Der moderne Mann „BlumenTopf1“ reagiert nicht mehr

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Auch Passwörter unterliegen einer gewissen Evolution: Als Herr K. noch jung und ein handelsüblicher "Laptop" zehn Kilo schwer war, genügte ein Begriff wie "Blumentopf". Dann kam das Internet, und man musste aus schwer nachvollziehbaren Sicherheitsgründen irgendwann "BlumenTopf" daraus machen und schließlich "BlumenTopf1".
Offenbar reicht eine arabische Zahl oder ein geschickt gesetzter Großbuchstabe, um die global operierende Hackermafia ins Bockshorn zu jagen. Herr K. sitzt vor seinem Büro-Computer und versucht es noch mal. Mit "blumenTopf" und "Blumentopf11", woraufhin sein Bankportal ihm die eigene Entscheidungsschwäche abnimmt und sagt, dass mit Rumprobieren jetzt erst mal Schluss sei und ob er vielleicht sein Passwort vergessen habe.
"Passwort vergessen?" ist der Aufschrei des IT-Zeitalters geworden. Ja klar vergisst er es dauernd, weil er davon auch zu viele hat. Bei Amazon ein anderes als bei Apple als bei Ikea als in der Firma. Wer seine Erinnerungslücke aber zugibt, muss sich im selben Moment überlegen, wohin das provisorische Passwort überhaupt gesendet werden soll? Man hat ja heute eher mehrere Mailadressen, private, dienstliche und meist auch sehr alte, zu denen man - genau - das Passwort längst vergessen hat.
Herr K. schaut über seinen blank geputzten Schreibtisch. Für Menschen wie ihn - also komplette Volldeppen, denen die internationale IT-Industrie eigentlich die bürgerlichen Ehrenrechte aberkennen sollte -, für solche Typen haben Mailbox-Betreiber bisweilen dann noch ein paar ganz persönliche Fragen parat, deren Antworten man vor vielen, vielen Jahren hinterlegt hat, um sich zu identifizieren. Zum Beispiel: "Was ist Ihre Lieblingsfarbe?" oder "Was war Ihr erstes Auto?"
Herr K. spürt, wie ihm sein Leben allmählich entgleitet, denn er kann sich beim besten Willen nicht daran erinnern, welche Lieblingsfarbe er vor zehn Jahren hatte. Dafür weiß er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass sein erstes Auto ein "VW Polo" war. Aber schreibt man da nun "Polo" oder "VW Polo" oder "VWPolo"?
"Bitte rufen Sie unsere Hotline an!", steht nach weiteren erfolglosen Versuchen nun auf seinem Bildschirm. Er schenkt sich das jetzt, denn es würde bedeuten: Eine studentische Aushilfskraft in einem polnischen Callcenter hätte einen verzweifelt klingenden deutschen Mittvierziger am Apparat, der sein erstes Auto sucht, um seine längst vergessene Mailbox zu öffnen, an die er sich das Kurzfrist-Passwort seiner Bank schicken lassen würde, weil ...
Menschen, die jetzt Herrn K.s Büro betreten würden, sähen ihn ganz normal an seinem Schreibtisch sitzen. Tatsächlich sieht er gerade vor seinem inneren Auge alles zu Ende gehen: seine Bankverbindung, seine Kreditwürdigkeit, seine Existenz.
Dabei war er so nah dran: Das gesuchte Passwort wäre "ToPfBLUme11" gewesen. Er hat das erst vor wenigen Monaten geändert. Aus Sicherheitsgründen.
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K.auf Twitter: @herrnK