Der moderne Mann Die Wahrheit über Bruno Schmidt

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Die eigene Kindheit holt einen zu bisweilen merkwürdigen Gelegenheiten ein: Im Falle von Herrn K. reicht einer dieser hoffnungslos überteuerten Latte macchiatos, die am Flughafen ähnlich kostspielig sind wie in so manchem sozialen Brennpunkt komplette Mittagessen. Es war aber nicht der Geschmack des Kaffees, der ihn plötzlich in eine längst sorgsam verpackt geglaubte Vergangenheit zurückwarf. Es war das Gesicht von Bruno Schmidt.
Bruno Schmidt war in den ersten Jahren von Herrn K.s Gymnasialzeit der Anführer, der Macher, der Brecher in seiner Klasse. Bruno wurde von allen "Bruno" genannt, weil er keinerlei Verballhornungen seines Namens duldete. Einmal sagte Herr K. "Schmidti" zu ihm, worauf Bruno brummte: "Noch so‘n Spruch - Kieferbruch!" Das war Bruno, der - solange Herr K. denken konnte - in der Sportstunde nicht nur eine, sondern beide Mannschaftsaufstellungen dirigierte. Fast unnötig zu erwähnen, dass Herr K. dabei meist im unteren Mittelfeld der Erwählten lag. Was ihm aber völlig reichte.
Bruno war einen Kopf größer als der Rest der Klasse und strahlte eine natürliche Autorität aus, der sich selbst die Lehrer zwar nicht unterwarfen, aber doch beugten. Das hatte auch damit zu tun, dass Bruno keiner dieser Halbstarken war, die Schwächere drangsalierten. Jedenfalls nicht oft. Und wenn überhaupt, bekam Herr K. es ab, der bis heute nicht weiß, warum.
Jedenfalls trug Bruno schon Lederjacke, als Herr K. noch gern die Pullunder anzog, die ihm seine Mutter morgens hinlegte. Bruno hörte Kiss, als er Abba liebte. Bruno fuhr Mofa, als er noch ein altes Bonanza-Rad pflegte. Kurz: Bruno war ein Held. Und irgendwann war der Held weg. Es gab ein paar Gerüchte. Miese Noten. Scheidung der Eltern. Umzug. Genau wusste es niemand, weil Bruno keine wirklich engen Freunde hatte. So war das eben schon früher ... die Luft ist dünn ganz oben.
Und nun steht Herr K. an diesem Kaffeewagen am Flughafen, Bruno steckt in einer albernen Barista-Uniform mit einem Hütchen auf dem mittlerweile kahlen Schädel und sagt: "Macht fünffuffzich." Herr K. schaut Bruno an und denkt, dass der ihn doch genauso erkennen müsste, und fragt sich im selben Moment, weshalb dem nicht so ist. War er Bruno einfach nie wichtig genug, um sich an ihn zu erinnern? Oder hatte Herr K. sich so verändert?
Er könnte jetzt "Hallo Bruno" sagen oder "Hey Schmidti!" Aber was würde das bringen, und was wäre dann? Stattdessen gibt er ihm einen Zehn-Euro-Schein und sagt: "Stimmt so." So gehen sie auseinander, und jeder freut sich. Der Kaffee-Verkäufer über das Riesentrinkgeld, Herr K. darüber, seinem alten Albtraum eins ausgewischt zu haben, ohne dass der es überhaupt gemerkt hat. Und Sie, lieber Leser? Können sich über die Tatsache freuen, dass das gar nicht Bruno Schmidt war, sondern eine blöde Verwechslung. Das Leben ist manchmal ein Luder.
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K.auf Twitter: @herrnK