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Seltene Krankheiten Künstliche Intelligenz in der Arzneimittelproduktion

Oft kommt die Diagnose einer seltenen Krankheit zu spät. Pharmaunternehmen setzen Künstliche Intelligenz ein, um Krankheitsverläufe zu erforschen.
20.08.2021 - 18:32 Uhr Kommentieren
Vor allem ältere Menschen leiden an seltenen Herzkrankheiten. Quelle: dpa
Lebenserwartung

Vor allem ältere Menschen leiden an seltenen Herzkrankheiten.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Ein krankes Herz macht müde, nimmt Energie und Appetit. Die Beine sind geschwollen, und manchmal fühlt es sich wie Ersticken an. Diese Symptome sprechen für eine Herzinsuffizienz, bei der der Körper nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird. Betroffenen fehlt der lebenswichtige Sauerstoff.

Therapiert wird mit Betablockern und ACE-Hemmern, die den Herzschlag verlangsamen und den Blutdruck senken. Doch nicht bei allen Patienten wirken die Tabletten. Wenige von ihnen leiden an einer seltenen Krankheit namens Transthyretin-Amyloidose mit Kardiomyopathie (ATTR-CM). Die Krankheit hat sehr viele unterschiedliche Symptome, deshalb wird sie oft erst erkannt, wenn eine Heilung ausgeschlossen ist.

Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen, Daten auszuwerten und mehr über eine seltene Krankheit zu erfahren. Pharmaunternehmen wie Pfizer haben diese Möglichkeiten erkannt und investieren in KI-Modelle, um neue Wirkstoffe zu finden und Arzneimittel auf den Markt zu bringen.

Algorithmen werden mit Abrechnungsdaten trainiert

ATTR-CM wird hauptsächlich über medizinische Bilder diagnostiziert. Pfizer geht einen neuen Weg und analysiert mit Algorithmen die Abrechnungsdaten von Krankenkassen. In sogenannten Medical Claims Data sind Diagnosen kodiert. So habe der Algorithmus erkannt, dass Patienten mit bestimmten Gelenkkrankheiten häufig auch an ATTR-CM erkranken, erklärt Tobias Lüke, medizinischer Leiter für seltene Erkrankungen bei Pfizer-Deutschland.

Im Rahmen eines Pilotprojekts mit einer deutschen Uniklinik soll das Modell nun mit medizinischen Daten gefüttert werden, um Risikopatienten früher zu finden. Patienten mit einer seltenen Krankheit warten im Schnitt bis zu acht Jahre auf ihre Diagnose. In dieser Zeit würden sie laut Lüke oft falsch behandelt werden: Betablocker oder ACE-Hemmer führten bei ATTR-CM zum Beispiel zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Gleichzeitig wirkt ein Medikament nicht mehr, wenn die Krankheit zu weit fortgeschritten ist. Patienten kann dann keine Therapie mehr angeboten werden.

Olaf Rieß ist medizinischer Leiter an der Uniklinik Tübingen und wünscht sich mehr Therapien für Betroffene. Dass mit Abrechnungsdaten der Kassen ein sinnvoller Algorithmus gebaut werden kann, bezweifelt er aber: „Wenn ich zum Beispiel weiß, dass eine Behandlung wegen Blutdruck abgerechnet wurde, weiß ich nicht, ob der Blutdruck hoch war oder nicht.“

Tobias Manner-Romberg, Referent für Digital Health beim Verband der forschenden Pharmaunternehmen (Vfa), ist ganz anderer Meinung: „Auf der Grundlage der Abrechnungsdaten kann eine KI Muster erkennen – sie kann Biomarker finden, die ein Anzeichen dafür sind, dass eine Krankheit vorliegt.“ Seine Kollegin Sabine Sydow, Vfa-Leiterin für Biologie, ergänzt: „Eine Mustererkennung ist wichtig, um mehr strukturierte Daten zu sammeln.“

Gut sortierte Datenbanken könnten die Arzneimittelproduktion beschleunigen, sagt Manner-Romberg. „Wenn Unternehmen ein neues Medikament entwickeln wollen, müssen sie dafür bis zu 10.000 Substanzen durchsuchen – früher lief das alles manuell.“

Pharmaindustrie setzt auf Medikamente für seltene Krankheiten

Die Pharmaindustrie scheint Potenzial in Medikamenten gegen seltene Krankheiten zu sehen: 41 Prozent der im Jahr 2020 eingeführten Arzneimittel richten sich laut dem Vfa an Patienten mit seltenen Krankheiten. „Seit 2000 haben wir 190 Zulassungen. Das ist gut, aber in Anbetracht der circa 8.000 seltenen Erkrankungen gibt es noch viel zu tun“, sagt Sydow. Die Krankenkassen geben Berechnungen des Vfa zufolge allerdings nur 4,4 Prozent ihrer gesamten Arzneimittelausgaben für diese Medikamente in der ambulanten Versorgung aus.

Jörg Dötsch ist Leiter der Uniklinik Köln und beobachtet die ersten Erfolge in der Praxis. Die Spinale Muskelatrophie (SMA), eine seltene Krankheit im Rückenmark von Säuglingen, kann mit zwei Medikamenten behandelt werden. „Viele Kinder haben laufen gelernt, die sonst damit kämpfen würden, noch zu atmen“, berichtet Dötsch.

In der Preisentwicklung sieht Dötsch allerdings noch eine Herausforderung. „Das Medikament für SMA hat mit über einer Million Euro einen hohen Preis, wir wissen aber auch von Entwicklungskosten“, sagt er. Wenn KI den Entwicklungsprozess verkürzt, könnten Medikamente für Seltene Krankheiten günstiger werden. 

Mehr: Im Forschungsprojekt Dorfgemeinschaft 2.0 wurde untersucht, wie das würdevolle Altern im Eigenheim mit digitalen Werkzeugen gelingen kann.

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