Chancengleichheit-Studie Frauen werden systematisch benachteiligt

Männer haben das Gefühl, Kolleginnen werden bevorzugt, Mitarbeiterinnen empfinden es genau andersherum. Fakt ist: Unsere Berufswelt ist in Bezug auf das Geschlecht chancenungleich gestaltet - in Bezug auf Frauen.
Düsseldorf Warum rücken Frauen seltener in Führungspositionen auf als Männer? Warum arbeiten in manchen Firmen so wenige Menschen mit ethnischen, religiösen oder familiären Hintergründen, die nicht denen der Mehrheit entsprechen? Die Antwort von Arbeitgeberseite lautet oft: Es liege an Qualifikation oder Erfahrung. Denn wer will sich nachsagen lassen, Minderheiten systematisch zu benachteiligen?
Eine aktuelle Studie zur Chancengleichheit zeigt zumindest in Bezug auf Frauen deutlich: Nein, es liegt nicht an der Qualifikation. Mitarbeiterinnen werden im Vergleich zu Männern systematisch benachteiligt. „Die Ergebnisse sind deutlich: Unsere Berufswelt ist in Bezug auf das Geschlecht chancenungleich gestaltet. Es bestimmt also ein Merkmal, das eigentlich nichts mit beruflicher Qualifikation und Leistung zu tun hat, über Karrieren“, sagt Wirtschaftspsychologe Matthias Spörrle. Er ist Professor an der Privatuniversität Schloss Seeberg und hat für den Führungskräfteverband VAA die Studie zur Chancengleichheit durchgeführt.
Zwar vertritt der VAA, nach eigenen Angaben der größte Führungskräfteverband in Deutschland, 30.000 leitende Angestellte und Akademiker vornehmlich aus der pharmazeutisch-chemischen Industrie. Die Ergebnisse der Umfrage sind aber auf andere Branchen übertragbar. „Die Studie lässt Schlüsse für die gesamte Berufswelt zu“, sagt Spörrle.
Alle fünf Jahre befragt der VAA seine Mitglieder zur wahrgenommenen Chancengleichheit. An der aktuellen Umfrage nahmen mehr als 2.000 Beschäftigte teil – und zwar genügend Frauen und Männer unterschiedlicher Hierarchieebenen, um die Untergruppen im Hinblick auf beruflich relevante Merkmale wie Berufszugehörigkeit oder den „höchsten erreichten Abschluss“ vergleichen zu können. So kann der Einfluss dieser Variablen statistisch kontrolliert werden.
26 Prozent der befragten Frauen und 36 Prozent der befragten Männer sind als leitende Angestellte tätig, weitere 0,8 Prozent der Frauen und 2,1 Prozent der Männer arbeiten in der Geschäftsführung oder im Vorstand. Die Studie zeigt deutlich: Der Anteil der Frauen auf diesen Ebenen ist deutlich geringer, ohne dass dies durch Kriterien wie Alter, Dauer der Berufstätigkeit, Teilzeittätigkeit, Qualifikation, Unternehmensgröße oder Kinderzahl begründet werden kann. „Es zeigt sich, dass Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden“, sagt Spörrle.
Eine weitere zentrale Erkenntnis sei, „dass uns unsere Selbstwahrnehmung täuscht und es uns schwerfällt, die Gesamtsituation unverfälscht wahrzunehmen: Viele von uns erleben sich als Opfer, selbst wenn sich diese Positionen gegenseitig ausschließen.“ Zwar ergab die Umfrage über alle befragten Personen hinweg eine stärkere Bevorzugung von Männern im Vergleich zu Frauen. Eine Aufteilung der Stichprobe nach Geschlecht zeigt aber: Männer gehen davon aus, dass Frauen bevorzugt werden; Frauen gehen ebenso davon aus, dass Männer bevorzugt werden. Da das Gefühl der Benachteiligung auf einer Skala von eins (gar nicht) bis fünf (in höchstem Maße) bei den Frauen signifikant stärker ausgeprägt ist, ergibt sich insgesamt die Wahrnehmung, Männer würden stärker bevorzugt.
Die Umfrage zeigte ähnliche Ergebnisse für andere demografische Variablen. Nur ein Drittel der Befragten erlebt Chancengleichheit in Bezug auf Alter, Geschlecht und Herkunft als Teil der gelebten Firmenphilosophie. Jüngere Menschen haben das Gefühl, Ältere würden bevorzugt – und umgekehrt. Viele Befragte haben zudem das Gefühl, ausländische Kollegen würden bevorzugt, obwohl unter den Fachkräften der Branche der Ausländeranteil gering ist.
„Das alles spricht dafür, die eigene Sicht der Dinge zu hinterfragen und dem eigenen subjektiven Eindruck mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen“, sagt Spörrle. Leider belegten zahlreiche Studien und Experimente: „Allein die Einsicht, dass unser Blick auf andere durch leistungsirrelevante Kriterien verzerrt wird, führt nicht zur ,Heilung‘ dieser Fehleinschätzung. Wir sollten daher offen sein für politische, gesellschaftliche und organisatorische Maßnahmen, die gegen Chancenungleichheit vorgehen“.
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