Gigafactory in Grünheide 350 Stellen unbesetzt: Warum Tesla sich mit der Mitarbeitersuche schwertut

Rund 350 Stellenprofile sind auf der firmeneigenen Karriereseite derzeit ausgeschrieben.
Düsseldorf Fast vier Jahre forschte Martin Gouverneur bei Bosch an Lithium-Ionen Batterien. Auch bei BMW und Volkswagen war der Experte mehr als zwei Jahre in der Fertigung von Batteriezellen tätig. Seit wenigen Wochen arbeitet der Doktor der Physikalischen Chemie bei Tesla – und ist einer der 25 „Top Guns“. Das sind die herausragenden Kräfte, die Elon Musk für seine im Bau befindliche Gigafactory in Grünheide sucht.
Allerdings ist Gouverneur eher die Ausnahme, wie eine Handelsblatt-Auswertung der Stellenausschreibungen von Tesla zeigt: Danach kommt der Elektroautohersteller in Grünheide vor allem bei der Besetzung seiner Top-Positionen nur mühsam voran.
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Rund 350 Stellenprofile sind auf der firmeneigenen Karriereseite derzeit ausgeschrieben, darunter mehr als 100 hochrangige Managementposten oder Experten mit tiefem Batterie- und Softwarewissen. Bedenklich für Tesla: Zwei Drittel der Stellenausschreibungen stammen noch aus dem vorherigen Jahr – und sind offenbar nicht abschließend besetzt worden.
Einige der Stellenausschreibungen stammen noch aus Februar und März 2020. Dabei drängt die Zeit, im Juli muss die Produktion beginnen.
Das Unternehmen äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Zahlen. Aus Tesla-Kreisen heißt es nur: Es gebe ein großes Bewerberinteresse, auch die meisten Führungspositionen seien bereits besetzt. Eine Stellenanzeige werde oft für mehrere, gleichwertige Positionen ausgeschrieben.
Das dürfte für Positionen stimmen, für die in großer Anzahl gesucht wird. Bei Top-Positionen dürfte das Argument jedoch weniger greifen. Und von denen ist die Hälfte seit drei Monaten oder länger ausgeschrieben.
Manager scheuen Wechsel
Ein Grund für die zähe Suche könnte sein, dass sich in der Krise Führungskräfte wenig wechselwillig zeigen. So zeigte das Managerbarometer von Odgers Berndtson schon im Herbst, dass 44 Prozent der deutschsprachigen Manager einen Wechsel in ein anderes Unternehmen in den nächsten Monaten für unwahrscheinlich halten. Davon ist auch die Autoindustrie betroffen.
„Wechselwillige Manager in der Automobilbranche müssen in der Krise eine Abwägung treffen – zwischen einem sicherheits- und einem chancenorientierten Umfeld“, sagt Christine Seibel, Vergütungsexpertin bei der Managementberatung Korn Ferry. Heißt im Klartext: Am Ende dürfte es eine Typfrage sein, wer zu Tesla geht – und wer nicht.
Noch profitiert Tesla von der Entlassungswelle innerhalb der Branche etwa bei Daimler, wie aus Kreisen des Elektroautobauers bestätigt wird. Aber wie steht es mit dem Abwerben von angestellten Ingenieuren und Managern?
Hier ist vor allem der Vergleich mit einem etablierten Autokonzern interessant: Volkswagen. Zwischen Berlin und Wolfsburg liegt genau ein ICE-Halt. Viele Spezialisten und Manager von VW leben in der Hauptstadt. Ein Wechsel liegt für VW-Beschäftigte damit buchstäblich nah.
Bislang gebe es keinen Aderlass in Richtung Tesla, heißt es in Wolfsburg. Dennoch versucht der Konzern neuerdings, Abwerbeversuche einzudämmen. So können Mitarbeiter, die während einer Freistellung zur Konkurrenz wechseln, nicht mehr einfach so zu VW zurückkehren wie früher. Diese konzernintern als „Lex Tesla“ bekannte Vereinbarung trat nach der Ankündigung des Tesla-Baus in Grünheide in Kraft.
Doch wer punktet wo im Kampf um die besten Spezialisten und Manager? Ein Vergleich zwischen Tesla und Volkswagen zeigt, warum deutsche Automanager nicht so einfach zum Wechseln zu bewegen sind – und welche Karrierechancen sich jeder entgehen lässt, der nicht über einen Wechsel nachdenkt.
