Der moderne Mann Mission Nudelholz

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Normalerweise hat ein neuer Trend den Zenit seiner Originalität längst überschritten, wenn Herr K. ihn entdeckt. Schon kurz nachdem er sich zum Beispiel bei Twitter angemeldet hatte (@HerrnK), weil heute ohne soziale Netzwerke ja nichts mehr geht, rutschte der US-Kurznachrichtendienst rapide ab: Image, Umsatz, Nutzerzahlen – alles mittlerweile im eher kritischen Bereich.
Er weiß auch noch, wie er in einem Winterurlaub Squash lernen wollte, nur um dann festzustellen, dass in den drei hoteleigenen Betonwaben die Gartenmöbel samt diversem Sperrmüll lagerten. Da wurde selbst ihm klar, dass das Ball-Gebolze offenbar nicht mehr ganz so en vogue ist.
Aber diesmal ist er sich doch sicher, recht weit vorn mitzuschwimmen – zumindest im großen Fluss der Sportmoden. Der Grund: Er trainiert jetzt seine Faszien, was unanständiger klingt, als es ist.
Faszien sind das kollagene Bindegewebsnetzwerk, das von der „Zeit“ jüngst als „wurstpellenartiges Problemgewebe“ diffamiert wurde. Die „Zeit“ hat doch keine Ahnung. Auch die Verdauung galt publizistisch bis vor kurzem allenfalls als Nebenkriegsschauplatz, hat aber unter dem Titel „Darm mit Charme“ die Bestsellerlisten erobert. Und im Gegensatz zu den Innereien kann man die Faszien angeblich sogar aktivieren.
Neben allerlei Streck- und Dehnübungen genügt eine Art Rolle, dem klassischen Nudelholz nicht unähnlich, das früher in schlechten Herrenwitzen viele Auftritte feierte. Nur ohne Griff und natürlich in schicken Neonfarben. Da liegt Herr K. nun in seinem labbrigen Jogginganzug auf dem Dachboden und walzt seine Speckröllchen so lange hin und her, bis es wehtut.
Wenn er Koslowski morgen in der Kantine davon erzählt, wird er es natürlich anders nennen: „Beim Fascial Release meines neuen Workouts lösen sich selbst reversible Verklebungen rubbeldiekatz.“ Das klingt viel mehr nach „Faszienation“, denn natürlich sind auch die flankierenden Wortwitze alle schon gemacht oder mit Copyrights belegt.
Es gibt Faszien-Yoga, Faszien-Tanz und bald wahrscheinlich auch Faszien-Sex, den wir uns jetzt nicht weiter vorstellen wollen. Sicher gibt es auch schon einen Faszien-Papst und einen Diplom-Studiengang für angehende Faszien-Fachkräfte, aber so weit steckt Herr K. nun auch wieder nicht drin.
Zwar existieren bislang keinerlei wissenschaftliche Studien über die medizinische Wirksamkeit dieser Übungen, aber darum geht’s doch eh selten beim Sport, der vielmehr ein Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen ist.
Gegen den nächsten Gedanken kann Herr K. sich deshalb auch nicht wehren, er kommt ganz unvermittelt: Heute trainiert man eben die Geschmeidigkeit des eigenen Bindegewebes, wo man früher vielleicht noch Rückgrat für wichtig hielt.
Herr K. liegt jetzt weitgehend leblos auf seiner Yoga-Matte und starrt an die Decke. Vielleicht probiert er es einfach mal mit Spazierengehen.
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K.auf Twitter: @herrnK