Der moderne Mann Malen nach Zahlen

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Bis zu diesem Moment in seiner Stadtteilbuchhandlung hatte sich Herr K. „digitales Detoxing“ ganz anders vorgestellt. Zum Beispiel so: Man wird von stimmgewaltigen Ex-Söldnern der Fremdenlegion durch einen südfranzösischen Pinienwald gescheucht. Oder man verbringt das Wochenende auf einem aufwendig renovierten und absolut handyempfangsfreien Gutshof im Chiemgau mit dem Kurs „Herrgottsschnitzerei für Anfänger“. Jedenfalls nicht so wie das, was seine Frau da für ihn arrangiert hat, die jetzt triumphierend neben ihm steht.
„Huhuu“, begrüßt ihn da schon Anberger, Erbe eines Hidden Champions im Bereich recycelbarer Alu-Konserven und hier offenkundig zum Vollidioten mutiert. Anberger kauert auf einem mintgrünen Plastikstuhl über einem „Ausmalbuch für Erwachsene“... „Mein Zauberwald“, um genau zu sein. Daneben sitzt Dr. Senfft, ein sonst eher übellauniger Arbeitsrechtler, und dekoriert ein paar Schlingpflanzen in „Mein geheimnisvoller Dschungel“. Herr K. kommt sich vor wie in der Business-Class des Ikea-Smålands. „Und für mich hast du bestimmt gleich ‚Die schönsten Office-Ornamente‘“, sagt er zu seiner Frau, die ihm eine Schachtel nagelneuer Faber-Castell-Buntstifte hinhält.
Er hatte diesen ganzen Malbuch-Hype bislang für eine PR-Lüge der, tja, Malbuchindustrie gehalten. Schuld ist aber offenbar eine gewisse Johanna Basford, die im Jahr 2013 das erste „Malbuch für Erwachsene“ rausbrachte. So erzählt es die Kursleiterin, eine resolute Diplom-Erzieherin, die ihren Job in etlichen sozialen Brennpunkten verlernt hat.
Aus Frau Basfords Bastelspaß scheint jedenfalls ein Malen-nach-Zahlen-Imperium geworden zu sein mit Millionen-Auflagen. Sicher werden all die Mandalas mittlerweile von pakistanischen Waisenkindern oder Algorithmen produziert, und Frau Basford hängt den ganzen Tag am Handy, um sich von ihren New Yorker Agenten anhören zu müssen, dass sie dringend noch Pocketbooks für U-Bahn-Publikum entwerfen soll. Und wozu? Damit hart arbeitende Männer wie Herr K. sich mit Buntstiften zum Affen machen?
Dr. Senfft fragt gerade die Kursleiterin, ob sie noch andere Grüntöne hat. Anberger sagt, er spüre schon irgendeinen „Flow“ und leckt wie zum Beleg sehr analog seine Wachsmalkreide ab.
Herrn K.s Hände zittern. All die ungelesenen Mails, nicht beantworteten SMS, ignorierten Pop-up-News ... Seine Frau hält ihm eine Bücherauswahl hin: „Reise nach Fantasien für Führungskräfte Vol. 3“, „Das Anti-Stress-Stickermalbuch“ und „Das Teletubbie-Wimmelbuch“. Als die Kursleiterin sich zu ihm runterbeugt und sagt „Nachher gibt‘s noch einen leckeren Ayurveda-Einlauf“, wacht er schreiend auf. Er starrt in die Dunkelheit. Auf dem Nachttisch leuchtet sein Handy. Morgen wird er anfangen mit dem digitalen Entgiften. Versprochen. Es soll dazu eine tolle neue App geben (Ende).
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK
Die besten Kolumnen vom modernen Mann sind im Gabal Verlag erschienen (14,90 Euro) – samt neuen Texten und allen Hintergründen rund um Herrn K. Hier können Sie das Buch zur Kolumne bestellen: kaufhaus.handelsblatt.com/herrk.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.