Laut Gehaltsdaten der Managementberatung Korn Ferry verdienen akademisch qualifizierte Spezialisten in der Autoindustrie im Schnitt ein Grundgehalt von etwa 66.000 Euro im Jahr – Boni und andere Gehaltsextras rausgerechnet.
Gehalt: VW vor Tesla
Im mittleren Management – Abteilungsleiter und erfahrene Spezialisten – sind im Schnitt knapp 104.000 Euro drin. Was man wissen muss: Die Daten beinhalten auch Zulieferer, die in der Regel weniger zahlen als Hersteller
Bei VW verdienen erfahrene Fachkräfte mit Spezialwissen in der höchsten Tarifgruppe 95.000 bis 105.000 Euro Grundgehalt im Jahr. Wer der ersten Führungsstufe angehört, liegt zum Teil deutlich darüber. Im oberen Managementkreis kann schon mal eine halbe Million Euro gezahlt werden, Boni und Sonderleistungen eingerechnet. Dieser variable Gehaltsanteil macht bei VW-Managern mit zehn oder mehr Jahren Erfahrung in der Regel mehr als ein Viertel der Zieldirektvergütung aus.
Das kann Tesla nicht überbieten. Bei höheren Stellen zahlt Tesla durchschnittlich, wie zahlreiche Mitarbeiter berichten. So erhält ein Ingenieur laut dem Arbeitgeberbewertungsportal Kununu im Schnitt 72.000 Euro, Manager liegen laut dem Portal bei 102.000 Euro. Dazu gibt es kein Weihnachtsgeld und keine anderen, in Deutschland üblichen Sonderleistungen.
Allerdings zahlt Tesla attraktive Leistungsprämien, die nach Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters bis zu 40 Prozent des Gehalts ausmachen können. Auf Bewertungsportalen berichten zahlreiche Angestellte von Aktienprogrammen in Höhe von 50.000 Euro jährlich.
Die Aktie war lange Zeit auch ein gutes Geschäft für die Mitarbeiter, der Kurs stieg enorm. Ob Tesla seine derzeit gewaltige Börsenbewertung von 650 Milliarden Dollar in Zukunft noch so stark steigern kann wie vor einigen Jahren, erscheint eher unwahrscheinlich – und entsprechend weniger attraktiv ist das sogenannte RSU-Programm, was für „restricted stock unit“ steht. Die „eingeschränkten Aktieneinheiten“ heißen so, weil sie über vier Jahre pro Quartal ausgegeben werden und so den Angestellten beim Unternehmen halten sollen.

Selbst gefeuerte Mitarbeiter schwärmen noch von ihrer Zeit bei Tesla, der Intensität und Intelligenz der Mitarbeiter und der Vision des Firmenchefs.
Eine Karriere bei Tesla kann schnell steil verlaufen. Der Konzern sieht sich trotz einer Belegschaft von rund 71.000 Beschäftigten weltweit immer noch als Start-up. Mitarbeiter berichten von flachen Hierarchien und schnellen Aufstiegschancen.
Allerdings herrscht eine gnadenlose Leistungskultur. Wer nicht mitkommt oder Musk in die Quere kommt, der kann viel schneller als bei Volkswagen auf der Straße landen. Die Wolfsburger bieten ihren Mitarbeitern eine Beschäftigungssicherung bis 2029 – heißt: betriebsbedingte Kündigungen soll es bis dahin keine geben.
Mehr Sicherheit, aber auch weniger Dynamik: Im VW-Konzern gibt es 18.000 Führungskräfte – und für die ist ein konzernweiter Standard für den Aufstieg festgelegt. Vom Meister bis zur Vorstandskandidatin müssen erst einmal alle Mitarbeiter mit Personalverantwortung bei VW die sogenannte „Führungskräfte-Basis-Qualifizierung“ durchlaufen.
Für jede Führungsebene gibt es dann noch mal spezielle Programme. Ab dem oberen Managementkreis, zu dem sich bei VW etwa 6000 Führungskräfte zählen dürfen, sind die Qualifizierungsprogramme im Konzern markenübergreifend besetzt.
