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Bewerbungsirrsinn „Ich wollte Sie nur mal kennen lernen“

Noch immer verprellen viele Chefs ihre Stellenbewerber mit kruden Fragen und ihrem arroganten Auftreten. Doch die Kandidaten werden wählerischer. Ihre Macht wächst, denn der Markt für Fachkräfte ist klein.
  • Ruth Lemmer
09.08.2015 - 14:03 Uhr Kommentieren
Bewerbungsgespräche arten häufig aus. Quelle: dpa
Überfordert

Bewerbungsgespräche arten häufig aus.

(Foto: dpa)

Beim Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers wurde die Kandidatin für die Stelle als Marktanalystin mit einem strahlenden Lächeln begrüßt – und mit einem ernüchternden Satz des Spartenleiters abgeschmettert: „Sie sind überqualifiziert, aber ich wollte Sie mal kennen lernen, nachdem ich schon einiges von Ihnen gelesen hatte.“ Den Job erhielt eine Berufsanfängerin.

Die private Fom Hochschule für Oekonomie und Management in Essen suchte per Headhunter einen neuen Kommunikationschef, gab sich der Bewerberin gegenüber dann aber zugeknöpft. Ihre legitime Frage nach Expansionsplänen konterte der Geschäftsführer: „Unsere Strategie veröffentlichen wir nicht.“ Da gab es für die Kandidatin dann auch nichts mehr zu kommunizieren. Und ihr Interesse an diesem potenziellen Arbeitgeber war schlagartig erloschen.

Solche Schlappen können sich Chefs nicht mehr leisten. Denn zum einen sprechen sich die gruseligen Erlebnisse in den sozialen Medien unter Jobsuchenden schnell herum, und zum anderen wollen Kandidaten im Gespräch ernst genommen werden. „Die Zeiten, in denen Bewerber sich wie Bittsteller behandeln ließen, sind vorbei“, sagt Sörge Drosten, Partner bei der Personalberatung Kienbaum.

„Versprechen viel, halten wenig“

Nicht nur indiskrete Fragen des künftigen Chefs nach einer Schwangerschaft wirken da kontraproduktiv. „Unverblümte Fragen nach der Familienplanung habe ich erlebt, bis ich 43 Jahre alt war“, erzählt eine Personalfachfrau, die sich öfter bei größeren Mittelständlern beworben hat.

„Das war weit entfernt von einem professionellen Einstellungsgespräch.“ Als gebürtige Ungarin, die in Deutschland aufwuchs, hier Abitur machte und erfolgreich studierte, erlebte sie zudem häufiger das „leicht rassistisch angehauchte Kompliment, ich würde ja gut Deutsch sprechen“. Auch abfällige Bemerkungen über Tschechien musste sich die Managerin schon anhören – „ganz nach dem Motto Ostblock ist Ostblock“, sagt sie noch heute empört. Eine herzliche Einladung an neue Kollegen sieht anders aus.

Dabei sind die Deutschen gerade in Wechsellaune. Einer Umfrage von Manpower zufolge sucht jeder siebte Deutsche einen neuen Job. Der Fachkräftevermittler Page Personnel befragte außerdem im Juli stichprobenartig 200 Beschäftigte, was der Hauptgrund dafür sei. Das interessanteste Ergebnis: Rund 60 Prozent der Befragten nennen als wichtigsten Faktor für den neuen Job „ein gutes Verhältnis zu Arbeitskollegen und Vorgesetzten“. Für Frauen ist dieser Aspekt mit 62 Prozent relevanter als für Männer mit 57 Prozent.

Für alle gilt: Schon im Bewerbungsprozess wird deutlich, wie wertschätzend ein Arbeitgeber und seine Führungskräfte auftreten. Waren es früher Anekdoten, die vielleicht im Freundeskreis dazu kursierten, wird das heute schnell für jedermann sichtbar. Das Online-Bewertungsportal Kununu lässt zum Beispiel Noten für Bewerbungsverfahren zu. Da muss die Versicherungsholding Generali erleben, dass ein Mitarbeiter notiert: „Ehrlichkeit hätte mich vor einem großen Fehler bewahrt“ und „Versprechen viel, halten wenig“. Autozulieferer Bosch wird von Bewerbern kritisiert, weil das Unternehmen auf Bewerbungen gar nicht oder erst nach Wochen reagiert. Und der Supermarktkette Rewe wird verübelt, dass ein Kandidat am Empfang 45 Minuten auf den verabredeten Termin warten musste.

Auch technisch brillieren nicht alle Unternehmen, die Mitarbeiter einstellen wollen. Digitalisierte Bewerbungsunterlagen hochzuladen ist oft mühsam. So konnte ein Interessent beim Mobilfunkspezialisten Ericsson seine Bewerbung nicht abschließen, weil die Website kurz vor Ende der Eingaben dauernd zusammenbrach. Am Hilfe-Telefon hob dann zwar ein Mensch ab, aber nur, um zu sagen, dass die Fachleute nicht erreichbar seien. Dies alles trägt nicht gerade zur Imageförderung bei. Und es sind besonders die guten Bewerber, die sich lieber gleich andere Arbeitgeber suchen.

Manchmal sind die negativen Signale nur schwach. Aber die Erfahrung, dass man auf sie hören sollte, macht so mancher Bewerber, der einem Unternehmen eine Chance gibt. So war eine Controllerin aus Nordrhein-Westfalen angetan, als die Personalmanager im Bewerbungsgespräch friedlich Smalltalk machten. Stutzig wurde sie, weil der künftige Chef nur kurz dabeisaß, sich dann aber mit einem wichtigen Termin verabschiedete, ohne eine einzige Frage an die potenzielle Mitarbeiterin gestellt zu haben. Dennoch unterschrieb die Bewerberin den Arbeitsvertrag. Doch schnell merkte sie, dass der Vorgesetzte auch seine Abteilung so unwirsch und an Mitarbeitern desinteressiert führte.

Wenn das Bauchgefühl nicht stimmt
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