Aufsichtsratschefs So viel verdienen Deutschlands Konzernkontrolleure

Nur eine kleine Vergütungsdelle durch Corona.
Düsseldorf Es gibt einen neuen Spitzenverdiener unter den Aufsichtsratschefs deutscher Börsenschwergewichte: Hans Dieter Pötsch. Sein Posten als Chefaufseher bei Volkswagen, aber auch andere Konzernaufgaben brachten dem früheren VW-Finanzchef vergangenes Jahr unterm Strich 900.000 Euro ein. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Auswertung des Frankfurter Beratungsunternehmens HKP hervor, die dem Handelsblatt vorab vorlag.
Damit verdrängt Pötsch im Geschäftsjahr 2020 Paul Achleitner von Platz eins der bestverdienenden Konzernkontrolleure. Achleitner, der Aufsichtsratschef bei der Deutschen Bank ist, erhielt zuletzt für sein Mandat 802.000 Euro – und damit knapp 100.000 Euro weniger als noch 2019.
Mit etwas Abstand folgen die Chefkontrolleure von Linde und Siemens, Wolfgang Reitzle und Jim Hagemann Snabe, auf Platz drei und vier. Die geringste Vergütung erhielt im abgelaufenen Geschäftsjahr Reinhard Pöllath, Aufsichtsratsvorsitzender beim Hamburger Konsumgüterkonzern Beiersdorf, mit rund 200.000 Euro.
Die einzige weibliche Chefkontrolleurin im Dax, Simone Bagel-Trah, erhält als Vorsitzende des Aufsichtsrats und Gesellschafterausschusses beim Düsseldorfer Henkel-Konzern 583.000 Euro – und landet damit auf Platz sechs der bestbezahlten Konzernkontrolleure in Deutschland.
Das Ranking berücksichtigt nur ganzjährig aktive Aufsichtsratsvorsitzende. Außerdem füllt sich das Gehaltskonto vieler Berufsaufsichtsräte durch mehrere Mandate. So hält Deutsche-Bank-Chefkontrolleur Achleitner noch einen weiteren Aufsichtsratsposten bei Bayer. VWs Chefkontrolleur Pötsch ist zusätzlich Vorstandsvorsitzender bei der börsennotierten Beteiligungsgesellschaft Porsche SE. Und Wolfgang Reitzle kontrolliert nicht nur den Industriekonzern Linde, sondern ist auch Aufsichtsratsvorsitzender beim Reifenhersteller Continental – und somit gleich zweimal in der HKP-Rangliste vertreten.
Aufsichtsräte: Kleine Delle bei der Durchschnittsvergütung
Insgesamt ist die durchschnittliche Vergütung der Dax-Aufsichtsratschefs laut der Beratung zum ersten Mal seit 2015 gesunken – von 434.000 auf 416.000 Euro. Die Studienautoren erklären sich das vor allem mit freiwilligen Vergütungsverzichten im abgelaufenen Krisenjahr. Entsprechend sanken die Verdienste einiger Aufsichtsratschefs.
- So hat der Aufsichtsrat des Chemiekonzerns BASF ab dem zweiten Quartal 2020 auf 20 Prozent seiner Festvergütung verzichtet.
- Beiersdorf, inzwischen nicht mehr im Dax, ist für die Monate April bis Dezember neben der Fix- auch an die Ausschussvergütung herangegangen. Diese fiel um bis zu 20 Prozent schmaler aus.
- Bei Daimler wurde neben einem Fünftel der Festvergütung von April an auch das Sitzungsgeld gestrichen.
- Und auch bei der Deutschen Bank verzichteten die Aufsichtsratsmitglieder auf ein Zwölftel ihrer Vergütung für 2020.
Doch es gibt auch Fälle, denen selbst pandemiebedingte Vergütungsverzichte wenig anhaben können. Beispiel: Wolfgang Reitzle. Als Aufsichtsratsvorsitzender bei Continental musste der 72-jährige Manager wie alle seine Aufsichtsratskollegen in dem Konzern vier Monate lang auf zehn Prozent seines Fixums verzichten. Trotzdem legte seine Gesamtvergütung insgesamt um 35 Prozent zu.
Der Grund: Conti hat im abgelaufenen Geschäftsjahr sein Vergütungssystem umgestellt. Dadurch sind variable Bezüge zugunsten eines deutlich höheren Fixbetrags gestrichen worden. Unterm Strich erhielt Reitzle für sein AR-Mandat bei Continental 526.000 Euro – fast alles davon festvergütet.
Konzernkontrolleure profitieren in der Krise von starren Vergütungsregeln
Mittlerweile zahlen fast alle Dax-Konzerne ihren Kontrolleuren ein reines Fixum, das nicht an den Unternehmenserfolg gekoppelt ist. Während Anlegerschützer diese Entwicklung generell begrüßen, kritisieren Vergütungsexperten das Modell, weil die Zahlungen in Krisenzeiten unverändert bleiben. „Die Vergütung der Aufsichtsgremien ist von der realen Wirtschaftslage völlig abgekoppelt“, mahnt etwa der selbstständige Unternehmensberater und Vergütungsspezialist Heinz Evers, der früher für das Beratungshaus Kienbaum gearbeitet hat. Das zeige sich gerade jetzt in Pandemiezeiten.
