Elektronische Patientenakte Viele Ärzte weiterhin ohne Zugriff

Seit dem ersten Januar müssen die gesetzlichen Krankenkassen eine elektronische Patientenakte anbieten.
Berlin, Düsseldorf, Köln Die Assistentin eines Düsseldorfer Dermatologen hält einen ausgedruckten Arztbefund in die Höhe und sagt: „Wir haben keine elektronische Dokumentation – davon sind wir auch noch weit entfernt.“ Seit Juli müssen Ärzte, ebenso wie Psychotherapeutinnen, technisch in der Lage sein, die elektronische Patientenakte (ePA) – eine Gesundheits-App der Krankenkassen – einsehen und befüllen zu können.
Wie viele Heilberufler tatsächlich ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen, weiß derzeit aber weder das Bundesgesundheitsministerium (BMG) noch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Das BMG schreibt auf Anfrage: „Konkrete Übersichten liegen dem Bundesministerium für Gesundheit nicht vor.“ Eine Umfrage unter 15 zufällig ausgewählten Ärzten in Köln, Düsseldorf und Berlin zeigt: ePA-fähige Praxen sind die absolute Ausnahme, nicht die Regel.
Nicht nur die Düsseldorfer Dermatologie-Praxis ist technisch nicht ausreichend aufgerüstet. Bei der Befragung des Personals vier weiterer Düsseldorfer Praxen antworten die Angestellten ähnlich wie die Assistentin des Dermatologen: Nein, auf die ePA können wir nicht zugreifen.
In Berlin und Köln hört man ähnliches. Nach der elektronischen Patientenakte gefragt stellt ein Berliner Hausarzt die Gegenfrage: „Was ist das?“ und verweist dann auf das Personal: „Das machen meine Arzthelferinnen“. In einer Kölner HNO-Praxis ist man immerhin dabei, die Praxis auszustatten. Aber: „Das klappt alles noch nicht wie erhofft“, sagt die Fachangestellte. 15 befragte Praxen, 15-mal ein „Nein“ zur elektronischen Patientenakte.
Dabei sollten Heilberufler ihre Praxis bereits seit Juli entsprechend ausgestattet haben. So sieht es das Patientendaten-Schutzgesetz vor. Das Bundesgesundheitsministerium hat aber eine Gnadenfrist gewährt. Wenn „einzelne Leistungserbringer“ vor dem 1. Juli alle erforderlichen Komponenten für die Aufrüstung der Praxis bestellt haben, werden sie im 3. Quartal 2021 nicht sanktioniert, schrieb das Bundesgesundheitsministerium im August auf Anfrage von Handelsblatt Inside. Das dritte Quartal endet am morgigen Donnerstag.
Derzeit ist aber offen, ob mit dem Beginn des vierten Quartals tatsächlich Abschläge fällig werden. Das Bundesgesundheitsministerium antwortet auf Anfrage nicht. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin räumt ein: „Inwieweit Kürzungen vorgenommen werden, wenn bestellte Infrastruktur noch nicht vorhanden ist, ist aktuell offen.“
Wird ein Arzt sanktioniert, zahlt er auf sein Honorar einen Abschlag in Höhe von einem Prozent. Das sind manchmal ein paar hundert Euro im Quartal, bei gut laufenden Praxen kann es sich aber auch um vierstellige Beträge handeln, die einbehalten werden.
Ärzte müssen das Update veranlassen
Damit eine Praxis die ePA befüllen kann, müssen Ärzte ein entsprechendes Update ihrer Praxisverwaltungssoftware aufspielen. Sie benötigen den elektronischen Heilberufsausweis (eHBA), die Praxis muss außerdem an die Telematikinfrastruktur (TI) – das Datennetz des Gesundheitswesens – angeschlossen sein.
Die sichere Verbindung zwischen Praxis und TI wird über Konnektoren hergestellt. Konnektoren sind Hardware-Boxen, die die Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen der Gematik und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erfüllen müssen.
Es gibt drei Konnektoren, die für die elektronische Patientenakte zugelassen sind. Betreiber sind die Unternehmen Compugroup Medical, Secunet und Research Industrial Systems Engineering (RISE). Das erforderliche Update der Compugroup wurde erst Ende Juli freigegeben. Ärzte, die hier Vertragspartner sind, konnten Anfang Juli also gar nicht bereit für die ePA sein.
Deshalb wird bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, die für die Abrechnung von Ärzten in Düsseldorf und Köln zuständig ist, bei der Sanktionierung auch nicht auf den 1. Juli geachtet. Stattdessen überprüfen die KV-Mitarbeiter, ob Ärzte im dritten Quartal die notwendigen Updates des Konnektors und des Praxisverwaltungssystems aufgespielt haben. Datenfelder in der Abrechnung zeigen, wann die jeweiligen Updates vorgenommen wurden. Auch die Berliner KV überprüft in der Quartalsabrechnung veranlasste Konnektoren- und PVS-Updates.
Entweder die 15 befragten Praxen in Düsseldorf, Köln und Berlin werden nun alle sanktioniert, weil sie die entsprechenden Updates nicht in ihren Systemen veranlasst haben. Oder die Software funktioniert nicht. Fakt ist, dass im Oktober wohl ein Großteil der Praxen noch immer nicht auf Inhalte aus der ePA zugreifen kann.
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