Buchrezension Crashkurs für Lebensdesigner

„Life Design“ soll die Kreativität anregen – mit oder ohne bunte Post-its.
Köln Auf der Hitliste der guten Vorsätze in Deutschland ist der Stressabbau seit Jahren unangefochtener Spitzenreiter. Laut einer Umfrage, die Forsa jährlich veranstaltet, nahmen sich Ende 2015 fast zwei Drittel der Deutschen vor, in Privat- und Berufsleben nicht mehr regelmäßig in unlösbar erscheinenden Aufgaben zu versinken. Oder wenn schon, dann zumindest den Sinn zu sehen, in dem was man da tut. Vielleicht sogar Spaß an den Aufgaben zu haben, mit denen man – im Vollzeitjob zumindest – rund ein Drittel seines Lebens verbringt.
Und? Wie hat das so geklappt bei Ihnen?
In „Design Thinking fürs Leben – Mach, was du willst” geben die beiden Stanford-Professoren Bill Burnett und Dave Evans das etwas pathetische Versprechen, dass sie mit einer beliebten Methode aus dem Produktdesign ihr eigenes Leben verbessern können. Dass sie den heutigen Tag zu dem Tag machen können, an dem Sie aufgehört haben, zu arbeiten. Zu dem Tag, an dem Sie angefangen haben, Ihr Leben zu gestalten.
Wer von Design Thinking schon gehört hat, kennt es wohl als die vielgepriesene Wunderwaffe für Konzerne, um den Staub von ihren veralteten Prozessen abzuklopfen und so agil und kundenorientiert zu arbeiten wie die erfolgreichsten Digitalunternehmen. Statt das eigene Produkt den Nöten der Konzernabteilungen zu unterwerfen, soll jede Innovation vom Kunden und dessen Wünschen her gedacht werden.
Bill Burnett, Dave Evans – Mach, was Du willst. Design Thinking fürs Leben.
Econ-Verlag
Berlin 2016
288 Seiten
ISBN: 3430201926
17 Euro
Die beiden ehemaligen Apple-Designer Burnett und Evans übertragen die Methode auf den erschöpften Menschen zwischen Burnout und Depression am Arbeitsplatz. Wir sollen uns nicht länger fragen: „Wie will ich arbeiten?“, sondern: „Wie will ich leben?“. „Es ist egal, wer Sie sind oder waren, welchen Beruf Sie haben oder hatten, wie jung oder alt Sie sind”, schreiben die Autoren. Für einen Kurswechsel ist es nie zu früh und nie zu spät. Denn: „Sie wurden nicht dazu geboren, in einem Beruf zu arbeiten, den Sie hassen, bis es an der Zeit ist zu sterben.”
285 Seiten für Sinnsucher und Unzufriedene, die von einem Leben träumen, in dem Arbeit nicht mehr jene acht Stunden sind, die sie vom nächsten Feierabend trennen. An ihrer Universität, der Wiege unzähliger Silicon-Valley-Erfolge, ist das „Designing Your Life“-Seminar der beiden Professoren regelmäßig der am schnellsten ausgebuchte Kurs – noch vor jeder Coding-Klasse für künftige Google-Ingenieure. Kein Wunder, Burnett und Evans sind zwei äußerst gewiefte Geschichtenerzähler.
Das Leben ist ein Prototyp
„Mach, was du willst” ist ein Mitmach-Buch für Praktiker, die schon lange im stillen Kämmerlein über ihre Situation nachdenken und darauf hoffen, dass sich irgendwann etwas ändert. Evans und Burnett werden Sie wahrscheinlich, wenn Sie sich ernsthaft mit sich selbst beschäftigen möchten, über die nächsten Wochen und Monate begleiten und das kann an der ein oder anderen Stelle ganz schön pieksen. Etwa wenn es darum geht, sich am Ende jedes Kapitels, anhand von Übungen mit ganz essentiellen Lebensfragen auseinandersetzen. Warum sind Sie hier? Wonach suchen Sie? Was bedeutet Arbeit für Sie? Welche Rolle spielen Freude, Leid, Gerechtigkeit, Unrecht, Liebe, Frieden und Konflikte dabei? Es geht in dem Buch nicht einfach um Arbeit, sondern die ältesten Konflikte des Menschen.
