Stadtentwicklung Quartiere haben ein Infrastrukturproblem

Quartierslösungen in Neubauvierteln umzusetzen, ist eine echte Herausforderung.
Quelle: dpa, Urheber: Sebastian Gollnow
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft bei der Infrastruktur für Quartiere noch eine ganz schöne Lücke – darauf jedenfalls haben Vertreter verschiedener Fachdisziplinen bei einer Diskussionsrunde der „Berliner Energietage“ hingewiesen. Egal, ob es um Dateninfrastruktur, die Kommunikation mit Beteiligten oder den Spagat zwischen gesetzlichen Vorgaben, Klima- und Effizienzzielen oder Bewohnerwünschen geht: Der Maßstab Quartiersebene klingt gut, birgt aber in der Umsetzung so manchen Stolperstein.
Man befinde sich häufig in einer Zwickmühle zwischen Kundenanforderungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, beschreibt es Jörg Bachmann vom Daten- und Telekommunikationsdienstleister Netcom Connected Services. Als einstige Vattenfall-Tochter beschäftigt sich das Unternehmen seit 20 Jahren mit kritischer Infrastruktur. Datenschutzrichtlinien gesellten sich zu Messstellengesetz, Effizienzvorgaben wie die Energieeinsparverordnung zu ISO-Normen für die Transparenz, so Bachmann.
Was auf Gebäudeebene noch einfach funktionieren mag, wird auf Quartiersebene schnell zum Problemfall: Es fallen erheblich mehr Daten von verschiedenen Nutzergruppen an – die wiederum unterschiedlichen Mehrwert von Daten und Digitalisierung erwarten, etwa wenn es um Energiesparmöglichkeiten geht oder technische Assistenzsysteme. Mit der Größe des Netzes wachsen die Anforderungen an Sicherheit, Stabilität und Schnelligkeit. „Entscheidend für die Digitalisierungsinfrastruktur ist, dass sie sicher, verfügbar und skalierbar ist“, sagt Bachmann. „Das kann nur mit einem aktiven Management funktionieren.“
Bachmann sieht die Lösung in einer zentralen Datenbank – dem „Gold der Zukunft“, die mit besonderer Sorgfalt entwickelt und gepflegt werden müsse. Die zugehörige technologieunabhängige Infrastruktur liefert sein Unternehmen Kunden gleich mit; Bachmann empfiehlt, möglichst viele Anwendungen über diese Infrastruktur laufen zu lassen, also beispielsweise Messdaten, telemetrische Daten oder solche aus dem Bereich betreutes Wohnen.
Auf Gebäude- und Quartiersebene können in so einem System Gebäudedaten mit Sicherheitsbausteinen zusammenwirken, damit Daten über das Gebäude hinaus gefiltert werden. „Die Sicherheit setzt dabei möglichst weit im Gebäude an, um alle Datenschutzaspekte berücksichtigen zu können“, sagt Bachmann und rät zu einer Sensorik, die ähnlich wie bei Kundenzählungen in Geschäften auf anonymisierte Verfahren aufbauen.
Umsonst gibt es eine derartige Infrastruktur freilich nicht – was Kunden, abgesehen von denen im Kraftwerksbereich, erst langsam realisierten, wie Bachmann betont. Die Infrastruktur sei wie ein ungeliebtes Kind, man brauche sie, ohne direkten Nutzen zu haben. „Die Affinität, dass Sicherheit etwas kostet, ist noch unausgeprägt“, formuliert es der Datenexperte gegenüber Handelsblatt Inside Real Estate.
Die Kostenfrage thematisierte auf den Berliner Energietagen auch Sarah Debor vom Energiedienstleister Naturstrom. Man müsse so ehrlich sein und sagen, dass intelligente Datenlösungen mit ihren komplexen Anforderungen einen finanziellen Aufwand nach sich ziehen, sagte Debor mit Bezug auf Quartierslösungen im Bereich von Energieerzeugung und -verbrauch.
Am Beispiel eines Berliner Neubauviertels machte sie die Hürden für echte Quartierslösungen deutlich. So könne an Mieterstrom beteiligten Haushalten nur dann eine individuelle und übergreifende als für das ganze Haus geltende Verbrauchsübersicht geliefert werden, wenn alle fernauslesbare Zähler eingebaut bekommen hätten. Das könne in der Realität schwierig werden, da Nutzer das Recht hätten, den Messstellenbetreiber frei zu wählen. Auch die gesetzliche Anforderung, Energieverbrauch und -produktion bei dezentralen Lösungen hinter einen Netzverknüpfungspunkt legen zu müssen, stehe dem Quartiersgedanken quer – so könnten Stromerzeugung und -verbrauch im Viertel nicht optimiert werden. „Zwischen Wille, Ziel, Realität und Umsetzbarkeit liegen noch viele Herausforderungen“, sagte Debor.
Richtig spannend indes wird es, wenn neue Infrastrukturen in bestehende Quartiere gelegt werden sollen – und auf den Bestand kommt es bei Energiewende und Klimaschutz nun einmal an. „Wir müssen zwingend auf ein digitales System umstellen, um die geforderte Effizienz zu erreichen, haben aber noch kein flächendeckend funktionierendes Umsetzungskonzept“, umreißt es Jörg Lippert, technischer Leiter beim BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen.
Eine zentrale Herausforderung sieht er darin, Messsysteme aufeinander abzustimmen – und die Nutzer mit ins Boot zu holen. Verbraucher müssten überzeugt werden, ihr Verhalten anzupassen, um dadurch auch eigene Mehrwerte generieren zu können. Häufig müssten ihnen auch Verunsicherung und die Angst vor stark steigenden Kosten genommen werden.
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