Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Mimi Hearing 22 Millionen Euro für besseres Hören

Das Berliner Unternehmen erstellt individuelle Hörprofile und passt Fernseher und Kopfhörer den Hörfähigkeiten an. Investoren haben große Hoffnungen, Ärzte sind hingegen skeptisch.
14.12.2021 - 22:57 Uhr Kommentieren
Anbieter von TV-Geräten integrieren die Software von Mimi Hearing, um den Klang zu verschönern. Quelle: dpa

Anbieter von TV-Geräten integrieren die Software von Mimi Hearing, um den Klang zu verschönern.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Nicht nur alte Menschen müssen den Fernseher lauter drehen. In Serien kann bereits eine Schauspielerin mit einer nasalen Stimme schlecht zu verstehen sein. Auch ein unglücklicher Mix aus Geräuschen, schnellen Dialogen oder Hintergrundmusik erschwert die Verständlichkeit.

Technikanbieter wie Philips, Loewe oder Skullcandy integrieren spezielle Software in ihre TV-Geräte oder Kopfhörer, die den Klang an individuelle Hörfähigkeiten anpasst. Auch Streamingdienste sind auf die Audio-Technologie aufmerksam geworden. Das Unternehmen hinter der Innovation heißt Mimi Hearing und hat nun 22 Millionen Euro (25 Millionen US-Dollar) Investment eingesammelt, wie Handelsblatt Inside erfuhr.

Angeführt wird die B-Finanzierungsrunde von MIG Capital, einem führenden Wagniskapitalgeber aus München. Neu unter den Investoren sind auch das Family Office ATHOS von Andreas und Thomas Strüngmann und das Family Office von Helmut Jeggle. Beim Thema Unternehmensaufbau sei vor allem die „langfristige Denkweise, Ruhe und Ausdauer“ dieser Investoren überzeugend, sagt Moritz Bratzke, CFO von Mimi Hearing.

Die zwei Family Offices pflegen zudem Kontakte in die Hörgeräteindustrie, da Strüngmann bereits als Investor und Jeggle als Vorstandsmitglied bei der Hörgeräte-Sparte „Sivantos“ von Siemens aktiv waren. „Diese Verbindungen sind für Mimi sehr spannend und strategisch relevant“, sagt Bratzke.

Starke Marktmacht von etablierten Herstellern

Eckhardt Weber war vor seiner Zeit als Geschäftsführer des Risikokapitalgebers Heal Capital in Mimi Hearing investiert. Als „grandiose Technologie“ bezeichnet er die Software. „Der medizinische Markt für Hörgeräte ist aber komplex“, gibt er zu Bedenken. „Gerade Hersteller von Hörgeräten haben eine extrem starke Marktmacht und ein großes Interesse daran, weiterhin Hörgeräte zu verkaufen.“

So erwirtschaftete WS Audiology laut dem Onlineportal Statista im Jahr 2020 weltweit einen Umsatz von rund 1,74 Milliarden Euro mit Hörgeräten. Am deutschen Markt führt Amplifon: Das italienische Unternehmen macht 2020 einen Umsatz von rund 1,56 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 wurden allein in Deutschland rund 1,3 Millionen Hörgeräte verkauft. Hierzulande nutzen rund 3,7 Millionen Schwerhörige ein Hörgerät.

Verschmelzung von Unterhaltung und Medizin

Heal-Capital-Geschäftsführer Weber halte es für wahrscheinlich, dass die Hörgerätehersteller in den kommenden zehn Jahren für reine Softwarelösungen wie Mimi offen sind. Derzeit ist das Unternehmen noch am Selbstzahlermarkt unterwegs: Menschen ohne schweren Hörschaden nutzen die Technologie in Endgeräten wie Smartphones, TV oder Kopfhörern. Eigenen Angaben zufolge macht das Unternehmen einen Jahresumsatz im siebenstelligen Bereich. „Wir werden aber aufgrund bereits unterschriebener neuer Kundenverträge größere Sprünge in 2022 und 2023 sehen“, sagt Bratzke.

