Der moderne Mann Koslowski flippt aus

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Es geht zu Ende ... mit dem Land, der Demokratie, allem. Das Volk begehrt auf, blutige Unruhen sind nur noch eine Frage der Zeit. Aufstände samt Plünderungen in Shoppingcentern sowie Stadtvierteln mit Villen im toskanischen Landhausstil werden folgen, Schauprozesse gegen Vertreter des alten Establishments sowieso - Herr K. sieht sich schon bei KiK Socken klauen für seine darbende Familie, seit er im Kiosk seiner Straße „dem Volk aufs Maul geschaut” hat.
Das mit dem Aufs-Maul-schauen war nicht schön: „Da gärt was”, warnt er am nächsten Tag in der Kantine. Im überwiegend prekären Kundenstamm des Kioskbesitzers seines Vertrauens, Herrn Erbakan, stieß er „auf blanken Hass gegen ‚die da oben‘”, berichtet er seinen Kollegen quasi von der Front. „Also auch gegen uns.”
Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung erwägt daraufhin Hamsterkäufe ihres geliebten vierlagigen Öko-Toilettenpapiers, Berger aus dem Marketing hat „Angst vor dem AfD-Mob”. Ausgerechnet Koslowski zeigt sich überraschend sensibel: „Berger, Berger, wer bei Ihnen sagt ‚Das Boot ist voll‘, ist automatisch Neonazi oder was?”
Herr K. versucht noch zu beschwichtigen: „Jetzt lassen Sie doch ...!” Aber Koslowski lässt nicht: „Ihr habt schlicht den Schuss noch nicht gehört. Den Leuten da draußen geht das alles mittlerweile wahnsinnig auf die Nerven: diese ganze Blasiertheit in Berlin, aber auch hier am Tisch. Euer ganzes Wir-schaffen-das. Nix schaffen wir. Dafür haben wir jetzt Trump und Brexit und was-weiß-ich-noch-alles. Das ist alles ein Protest der Abgehängten?”, fragt er, meint die Frage aber wohl rhetorisch, denn er setzt gleich nach.
„Dann bin ich auch ein Abgehängter, aber so was von abgehängt, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen! Ich kann kaum noch meinen neuen Fernseher anschließen, so kompliziert ist das. Was ein Proxyserver ist, weiß ich auch nicht. Und dann rufen alle: Disruption, Disruption! Ja, und? Heißt das, dass bald eine Software meinen Job im Controlling übernimmt? Und was mach ich dann?” Die anderen schauen betreten auf ihre Lachsschnitten an Wintergemüse.
„Ist das unsere Zukunft? Ja? Dass wir mit diesen Scheißalgorithmen, die ich schon in der Schule nicht verstanden habe, um Arbeitsplätze kämpfen? Und von was sollen wir dann die Flüchtlinge bezahlen? Leute, ich hab echt Angst: um meinen Job, meine Rente, das Land.” Bevor Koslowski noch die Nicht-Integrierbarkeit des Islams thematisiert, steht Frau Stibbenbrook auf und sagt schnell: „Gibt noch Pannacotta. Ich besorg uns mal ’nen Espresso, ja?!”
Abends fragt Herrn K.s Frau, wie es war. Er erzählt, dass Koslowski „völlig durchdrehte und uns das ganze Mittagessen über nur die Wahrheit um die Ohren gehauen hat”. „Wahnsinn”, sagt seine Frau. „Ja, Wahnsinn”, antwortet Herr K. (Ende)
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK
Die besten Kolumnen vom modernen Mann sind im Gabal Verlag erschienen (14,90 Euro) – samt neuen Texten und allen Hintergründen rund um Herrn K. Hier können Sie das Buch zur Kolumne bestellen: kaufhaus.handelsblatt.com/herrk.
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"... und uns allein gegen den Rest der Welt behaupten müssen wir ganz bestimmt auch nicht, ..."
Heißt im Klartext:
Kooperation bringt nicht nur grundsätzlich mehr als Konfrontation, sie macht vor allem auch glücklicher und zufriedener. Und ist damit längerfristig die einzige Option, die den vielfältigen und höchst unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen auf der Erde gerecht wird.
Nette Sammlung deutscher Befindlichkeiten.
Und kommen wir einfach mal wieder runter und entspannen uns ein wenig:
Erstens ist Wochenende, zweitens Vorweihnachtszeit, und drittens werden wir das alles schon irgendwie gemanagt kriegen, wenn wir uns auf uns selbst konzentrieren statt uns verrückt machen zu lassen: Arbeit ist kein Selbstzweck, verhungern muss bei uns keiner, und uns allein gegen den Rest der Welt behaupten müssen wir uns ganz bestimmt auch nicht, auch wenn verschiedene Seiten immer noch (bzw. wieder) versuchen, uns das Gegenteil weiszumachen.