Hoher Anteil an internen Karrieren
Die Topmanager und Vorstände in spe müssen mehrere Marken, Länder und Bereiche durchlaufen haben. Entsprechend hoch ist der Anteil der Eigengewächse im Konzern. Gerade einmal 1,5 Prozent aller Führungskräfte auf der obersten Managementebene kamen 2020 laut Volkswagen von außen.
In Sachen Beschäftigungsdauer hat VW eindeutig die Nase vorn. So bleiben laut dem Karrierenetzwerk LinkedIn Beschäftigte im Median doppelt so lange bei Volkswagen (4,6 Jahre) wie bei Tesla (2,3 Jahre).
Andrea Morgan-Schönwetter, Leiterin Recruiting und Talent Marketing bei VW, sagt: „Es geht uns weniger um das Abwerben von potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten.“ So setze der Autobauer vor allem auf eine langfristige, nachhaltige Mitarbeiterbeziehung.
Bei Tesla sieht das anders aus. Dort sind auch schon langjährige Weggefährten von Elon Musk gegangen, wie Mitgründer Jeffrey Straubel oder manche Topmanager, die schnell ihre Tesla-‧Erfahrungen woanders brauchen konnten. Zu ihnen zählen der langjährige Deutschlandchef Jochen Rudat, der als Vertriebschef zu Pininfarina ging oder Peter Hochholdinger. Der frühere Audi-Manager stieg nach drei Jahren bei Tesla wieder aus und startete bald als Produktionschef beim kalifornischen Elektroauto-Start-up Lucid Motors.
Eine gewerkschaftliche Vertretung wie bei Volkswagen wird es bei Tesla nicht geben. Die IG Metall versucht bislang vergeblich, die neue Tesla-Fabrik in einen Tarifvertrag zu bekommen.
Ganz anders ist der Einfluss der Gewerkschaft bei VW. Hier gibt es einen Organisationsgrad von 90 Prozent, der bis weit ins obere Management hineinreicht. Ohne den Segen der IG Metall und des starken Betriebsratschefs Osterloh geht auf Top-Ebene praktisch nichts.
Bei Volkswagen nehmen die Arbeitnehmervertreter überall im Unternehmen auch Einfluss auf strategische Entscheidungen. „Das ist gelebte Kultur und historisch gewachsen“, heißt es dazu beim Betriebsrat.
Doch nicht jeder sieht darin Vorteile. „Der Weg zu Entscheidungen ist manchmal mühsam“, sagt eine Führungskraft. Ohne solche über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen könne Tesla schneller entscheiden und agieren. Die Einflussnahme der Betriebsräte führe bei Volkswagen zu viel administrativem Aufwand für die Führungskräfte. „Über alle Hierarchieebenen hinweg“, so der Manager weiter.
Elon Musk will viel Leistung von den Mitarbeitern
Was auffällt: Selbst gefeuerte Mitarbeiter schwärmen noch von ihrer Zeit bei Tesla, der Intensität und Intelligenz der Mitarbeiter, der Vision von Musk. Teslas Firmenphilosophie ist stark geprägt von ihrem Gründer und CEO, aber auch der Mentalität im Silicon Valley. Einzelbüros oder fest zugewiesene Schreibtische sind Mangelware, viel Arbeit wird durch Ad-hoc-Teams erledigt. Kooperation und Teamgeist stehen hoch im Kurs.
Immer wieder ist von „hohem Druck“ und „knappen Zeitfenstern“ die Rede, Mitarbeiter müssten Spaß daran haben, sich für die Mission der Firma zu motivieren. Kurz gesagt: Musk will Leute, die bereit sind, viel zu leisten – sich womöglich für ihren Betrieb aufopfern.
Volkswagen ist ein etablierter Konzern, der sich unter der Führung von Herbert Diess stark zu wandeln versucht. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis heute Hierarchie- und Silodenken bei VW enorm ausgeprägt sind. Dennoch: Der Autohersteller versucht sich zu modernisieren, investiert stark in Elektromobilität und Diess fing vor wenigen Wochen gar an zu twittern – ganz so wie sein Vorbild Musk.
Zeichen des Kulturwandels könnte auch ein neues Sabbatical-Angebot sein, für das sich VWler ab März melden können. Das Angebot des Konzerns lautet: drei bis sechs Monate frei – bei 75 Prozent des Tariflohns, wenn der Vorgesetzte zustimmt.
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