Der moderne Mann Ein iPad gegen die Angst

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Dass er zu den „Abgehängten“ zählt, von denen jetzt alle reden, ist Herrn K. jüngst schmerzlich bewusst geworden: Er wollte sich zu Weihnachten selbst eine neue Hülle für sein iPad schenken. Sie wissen schon, dieses Drüber-klapp-Ding. Aber jetzt steht er in einem Apple-Store, und der Verkäufer schaut ihn an, als stünde sein Urgroßvater mit einem morschen Röhrenradio vor ihm und würde von Stalingrad erzählen.
Wobei die Verkäufer bei Apple nicht mehr Verkäufer heißen, sondern „Genius“. Wahrscheinlich haben sie allesamt Physik-Nobelpreise oder wenigstens Nebenerwerbs-Professuren an sehr teuren Privat-Unis, auf die sie aber nicht angewiesen sind. Sie sind ja Apple-Genien, tragen blaue T-Shirts sowie facettenreiche Tattoos und können sich nun auf letzte Weltfragen konzentrieren wie etwa die von der Frau vor Herrn K.: „Mein Internet an diesem Lap-Ding geht nicht, hab’ ich das jetzt kaputt gemacht?“
Die Frage bleibt ungelöst, weil die Frau online zuvor einen Termin hätte beantragen müssen und nicht einfach so in den Laden latschen kann, was eine eigene Kolumne wäre, wenn jetzt nicht Herr K. dran wäre: „Wo finde ich diese Schutzhüllen denn?“ Er hält sein iPad dem Genius entgegen, der erschrickt: „Sie wissen schon, dass das noch erste Generation ist. Wird gar nicht mehr gebaut.“
Herr K. sagt: „Echt jetzt?“ Der Genius antwortet: „Echt jetzt!“ Er sieht aus wie ein Arzt, der in der Sprechstunde auf die Leber-Zirrhose seines Lebens trifft, mit der er beim nächsten Welt-Leberzirrhose-Convent auf Fuerteventura selbst im Kollegenkreis noch für Furore sorgen könnte. „Muss ich mal fragen, ob wir dafür überhaupt noch Support bieten“, sagt der Genius und ruft einen Kollegen an. Dann noch einen. Der Dritte kommt tatsächlich mit dem „Support“: „Da gibt’s nur noch diese schwarze Hülle. Aber besser als nix für Ihr Teil, oder?“
Herr K. kann spüren, wie der Zweit-Genius versucht, möglichst unauffällig auf seine iPad-Zirrhose zu starren. „Das ‚Teil‘, wie Sie es nennen, ist drei Jahre alt“, verteidigt sich Herr K. „Eben“, rutscht dem Genius raus. Er versucht was Tröstendes: „Ist doch toll, dass es immer noch funzt. Macht übrigens 45 Euro.“ „Was? Ein neues iPad?“ – „Nee, die Hülle.“ Sie schauen einander an. Brontosaurus trifft digitale Zukunft.
Herr K. könnte jetzt ausrasten. Er könnte dem Genius einen Vortrag halten über miesen Service, absurde Produktzyklen, Wegwerf-Gesellschaft und Zubehör-Wucher. Aber es ist viel eleganter, wenn er jetzt einfach die neue iPad-Generation kauft. Da gibt’s auch mehr Hüllenfarben. Sea Blue und Pink Sand. Als „Entscheider“ fühlt er sich gleich wieder ein bisschen weniger abgehängt. Ein paar Monate lang wenigstens.
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK
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"Aber es ist viel eleganter, wenn er jetzt einfach die neue iPad-Generation kauft."
Na, wer sagt's denn. Die Masche "funzt".