Eyal Zimlichman In 20 Jahren operiert der Roboter

(Foto: Sheba Medical Center)
Seit Juli steigt in Israel die Zahl der Neuinfizierten mit Covid-19 stark an. Viele israelischen Bürger haben ihre Impfung zur Jahreswende erhalten, doch der Impfschutz lässt nach sechs bis acht Monaten nach.
Eyal Zimlichman, gelernter Arzt und Forschungschef des Sheba-Krankenhauses, ist dennoch zuversichtlich, dass ein vierter Lockdown in Israel verhindert werden kann. An zentraler Stelle ist gespeichert, wer zu welchem Zeitpunkt eine erste und eine zweite Impfung bekommen hat. So kann auch die dritte Durchimpfung der Bevölkerung zügig geplant werden.
Das Gesundheitssystem in Israel ist nicht nur zu hundert Prozent vernetzt. Auch die elektronische Patientenakte gibt es schon lange, ebenso wie die Videosprechstunde. Im Gespräch mit Handelsblatt Inside blick Zimlichman nach Deutschland und erläutert seine Vision einer digitalisierten Zukunft:
Herr Zimlichman, zählt das deutsche Gesundheitssystem zu den besten der Welt?
Deutschland hat ein Gesundheitssystem auf hohem Niveau, aber es gibt noch ein riesiges Potenzial. Wir wissen, dass die digitale Transformation die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern und die Kosten für die Versorgung senken kann. Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Wie hat Israel die elektronische Patientenakte eingeführt?
Israel hat zwei getrennte Prozesse durchlaufen. Der eine war die lokale Implementierung der elektronischen Patientenakte durch die Krankenkassen und die Krankenhäuser. Parallel dazu gab es eine politische Initiative des Gesundheitsministeriums, die den Datenfluss in ein Datenzentrum ermöglichte, so dass es eine zentrale nationale Akte gibt. Jedes Krankenhaus, jede Versicherung und jeder Grundversorger kann mit seiner eigenen elektronischen Akte arbeiten, aber darüber hinaus gibt es die nationale Patientenakte. Man braucht eine starke nationale Politik, damit man Daten austauschen kann.
Deutsche Psychotherapeuten haben Angst vor Datendieben. Können israelische Psychotherapeuten trotz der elektronischen Patientenakte ruhig schlafen?
Ich glaube nicht, dass das hier ein Thema ist. Alles wird unter Aufsicht gemacht. Im Sheba Medical Center recherchieren wir die Daten und geben sie so weiter, dass die Privatsphäre der Patienten gewahrt bleibt und das Risiko auf ein Minimum reduziert wird.
War das immer so?
Vor sechs, sieben Jahren hatten wir eine große Diskussion darüber, ob ein israelischer Bürger dem Staat sein Einverständnis geben muss, wenn seine Daten zentral gespeichert werden. Die Frage war: Brauchen wir die Zustimmung des Patienten oder reicht eine Widerspruchsmöglichkeit aus? Wir haben uns für die Widerspruchsmöglichkeit entschieden. Letzten Endes haben sich weniger als zwei Prozent der Bürger dagegen ausgesprochen. Die Widerspruchsmöglichkeit hat das Leben sehr viel einfacher gemacht und den gesamten Prozess beschleunigt.
Israel war so schnell mit der Impfkampagne, weil das Gesundheitssystem weitgehend digitalisiert ist. Allerdings gab es auch Kritik von Datenschützern. Sie haben Patientendaten an das Pharmaunternehmen Pfizer weitergegeben, ohne vorher die Zustimmung der Patienten einzuholen. Sind die Bürger seit diesem Vorfall vorsichtiger geworden?
Ich glaube, die Journalisten hier in Israel haben versucht, aus einer Nichtigkeit eine große Geschichte zu machen. Es handelte sich um aggregierte Daten, die besagen, dass 80 Prozent den Impfstoff erhalten haben und 20 Prozent eine Durchbruchinfektion hatten. Es gibt kein datenschutzrechtliches Problem, wenn man keine Daten auf Patientenebene weitergibt.
Sie speichern die Daten derzeit noch auf lokalen Servern, denken Sie über Cloud-Lösungen nach?
Wir beginnen, uns in diese Richtung zu bewegen. Ich denke, das Risiko der Datenspeicherung in der Cloud ist nicht höher als das Risiko der Speicherung in physischen Servern. Es stellt sich die Frage, ob die Cloud lokal oder in einem anderen Land untergebracht werden kann. Oft haben die großen Cloud-Unternehmen wie Google und Amazon ihre Server für die Cloud-Daten in verschiedenen Teilen der Welt aufgestellt.
Für einen deutschen Patienten ist es ungewohnt, wenn der Arzt nicht ihn, sondern den Bildschirm anschaut. Haben sich israelische Patienten an den Arzt im Videochat gewöhnt?
Telemedizin-Patienten müssen nicht mehr ins Krankenhaus fahren, keinen Parkplatz mehr suchen und nicht mehr in der Klinik warten. Man kann zu Hause bleiben und bekommt eine Nachricht auf sein Telefon, dass der Arzt bereit ist, einen zu empfangen.
Wenn wir in der Lage sind, über den Bildschirm eine gute Qualität der Gesundheitsversorgung zu bieten, wird dies auch geschehen. In Israel gibt es bereits verschiedene Unternehmen, die das können. Im Rahmen von Covid haben viele unserer Ärzte begonnen, diese Technologie zu nutzen. So können sie jetzt Herz und Lunge eines Patienten abhören, der vielleicht meilenweit entfernt ist, und sie erhalten das gleiche Ergebnis, als ob der Patient neben ihnen stünde.
Wie wirksam sind Gesundheits-Apps, mittels denen Patienten ihre Krankheit managen können?
In der Zukunft werden Ärzte Apps genauso verschreiben wie Medikamente. Die App sammelt Daten, liefert Informationen, viele haben bereits Künstliche Intelligenz implementiert. Wir bewegen uns in eine Zeit, in der Apps möglicherweise stärker reguliert werden. Ich weiß, dass Sie in Deutschland in dieser Hinsicht schon recht weit sind. In Israel haben wir noch keine robuste Regulierung, das ist etwas, das jetzt aufgebaut wird.
In Deutschland und in Israel wird der OP-Roboter schon länger eingesetzt. Wird er bald ohne Kontrolle des Arztes operieren?
Ja, das wird passieren. Wenn der Arzt heute mit dem Roboter arbeitet und eine Arterie durchschneidet, die er nicht durchschneiden soll, gibt es keine Warnung. Aber in ein paar Jahren wird es eine Warnung geben. Vielleicht können sie die Operation sogar nicht zu Ende führen, weil der Roboter dies nicht zulässt.
Dies ist die erste Stufe. Die zweite Stufe, die weitere fünf bis zehn Jahre in Anspruch nehmen wird, ist der Autopilot von Robotern. Wenn wir heute in Verkehrsflugzeugen fliegen, ist das Flugzeug die meiste Zeit der Reise auf Autopilot. Das Gleiche werden wir bei der Chirurgie erleben. 90 Prozent der Operationen werden per Autopilot durchgeführt. Das wird unsere Chirurgie sehr verbessern, weil Roboter die Fähigkeit haben, an Orte zu gelangen, die menschliche Hände nicht erreichen können.
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