Was Burnett und Evans nun im 21. Jahrhundert daraus machen, ist, uns mit ihrer Idee von Life Design eine Methode an die Hand zu geben, mit der wir unsere eigene Version eines „guten Lebens” finden können; wobei der Fokus hier hauptsächlich auf Jobs und Karriere liegt. Ein Geheimrezept für jedermann versprechen sie allerdings nicht: „Das alles sind sehr persönliche Dinge. Wir können Ihnen einige Werkzeuge und Übungen an die Hand geben, aber wir können Ihnen nicht alle Antworten liefern“, schreiben sie. „Es gibt viele Versionen von Ihnen und sie alle sind richtig.”
Sollte man in der knappen Freizeit also mehr Sport treiben oder lieber mehr Zeit mit der Familie verbringen? Laut Burnett und Evans hilft nur persönliches Ausprobieren, um die eigenen Hypothesen zu überprüfen: Womit wir beim Thema Prototypen wären, einem integralen Bestandteil des Design-Thinking. So wie Sie nie ein Auto ohne Probefahrt kaufen würden, animieren sie uns dazu, neue Lebensideen zunächst mit Prototypen zu erkunden. Die einfachste und leichteste Form ist ein Gespräch. Sie müssen mit jemandem reden, der das, was Sie gerade in Erwägung ziehen, bereits tut und lebt, oder der echte Erfahrungen und Fachwissen auf dem Gebiet hat, zu dem Sie Fragen haben. Danach geht es dann erst um die physische Erfahrung via also eine Art Praktikum oder Hospitanz im frisch designten Traumberuf. „Wir bauen Prototypen, um gute Fragen zu stellen, Erfahrungen zu gewinnen, unsere Annahmen aufzudecken, schnell zu scheitern, vorwärtsgewandt zu scheitern.”
Hilfreich gilt ihnen auch eine Technik, die die Marketingabteilung eines bekannten deutschen Autoherstellers mal „Umparken im Kopf“ titulierte. Bei Burnett und Evans heißt die geistige Renovierung „Reframing“. Statt unter dem Leitspruch „Das hier ist Arbeit, das hat keinen Spaß zu machen“ unangenehme Aufgaben still fluchend hinzunehmen, könnte man sich auch sagen: „Für jeden gibt es den richtigen Job, der ihm Spaß macht. Vielleicht habe ich meinen nur noch nicht gefunden.“ Der neue Denkrahmen gibt Ihnen die Chance, aber auch die Verantwortung, sich selbst neue Aufgaben zu suchen.
An vielen Stellen haben Evans und Burnett schlicht einfache und längst bekannte Wahrheiten sehr gut neu verpackt haben. Wer schon andere „Design Thinking“-Bücher gelesen hat, das vor einem Jahr erschienene „Design Your Life – Dein ganz persönlicher Workshop für Leben und Traumjob“ der deutschen Autoren Robert Kötter und Marius Kursawe etwa, wird bei Burnett und Evans nicht extrem viel Neues finden.
Die Pflicht, gut zu leben
Unterm Strich ist „Mach was du willst – Design Thinking fürs Leben“ natürlich trotzdem eine Empfehlung. Vorausgesetzt, Sie haben zuvor noch nicht mit einem anderen Design-Your-Life-und-werde-glücklich-Buch gearbeitet. Dann bieten Burnett und Evans natürlich einen guten Anlass, über das eigene Leben und die Tätigkeit in den Tretmühlen von Jobs in Großfirmen zu sinnieren und anhand konkreter Ratschläge etwas zu verändern. Ob Sie aber nun als ehemaliger Top-Manager selbst eingekochte Marmelade auf dem Wochenmarkt verkaufen oder Ihr Leben vom Banker zum Kaffeeröster umkrempeln wollen: Wichtig ist die Einladung, die Verantwortung für unser eigenes Leben zu übernehmen. Und daran können uns Bücher gar nicht oft genug erinnern.
Man kann noch weiter gehen, wie der amerikanische Rechts- und Moralphilosoph Ronald Dworkin, der glaubte, dass wir eine ethische Verantwortung haben, etwas aus unserem Leben zu machen – wie ein Maler, der vor der Aufgabe steht, aus einer leeren Leinwand etwas Wertvolles zu erschaffen. Das, so Dworkin, schulden wir unserer Selbstachtung. Ziemlich rigoros, doch wer sich darauf auch nur ein Stück weit einlässt und zudem zu den gestressten zwei Drittel der Deutschen gehört, muss eigentlich etwas an seinem Leben ändern – „Designing Your Life“ ist dafür eine gute Ausgangslektüre.
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