgesamt hat das Unternehmen seit Gründung rund 97 Millionen Euro an Investments eingesammelt.
Gemeinsam mit dem Kinderarzt Mark Jenkins und dem Informatiker Manuel Baumann gründete Kai Eberhardt 2014 Oviva. Nachdem sein Kollege in der Praxis beobachtet hatte, dass adipöse Jugendliche die Ernährungsberatung oft abbrechen, verschob er die Therapie auf das Smartphone: ein Medium, das vor allem Jugendliche anspricht. Seit der Firmengründung zählt Oviva 200.000 Nutzer, die mindestens eine Sitzung besucht haben.
Nach der Anmeldung in der App landen Patienten auf einer Plattform. Dort werden sie über Krankheiten wie Adipositas oder Diabetes informiert und können ihre Mahlzeiten mit einem Foto dokumentieren. Nutzer können auch eintragen, wie aktiv sie waren, wie sie sich fühlen und ob sie Beschwerden haben. In einem Chat beantworten Ernährungsberater Fragen. Schrittzähler eines Handys, eine digitale Waage und ausgewählte Blutzuckermessgeräte können mit dem Smartphone per Bluetooth verbunden werden.
Expansion von Diabetes-App Oviva in Europa geplant
Mit dem frischen Kapital möchte das Unternehmen sein Team bis Ende 2022 von 400 auf 800 Mitarbeiter vergrößern und in weitere europäische Länder expandieren. Auch das Angebot möchte man weiter ausbauen und zum Beispiel mit Unternehmen aus dem Bereich der Psychotherapie kooperieren, sagt der Gründer. So könnte Oviva in Zukunft auch Angstpatienten behandeln, die adipös sind.

Die Wochenübersicht
Derzeit steckt Oviva im Zulassungsprozess des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetzes können Apps als digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) gelistet und von allen gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. „In Deutschland hoffen wir auf die DiGa-Zulassung und werden weiterhin Verträge mit Krankenkassen abschließen“, sagt Eberhardt. In das Siegel setzt er große Hoffnungen: „Wir haben bereits eine relevante Präsenz im Markt und können gut als DiGa starten.“
DiGa-Status ist keine Erfolgsgarantie
Falk Teuscher, Geschäftsführer des Risikokapitalgebers Brückenköpfe, reicht die DiGa-Zulassung nicht, um in ein Unternehmen zu investieren: „Eine digitale Therapie anzubieten, die keine Gesundheitsprofession referenziert, ist ein strategischer Fehler.“ Auf dem deutschen Gesundheitsmarkt müssten Mediziner beteiligt werden, beispielsweise über die medizinischen Fachgesellschaften. Der Oviva-Gründer Eberhardt berichtet, dass man bereits mit den medizinischen Fachgesellschaften in Kontakt stünde.
Eckhardt Weber ist Geschäftsführer des Risikokapitalgebers Heal Capital und schätzt das Wachstumspotenzial von Oviva als vielversprechend ein: „Die Wette bei Oviva ist aus meiner Perspektive, dass sie das Livongo Health aus Europa werden.“ Dabei handelt es sich um ein Start-up, das in den USA 2019 an die Börse gegangen ist und vor wenigen Wochen für rund 16 Milliarden Euro vom Telemedizin-Unternehmen Teladoc aufgekauft wurde.
Finanzierungsrunden von Wettbewerbern wie dem dänischen Start-up Liva Healthcare mit 24,5 Millionen Euro im vergangenen Jahr zeigten, dass Investoren offen für digitale Ernährungsangebote seien. Der Konkurrent Zanadio ist bereits als DiGa gelistet.
Mehr Forschung gefordert
Ute Brehmer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bestätigt Webers Eindruck. Ob eine digitale Ernährungstherapie eingesetzt werde, hänge aber immer vom Patienten ab. „Die Ernährungsberatung basiert auf einem persönlichen Verhältnis, das sowohl in Präsenz als auch online hergestellt werden kann“, sagt sie.
Viele Patienten profitieren laut Brehmer von einer digitalen Beratung, weil sie in ihrer sozialen Umgebung bleiben können. Diesen Vorteil der Online-Therapie listen auch die medizinischen Leitlinien für Adipositas auf, die allerdings im April 2019 abgelaufen sind und derzeit überarbeitet werden.
Klinische Studien zur Wirksamkeit von Ernährungs-Apps gebe es noch nicht. Brehmer fordert deshalb mehr Forschung: „Ich bin mir aber sicher, dass Onlineberatung auch nach der Pandemie im Portfolio vieler Ernährungsfachkräfte erhalten bleibt.“ Denn auch für die Berater schafft die Digitalisierung neue Möglichkeiten wie flexiblere Terminplanung.
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