In Zukunft rechne er zudem fest damit, dass die Märkte miteinander verschmelzen, sodass Mimi auch am Medizinmarkt eine Chance hat. Am Selbstzahlermarkt kommt die Software jedenfalls gut an: Über zwei Millionen Menschen haben ihre Hörfähigkeiten in 15 Sprachen bislang mit dem digitalen Hörtest analysiert.

In knapp zwei Minuten müssen Anwender verschiedene Testtöne auf ihre Verständlichkeit bewerten. Eine Künstliche Intelligenz (KI) wertet die Ergebnisse anhand von 140 Parametern aus, um ein persönliches Hörprofil zu erstellen. Wenn Nutzer die Hardware danach einsetzen, wird dieses automatisch eingeschaltet und der Klang verschönert. Der digitale Hörtest ist mittlerweile als Medizinprodukt zertifiziert.

Mimi, 2015 gegründet, beschäftigt heute 70 Mitarbeiter. „Mit dem frischen Kapital werden wir Firmensitze in den USA und China aufbauen, um unseren Vertrieb dort zu stärken“, berichtet Bratzke.

Ärzte halten Technologie noch für unausgereift

Diana Arweiler-Harbeck, Hals-Nasen-Ohren-Ärztin an der Universitätsklinik Essen, ist skeptisch. Der von Mimi entwickelte Hörtest sei zwar hilfreich, aber noch nicht repräsentativ: „Ich habe den Test schon mit drei verschiedenen Kopfhörern ausprobiert und jedes Mal ein anderes Hörprofil erhalten – die Abweichungen waren minimal, trotzdem gab es Abweichungen.“

Hinsichtlich der Qualität würde sich die Mimi-Software noch nicht von herkömmlichen Geräten unterscheiden: „Individuelle Hörgeräte sind heutzutage Bluetooth-fähig und können sich zum Beispiel mit einem Fernseher oder dem Smartphone verbinden.“ Das sei aus ihrer Sicht auch praktischer, weil Menschen mit einem Hörschaden in allen Lebenslagen Unterstützung bräuchten – nicht nur vor dem Fernseher.

Keine Hörsperre für Jugendliche

Präventiv wirke die Technologie bislang also nur für Einzelne. Sobald mehrere Personen aber zusammen fernsehen, sei die individuelle Einstellung laut Arweiler-Harbeck für Dritte eher unangenehm. CFO Bratzke sagt dazu: „Die KI erstellt dann einen Kompromiss aus allen Hörprofilen.“ Diese Lösung findet die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin wiederum datenschutzrechtlich bedenklich: „Immerhin weiß Mimi dann, dass zum Beispiel fünf Menschen in der Straße X bestimmte Hörfähigkeiten haben.“

Die Mimi-Software verspricht bereits, Hörschäden zu verhindern. So leiden zum Beispiel 20 Prozent aller Jugendlichen unter Lärmschädigung, die sie nicht unbedingt wahrnehmen. Allerdings ist Arweiler-Harbeck auch hier nicht von der Mimi-Software überzeugt: „Risikogruppen wie Jugendliche kaufen Kopfhörer, in denen diese Technologie integriert ist, sie werden den Ton aber trotzdem nach ihren Bedürfnissen laut schalten“, sagt sie. Bartzke berichtet hingegen von Tests, die gezeigt hätten, dass Nutzer die Lautstärke automatisch runterdrehen, wenn die Mimi-Software im Einsatz ist. Zudem arbeite das Team gerade an Präventionsprogrammen für die Software.

Mehr: Roche-Verwaltungsratschef: „Wir waren in manchen Projekten durch Real World Data deutlich schneller“

0 Kommentare zu "Mimi Hearing: 22 Millionen Euro für besseres Hören"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.