Smartwatches Neue Funktionen ermöglichen bessere Forschung

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Köln Es ist nicht nur die eigene Technik-Begeisterung, wegen der Moritz Sinner am Dienstag die Produktvorstellungen von Apple verfolgen will. Beruflich interessiert den Oberarzt am LMU Klinikum in München, welche neuen Funktionen der Techkonzern der Apple Watch spendiert. „Mit jeder Generation werden sich Smartwatches einen immer größeren Stellenwert im Gesundheitswesen erarbeiten“, ist der Kardiologe überzeugt. „Sie liefern schon jetzt Messwerte, die mit denen klassischer Medizinprodukte vergleichbar sind.“
In einer Studie erforscht Sinner derzeit den Nutzen bei Covid-19-Erkrankten. Risikopatienten in häuslicher Quarantäne stattet er mit Smartwatches der Firma Withings aus. Die punkten gegenüber der Apple Watch mit längeren Batterielaufzeiten – haben aber wie die Uhren des Marktführers zwei Funktionen, die für den Kardiologen interessant sind: Über einen Sensor messen sie die Sauerstoffsättigung des Blutes. Zudem lassen sich EKGs erstellen.
„Wir haben so die Möglichkeit, aus der Ferne die subjektiven Empfindungen der Patienten mit objektiven Messdaten abzugleichen“, erklärt Sinner. Bisher passiere es mitunter, dass Betroffene auch schwere Symptome nicht ernst nehmen – und zu spät ins Krankenhaus gingen. Umgekehrt stehen manche in der Notaufnahme, die sich auch zu Hause auskurieren könnten. Noch werden Probanden für die Studie gesucht, 200 Teilnehmer erhofft sich Sinner.
Mit Fitnesstrackern Long Covid auf der Spur
Weltweit setzen Mediziner große Hoffnungen auf Smartwatches. Stanford-Mediziner haben gezeigt, dass sich mithilfe von Smartwatches Corona-Infektionen erkennen lassen. Forschende des Scripps Research Translational Institute in La Jolla sind mit Fitnesstrackern Symptomen von Long Covid auf der Spur. In Deutschland untersucht das Robert Koch-Institut (RKI) Messdaten, die Freiwillige über eine Datenspende-App mit den Wissenschaftlern teilen. Auch erste Start-ups wollen die Daten nutzen.
„Corona hat medizinischen Studien mit Wearables wie Smartwatches und anderer vernetzter Sensorik einen deutlichen Auftrieb gegeben“, sagt Friedrich Lämmel, Gründer des Start-ups Thryve. Sein Unternehmen ist darauf spezialisiert, Messdaten verschiedener Geräte zu vereinheitlichen und auszuwerten.
Die Nachfrage ist auch außerhalb der Corona-Forschung groß: „In der Pandemie mussten viele klinische Studien abgebrochen werden“, sagt Lämmel. „Das hat den Fokus auf die Potenziale von Smartwatches gelenkt.“ Der Gründer verweist auf die Datenbank Clinicaltrials.gov des US-Gesundheitsministeriums. Darin sind aktuell 1345 Studien mit Wearables verzeichnet – 474 tragen den Status „abgeschlossen“. Thryve selbst ist mit seiner Plattform aktuell unter anderem in Projekte der Berliner Charité und der Uni Jena involviert.
Was die Forschungen begünstigt: Immer mehr Menschen tragen bereits eine Smartwatch ums Handgelenk. Nach Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Counterpoint Research sind inzwischen mehr als 100 Millionen Apple Watches im Umlauf. Die Geräte werden zudem immer potenter: Neben der Herzfrequenz und dem Blutsauerstoffgehalt könnte die nächste Apple Watch mithilfe optischer Sensoren den Glukosespiegel messen. Auch Thermometer könnten integriert werden.
Mediziner wünschen sich Erstattungsmöglichkeiten
Mit jedem Update und jeder Studie steigen die Chancen, dass Smartwatches künftig im medizinischen Alltag eine größere Rolle spielen. Unternehmen stehen bereit, sehen sich aber regulatorisch noch ausgebremst. Fimo Health etwa arbeitet an einer App, die Patienten mit chronischer Erschöpfung – einem Folgesymptom von Covid-19 – helfen soll. Konkret möchte das Start-up vorhersagen, wann Betroffene wahrscheinliche eine Erschöpfungsattacke erleiden – und sie rechtzeitig warnen. Neben Fragebögen will das Start-up explizit Daten von Wearables nutzen.
Anfang des kommenden Jahres will Fimo Health mit Studien den DiGa-Zulassungsprozess anstoßen. Gründer Alexander Krawinkel erwartet jedoch zähe Diskussionen: „Wearables werden oft noch als Lifestyleprodukt angesehen“, sagt er. „Ob die von einer Krankenkasse mit erstattet werden, ist fraglich.“ Das Start-up bereite sich deswegen darauf vor, günstige Geräte in einem Verleihmodell anzubieten.
„Es gibt aktuell keine Struktur in Deutschland, um Smartwatches jenseits von Studien sinnvoll in die Gesundheitsversorgung einzubinden“, kritisiert auch LMU-Kardiologe Sinner, der auf Herzrhythmusstörungen spezialisiert ist. Er berichtet, dass ihm Patienten häufig EKGs vorlegen, die sie mit einer Smartwatch erstellt haben. Das sei regelmäßig hilfreich bei der Diagnose, so Sinner. Niedergelassene Ärzte hingegen hätten keinen Anreiz, sich mit den auf eigene Faust erstellten Daten zu beschäftigen – denn für die Analyse sehen sie von den Kassen keinen Cent.
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