Google Digitales Sprachwerkzeug für Kranke

Google entwickelt eine Künstliche Intelligenz für Menschen mit einer Sprachstörung.
Düsseldorf Menschen sitzen zusammen und reden miteinander: über das Herbstwetter oder steigende Inzidenzen. Aubrie Lee führe fast nie Smalltalk, sagt sie in einer Videobotschaft auf einer virtuellen Google-Veranstaltung. In Gesellschaft sei sie aber gerne. Aufgrund einer angeborenen Muskelerkrankung verstünden sie andere Personen nur schwer.
Lee wünscht sich ein Sprachwerkzeug für den Alltag, mit dem sie ihre Sprache für andere verständlich übersetzen kann. Bei Google ist sie im Marketing-Team und für das „Project Relate“ verantwortlich. Die Android-App wird entwickelt, um Menschen mit einer Sprachbehinderung zu unterstützen.
Alex Waibel ist Professor für Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und hält den Plan von Google für keine technologische Herausforderung mehr. „Spannender ist weiterhin, die Technologie so zu entwickeln, dass sie sich mit wenigen Daten einer Person auch schnell auf sie einstellen kann.“
Noch wird die Google-Anwendung in Australien, Kanada, Neuseeland und in den USA an Menschen mit einer Sprachstörung getestet. „Wir hoffen, dass wir die App bald auf den Markt bringen können“, sagt Google. Bislang sei sie nur in englischer Sprache verfügbar.
Vor der ersten Anwendung werden Nutzer dazu aufgefordert, 500 Sprachproben in der App zu speichern. 48 Stunden später ist das digitale Sprachwerkzeug in der Regel einsatzbereit. „Natürlich kann Google nicht erwarten, dass Anwender 10.000 Stunden Sprachaufnahme aufzeichnen, bevor sie die App benutzen können“, sagt der Informatiker Waibel. Die Innovation sei also, eine robuste KI zu entwickeln, die mit wenigen Individualdaten zuverlässig funktioniert.
Über die Funktion „Zuhören“ in der App wandelt die KI dann Wörter und Sätze des Benutzers um, sodass sie von anderen gelesen werden können. Bei „repeat“ wird das Gesagte verarbeitet und verständlich wiederholt. Durch einen Klick auf „Assistant“ wird die Sprache direkt an den Google-Assistenten für allgemeine Aufgaben wie das Abspielen von Musik weitergeleitet.
„Eine KI, die Sprache erfasst und in eine andere oder Bilder oder Schrift übersetzt, ist mittlerweile eine Technologie, die wir und andere in den Einsatz bringen“, sagt Waibel. Das Google-Sprachwerkzeug basiert auf dem Vorgänger Project Euphonia für Menschen mit der Nervenkrankheit ALS. In Zusammenarbeit mit dem ALS Therapy Development Institute und der ALS Residence Initiative hat Google die KI mit Sprachaufnahmen von Patienten trainiert.
Geleitet wurde das Projekt von dem Google-Wissenschaftler Dimitry Kanevsky, der ebenfalls unter einer Sprachstörung leidet. Laut Google sei dieses Datenset aber zu klein gewesen, in Project Relate habe man die Anwendergruppe auf viele Sprachstörungen vergrößert. Mittlerweile basiere die Technologie auf „über einer Million Sprachproben“, teilt Google mit.
Übersetzungs-KI hilft in Krisensituationen
Intelligente Sprachübersetzer werden heute branchenweit eingesetzt: Zum Beispiel in Krisensituationen, in denen sich Menschen unterschiedlicher Herkunftsländer austauschen können. Psychotherapeuten testen die Technologie hierzulande, um sich mit traumatisierten Geflüchteten in deren Muttersprache zu unterhalten. Am KIT übersetzt die KI das gesprochene Wort Dozierender für Studenten aus dem Ausland.
Auch Wettbewerber auf dem IT-Markt zeigen Interesse: Im Juli kaufte der Videokonferenz-Anbieter Zoom das Start-up Kites, das eine intelligente Echtzeit-Übersetzung entwickelt hat. Zoom konnte dadurch Untertitel in verschiedenen Sprachen in seine Software integrieren.
Obwohl die derzeitige Entwicklung vielversprechend klingt, sind intelligenten Kommunikationsprogrammen auch Grenzen gesetzt. Denn anders als der Mensch kann eine KI sich nicht selbstständig und in sehr kurzer Zeit auf Veränderungen einstellen. Neuronale Netze müssen fortlaufend mit neuen Daten gefüttert werden. „Vor zwei Jahren wusste kein Mensch, was das Wort Covid-19 bedeutet – heute ist es uns allen ein Begriff, über den wir immer wieder etwas Neues lernen“, sagt Waibel. Eine KI könne dieses Lernniveau wohl nie erreichen.
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