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Gastkommentar Vier Jahre ‚einfach machen‘ sind zwei zu viel

Stillstand ist am besten zu überwinden, indem man wie Jens Spahn einfach loslegt. Doch das ist nicht nachhaltig, sagen Dennis Geisthardt und Thomas Möller.
23.06.2021 - 18:55 Uhr Kommentieren
Beide sind politische Referenten beim Bundesverband Gesundheits-IT. Quelle: bvitg e.V.
Dennis Geisthardt (l.), Thomas Möller

Beide sind politische Referenten beim Bundesverband Gesundheits-IT.

(Foto: bvitg e.V.)

Es ist eine fast schon philosophische Frage: Weg oder Ziel? Einfach machen oder strategisch planen? In der Digitalisierung des Gesundheitswesens liegt die richtige Antwort, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Lange hatte die Politik die Gelegenheit, ein klares Ziel zu formulieren, den Weg in eine digitalisierte Gesundheitsversorgung vorzubereiten. Dann hätte sie die Transformation sukzessive und entlang nachvollziehbarer Wegmarken ausgestalten können. In der Realität sucht man eine solche Herangehensweise jedoch vergebens.

Endlich anzufangen – einfach mal loszulaufen in Richtung Digitalisierung – erscheint als verlockender, gar logischer Ansatz, wenn das Gesundheitssystem wie in Deutschland im internationalen Vergleich einen Rückstand aufzuholen hat. Keine Frage: Zu Beginn war das erfolgreich, um endlich den jahrelangen digitalen Stillstand zu durchbrechen. Doch was kommt nach diesen ersten Schritten der vergangenen Jahre? Wo wollen wir als Gesellschaft mit unserem digitalen Gesundheitswesen hin?

Die Agilität und das Tempo der derzeit Verantwortlichen im Bundesgesundheitsministerium haben den gewünschten Effekt, Bewegung in das Thema zu bringen, nicht verfehlt. Dafür stellen sie die übrigen Akteure, von der Ärzteschaft über Krankenkassen bis hin zur Industrie, vor enorme Herausforderungen. Denn die Digitalisierungspolitik von Minister Spahn folgt keinen erkennbaren Prinzipien, keiner Roadmap, keiner schlüssigen Strategie.

Beispiele gibt es zahlreich: Während das Patientendaten-Schutz-Gesetz zwar die Nutzung von Patienten- und Gesundheitsdaten zur Verbesserung der Versorgung grundsätzlich ermöglicht, wurde der wichtigste Innovationstreiber, die industrielle Forschung, übergangen. Ein kleiner Kreis staatlicher Institutionen hingegen erlangt Quasi-Monopolrechte beim Datenzugang. Das Resultat sind neue vermeidbare Hindernisse, die effektiv zulasten der Patientenversorgung gehen.

Auch dem grundsätzlich vielversprechenden Krankenhauszukunftsgesetz fehlt in der Realität eine konsequente strategische Ausrichtung, insbesondere im Zusammenspiel von Bundes- und Landesebene.
So ist neben teilweise kaum umsetzbaren landesspezifischen Antragsfristen vor allem bedenklich, dass die Förderungen für manche Kliniken ähnlich attraktiv erscheinen wie stattdessen einfach die entsprechenden Sanktionierungen hinzunehmen, wenn sie bestimmte Digitalisierungsziele nicht erreichen. Dadurch werden nicht nur die Ziele des Gesetzes konterkariert, sondern wesentliche Digitalisierungschancen verschenkt.

Abstrakte Phrasen müssen endlich einer Strategie weichen

Die Grenze, an der ‚einfach machen‘ zum Erfolg führt, ist also längst überschritten. Es fehlt insgesamt an überprüfbaren Wegpunkten und Leitlinien zur Orientierung, nicht nur für die regulatorischen Aktivitäten im Ministerium, sondern vor allem für die praktischen Digitalisierungsanstrengungen aller Akteure im deutschen Gesundheitswesen. Kurzum: Es fehlt die explizite Formulierung eines Zielbildes zur Bündelung und strategischen Ausrichtung aller Digitalisierungsaktivitäten.

Obwohl die Forderung nach einem Zielbild für die Digitalisierung des Gesundheitswesens bereits zu Beginn der laufenden Legislaturperiode von verschiedenen Institutionen gefordert wurde, bleibt der politische Handlungswille in diese Richtung schwer erkennbar.

Abstrakte Phrasen und Forderungen nach einem modernen Gesundheitswesen müssen endlich einer klar formulierten Strategie weichen. Andere Nationen wie Schweden haben die Notwendigkeit eines solchen Ansatzes bereits lange verstanden und entsprechende Zielbilder erfolgreich etabliert.

Bei aller Bewegung, die Jens Spahn und sein Ministerium in das Gesundheitswesen gebracht haben, haben sie es bis heute versäumt, die erreichten Meilensteine als Grundlage zu nutzen, um sie in einer übergreifenden Strategie zu bündeln und so die Kontinuität über die nächsten Legislaturen sicherzustellen. Es liegt nun in der Hand des zukünftigen Gesundheitsministers oder der zukünftigen Gesundheitsministerin, diese Weitsicht systematisch in der deutschen digitalen Gesundheitspolitik zu verankern.

Dennis Geisthardt ist politischer Referent beim Bundesverband Gesundheits-IT (Bvitg) und dort unter anderem für die Themenbereiche Datennutzung, Cloud-Computing und innovative Technologien sowie für den Bereich Datenschutz und IT-Sicherheit zuständig. Vor seiner Tätigkeit beim Bvitg absolvierte der Staatswissenschaftler Stationen im politischen Umfeld in Berlin, Brüssel, Luxemburg und Washington.

Thomas Möller ist ebenfalls politischer Referent beim Bvitg. Er ist unter anderem für Fragen rund um die Digitalisierung im Krankenhaus, in der Pflege, im Bereich der Sonstigen Leistungserbringer sowie für das Thema Künstliche Intelligenz zuständig. Zuvor war der examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger und Politikwissenschaftler im Abgeordnetenbüro der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, tätig.

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