Tatsächlich sind die Vergütungen der AR-Chefs im Coronajahr 2020 laut HKP im Schnitt lediglich um 4,3 Prozent gesunken, während die Konzernüberschüsse im Dax in der gleichen Zeit um fast die Hälfte schmolzen. „Die angekündigten Corona-Verzichte sind damit höchstens symbolischer Natur“, fasst Evers die Lage zusammen.
Für Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz ergibt das krisensichere Fixum der Aufsichtsräte hingegen durchaus Sinn, „da der Arbeitsaufwand des Kontrollgremiums gerade in Krisenzeiten in der Regel deutlich steigt“. So kletterte die Zahl der Sitzungen im Jahr 2020 von durchschnittlich sieben auf neun. Spitzenreiter im Dax war der Online-Essenslieferdienst Delivery Hero mit 27 Sitzungen im Plenum.
Neben diesem messbaren Mehraufwand steigen auch die Anforderungen vonseiten institutioneller Investoren an die Aufsichtsratstätigkeit – womit sich auch die eigene Rolle der Gremienmitglieder neu definiert. „Die Kontrollgremien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt und müssen dies auch künftig tun“, schrieb die Multiaufsichtsrätin Simone Menne kürzlich in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Es gehe darum, „Unternehmen und Vorstände nicht nur zu kontrollieren, sondern bei Innovationen zu fordern und zu fördern. Dazu haben Aufsichtsräte die Pflicht und die Möglichkeiten.“
Weil die strategische Beraterfunktion der Kontrollgremien immer wichtiger wird, haben sich die Aufsichtsräte einiger Konzerne wie BASF, Bayer oder Daimler verpflichtet, während ihrer Mandatsdauer Aktien ihres Unternehmens in signifikantem Umfang zu kaufen und zu halten – um somit stärker am Erfolg oder Misserfolg der Konzerne, die sie kontrollieren, beteiligt zu werden.
Die Studienautoren befürworten dieses Vorgehen: „Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, die Aufsichtsratstätigkeit rechtskonform und zugleich wirksam auf die Ziele und Performance eines Unternehmens auszurichten“, meint HKP-Partnerin Nina Grochowitzki. Über diesen Umweg würde letztlich doch noch eine erfolgsorientierte Komponente bei Aufsichtsräten wirken, auch wenn bei den Aktienpaketen nicht direkt von Vergütung gesprochen werden könne. Durch eine neue europäische Aktionärsrechterichtlinie haben Aktionäre mindestens alle vier Jahre auf der Hauptversammlung die Gelegenheit, das Vergütungssystem für den Aufsichtsrat anzupassen. „Die Vergütungen für Aufsichtsräte als gewählte Vertreter der Aktionäre sind nur von ebendiesen Aktionären zu ändern“, so Grochowitzki.
Vorstandschefs verdienen bis zu 200-mal mehr
Für die Zukunft gehen Vergütungsexperten von weiter steigenden Vergütungen für Aufsichtsräte in den kommenden Jahren aus. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bezahlung der Berufskontrolleure nicht vergleichbar mit den üppigen Gehältern ihrer Vorstandskollegen ist. Extrembeispiel ist hier Delivery Hero. Während sich Aufsichtsratschef Martin Enderle 2020 mit einem Salär von 214.000 Euro zufrieden zeigen musste, flossen Vorstandschef Niklas Östberg aufgrund von Aktienoptionen gut 45 Millionen Euro zu – also mehr als 200-mal so viel.
Und selbst in deutlich traditionelleren Konzernen wie Merck oder der Deutschen Post ist die Spreizung zwischen Aufsichtsrats- und Vorstandsvergütung erheblich. So verdiente Post-Chef Frank Appel mit gut zehn Millionen Euro knapp das 30-Fache von dem, was Aufsichtsratschef Nikolaus von Bomhard bekam. Bei Merck lagen der ehemalige Vorstandschef Stefan Oschmann und sein Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Büchele sogar um den Faktor 38 auseinander.
„Der Ausschluss variabler Bezüge für Aufsichtsräte zementiert die extrem unterschiedlichen Vergütungsniveaus im Vergleich zum Vorstand“, heißt es in der HKP-Studie. Um die Gremien auch für internationale Kandidaten attraktiver zu machen, seien „jedoch wettbewerbsfähige Vergütungsniveaus erforderlich“, so die Studienautoren. Die Spitzenverdiener unter den Chefkontrolleuren seien dafür eine gute Zielgröße.
Mehr: Was Aufsichtsräte lernen müssen – Gastbeitrag von Simone Menne.
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