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Herzbegleiter Gründerpaar will Pflegeberatung per Video ermöglichen

Seit der Pandemie kann die Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen online erfolgen. Das Start-up Herzbegleiter hat daraus ein Geschäftsmodell entwickelt.
27.10.2021 - 19:22 Uhr Kommentieren
(Foto: Unternehmen)
Gründerduo: Gülsen und Thomas Heinrich

(Foto: Unternehmen)

Thomas und Gülsen Heinrich kennen das Geschäft der ambulanten Pflegeversorgung. Gemeinsam führten sie ein ambulantes Pflegeunternehmen mit knapp 250 Angestellten, das sie im Jahr 2017 verkauften. Jetzt ist Geld da. Das Unternehmerpaar investiert es in ein digitales Pflegeangebot.

Im vergangenen Jahr haben sie das Start-up „Herzbegleiter“ gegründet, um Angehörige von Pflegebedürftigen und ambulante Pflegekräfte digital zu beraten. Seit Kurzem ist die Herzbegleiter-App verfügbar. Laut Thomas Heinrich hat das junge Unternehmen zehn Angestellte, Pflegekräfte beraten auf freiberuflicher Basis. Ob das Start-up schnell aus den roten Zahlen kommt, ist allerdings unsicher.

Denn der 55-Jährige und die 42-Jährige verdienen mit ihren Produkten noch kein Geld. Da wäre zunächst die Digitale Pflegeanwendung (DiPa), auf die die Heinrichs mit ihrer App abzielen. Wenn es nach dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG) geht, müssten sie schon eingeführt sein. Es gibt aber noch nicht einmal einen Fast-Track-Leitfaden, der Genaueres zur Zertifizierung regelt.

Die Kosten für die App-Entwicklung waren beträchtlich. „Wir haben rund eine Million Euro in unsere App investiert“, sagt Thomas Heinrich. Wenn aus der jetzt als Medizinprodukt zertifizierten App eine DiPa werden soll, kommen Mehrkosten hinzu. Bislang kann die App kostenlos heruntergeladen werden.

Immerhin ist absehbar, dass die DiPa im Jahr 2022 eingeführt wird. Ob es die Videoberatung, das zweite wichtige Standbein von Herzbegleiter, dann noch gibt, ist hingegen offen. Eine Ausnahmeregelung macht es derzeit möglich, dass Angehörige von Pflegebedürftigen per Video beraten werden. Diese Ausnahmeregelung wurde mehrmals verlängert, zuletzt bis zum 31.12.2021. Die Videoberatung hat Herzbegleiter zwar bereits in Pilotprojekten getestet, sie wird aber noch nicht abgerechnet.

Menschen ab Pflegestufe 2 müssen sich beraten lassen

Derzeit gibt es zwei Beratungsangebote für Pflegebedürftige: eine freiwillige Beratung, die in der Regel zu Beginn der Pflege durchgeführt wird, und die verpflichtende Beratung für Menschen ab Pflegegrad 2, die keine Unterstützung durch einen Pflegedienst erhalten. Letztere ist für das Unternehmen Herzbegleiter interessanter, weil diese verpflichtende Beratung regelmäßig stattfindet. Bei Menschen mit Pflegestufe 2 und 3 wird zweimal im Jahr beraten, bei Pflegebedürftigen der Stufe 4 oder 5 viermal im Jahr. Wer die Beratung nicht in Anspruch nimmt, bekommt weniger Pflegegeld. Insgesamt leben in Deutschland knapp drei Millionen Menschen mit Pflegestufe 2 bis 5. Der Beratungsbedarf ist riesig.

Der Stundenlohn für eine Beratung wird zwischen den Pflegekassen und den Bundesländern vereinbart. Er liegt zwischen 30 und 80 Euro. In der Theorie bearbeiten die Herzbegleiter also ein vielversprechendes Geschäftsfeld. Das Problem: Die Beratung per Video ist nicht etabliert.

Das liegt nicht nur daran, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen sich wieder ändern könnten, sprich, dass die Videoberatung nicht mehr abgerechnet werden kann. Auch die Pflegekassen, die die Kosten übernehmen, sehen eine digitale Beratung zum Teil kritisch, weiß Stephan Mende, Referent für ambulante Pflege und Hausnotruf des Deutschen Roten Kreuzes in Nordrhein: „Die Vergütungsverträge sind den normalen Versorgungsverträgen angeschlossen“, erklärt Mende. „Die Versorgungsverträge wurden bei der Gründung der Pflegeversicherung ausgehandelt, die ist bekanntlich schon ein paar Jahre her.“ Die Pflegeversicherung wurde am 1. Januar 1995 als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung eingeführt. Die Bestimmungen zur Pflegeberatung kommen aus einer Zeit, als man sich noch mit piepsenden Modem ins Internet einwählte.

Bei der Compass-Pflegeberatung, einer Tochtergesellschaft des Verbands der Privaten Krankenversicherungen mit 500 festangestellten Pflegeberatenden, wird per Telefon, per Video und vor Ort beraten. Seit Anfang des Jahres sei eine hohe vierstellige Zahl an Videoberatungen durchgeführt worden, sagt Jana Wessel von der Abteilung Politik und Kommunikation des Unternehmens. Sie sieht die Videoberatung positiv: „Bei der Telefonberatung höre ich Angehörige lediglich, per Video kann man sie auch sehen.” Auch würden pflegende Angehörige und zu Pflegende oftmals in verschiedenen Städten wohnen, ein Besuch vor Ort sei so schwierig zu planen: „Bei der Videoberatung können die Eltern in Hamburg mit den Kindern in München zusammengeschaltet werden.“

Die Erfahrungen mit der eigenen Videoberatung hat die Compass-Pflegeberatung evaluiert und die Ergebnisse Fachkreisen zur Verfügung gestellt. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Videoberatung als Ergänzung zur Pflegeberatung per Telefon und vor Ort sinnvoll ist“, sagt Wessel.

Thomas Heinrich ist zuversichtlich: „Ich bin überzeugt davon, dass es im Koalitionspapier entsprechende Bekenntnisse zum bereits eingeschlagenen Weg digitaler Ergänzungen in der Pflege geben wird.“ Zum Jahreswechsel könnte die Videoberatung vorläufig verlängert werden, das wäre ein kleiner Erfolg für die Herzbegleiter.

Mehr: Digitale Pflege in Sondierungspapier aufgenommen

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