Innovationsfonds Kein einziges Digital-Health-Projekt kommt in die bundesweite Versorgung

(Foto: IMAGO/Westend61)
Köln Es wird in Deutschland zu viel operiert, findet der Arzt und Unternehmer Jens Ulrich Rüffer. Patienten wissen oft nicht, dass ein Fernbleiben vom OP-Tisch manchmal heilsamer ist. Um hier aufzuklären, hat Rüffer mit der Uniklinik Kiel und anderen Partnern Online-Entscheidungshilfen für Patienten entwickelt. „65 von 83 Entscheidungshilfen sind bereits fertig“, sagt er.
Der Innovationsfonds, ein Förderinstrument des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), unterstützt das Projekt mit 14 Millionen Euro. Nun läuft die Förderung am 30. September aus. Rüffer weiß nicht, ob die aufwendig produzierten Online-Trainings mit Videoinhalten und erdachten Entscheidungsbäumen danach von den Kassen bezahlt werden. Es wäre eine Premiere – kein einziges mit dem Innovationsfonds gefördertes Projekt mit Schwerpunkt Digital Health wird bislang bundesweit von den Kassen erstattet.
Dabei ist genau dies der Sinn des Innovationsfonds: Die sektorübergreifende Versorgung und Forschung soll verbessert werden, also zum Beispiel die Verknüpfung von Hausarzt und Krankenhaus. Dafür stellen die gesetzlichen Krankenkassen jedes Jahr 200 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Entwicklung neuer Versorgungsformen liegt die Fördersumme pro Projekt zwischen 300.000 und 20 Millionen Euro. Bei der Versorgungsforschung reicht die Spanne, laut Innovationsfonds, von 180.000 bis 5,6 Millionen Euro.
Letzte Woche hat der G-BA bekannt gegeben, dass 52 neue Projekte aus der Versorgungsforschung starten können. Zwei Projekte mit einem Schwerpunkt in der Künstlichen Intelligenz sind darunter.
Rüffers Projekt steht kurz vor dem Ende. Seine 14 Millionen Euro für die Entscheidungshilfen sind fast aufgebraucht. Nach Projektabschluss hat er ein halbes Jahr Zeit, um den Abschlussbericht zu schreiben, den der Innovationsausschuss innerhalb von drei Monaten begutachtet und möglicherweise für die bundesweite Erstattung vorschlägt. Eine Empfehlung vom Innovationsausschuss ist aber eher die Ausnahme als die Regel.
Josef Hecken ist unparteiischer Vorsitzender des G-BA und des Innovationsausschusses: „Projekte mit schwacher Evidenz haben bei mir keine Chance“, sagt er. „Bei bislang zwölf beendeten Projekten mit Schwerpunkt Digital Health gab es deshalb nur bei zweien eine Empfehlung.“
Eine Lücke von knapp zwei Jahren
Selbst wenn eine neue Versorgungsform in die Regelversorgung kommt, vergehen in jedem Fall knapp zwei Jahre nach Projektende, bis die Kosten übernommen werden. Große Pharmaunternehmen oder die Wissenschaft können diese Jahre überbrücken. Bei Technik- und Software-Unternehmen ist eine Idee dann längst veraltet.
Zudem stellt sich die Frage, wie einmal aufgebaute Strukturen erhalten werden. Das Personal und die Technik müssen bezahlt werden. Rüffer hat eine Übergangslösung ausgehandelt, damit die Entscheidungshilfen zumindest in Kiel weiterhin benutzt werden: „60 Prozent der Kosten übernimmt die Techniker Krankenkasse (TK), die restlichen 40 Prozent trägt die Uniklinik Kiel selbst“, sagt er.
Antragsteller anderer Digital-Health-Projekte haben die Bezahlung mit ähnlichen Übergangslösungen sichergestellt. Gernot Marx, Direktor der intensivmedizinischen Abteilung der Uniklinik Aachen und Projektverantwortlicher des Virtuellen Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen (NRW), hat nach Projektbeendigung im März 2020 das Land NRW dafür gewinnen können, die größten Posten der Rechnungen weiter zu bezahlen. Beim Virtuellen Krankenhaus werden Intensivmediziner kleiner Häuser telemedizinisch mit den erfahrenen Kollegen aus Universitätskliniken vernetzt. So können zum Beispiel Corona-Patienten mit komplizierter Krankengeschichte in kleinen Häusern bleiben.
Björn Broge vom Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (Aqua) hat zusammen mit Partnern eine Software entwickelt, die die Überführung eines Klinikpatienten in die Reha-Einrichtung verbessern soll. Das Projekt endete 2018. Dank eines Folgeprojekts, wieder gefördert vom Innovationsfonds, läuft es weiter, so dass die Finanzierung gesichert ist.
Keine Marktkenner in der Jury
Die Erstbewertung der Anträge für den Innovationsfonds wird unter anderem von Wissenschaftlern, Leistungserbringern und Kassenvertretern vorgenommen. Manche Digital-Health-Unternehmer fordern, dass auch Marktkenner, wie etwa Investoren, einbezogen werden. So könnte der Übergang nach Projektende reibungsloser verlaufen. Josef Hecken hält nichts von dieser Idee: „Es gibt bis zu 20 Millionen Euro Förderung für neue Versorgungsformen. Damit soll Evidenz für innovative und kreative Ideen geschaffen werden, die eine Versorgung verbessern. Mir geht es nicht darum, Business-Modelle zu befördern“, sagt er.
Dennoch sieht es auch Hecken problematisch, dass die Geldquelle nach Projektende versiegt: „Meine Idee war, für einen bestimmten Zeitraum der Überbrückung Gelder vorzusehen. Das hat der Gesetzgeber abgelehnt.“
Seit 2016 gibt es den Innovationsfond, viele Projekte wurden aber noch nicht bewertet. „In diesem und im nächsten Jahr bekommen wir die Masse der Berichte aus der ersten Förderwelle“, sagt Hecken. Die Projektverantwortlichen werden sich dann Übergangsfinanzierungen überlegen müssen. Wenn das nicht klappt, wird die innovative Idee zur Karteileiche.
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