Der moderne Mann Rock ’n‘ Rollkoffer

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Liebe Trauergemeinde, wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von einem wahren Freund, der uns viele Jahre lang … Herr K. ist von der Erhabenheit seiner eigenen Grabrede-Gedanken durchaus ergriffen, auch wenn das Ambiente eher pragmatisch ausfällt, aber davon möchte er sich jetzt nicht ablenken lassen.
Der Verstorbene war uns im wahrsten Sinne des Wortes ein Wegbegleiter. "Ich weiß noch genau, wie ich ihn vor zwölf Jahren entdeckt habe. Karstadt in Paderborn. Gibt’s heute gar nicht mehr. Und dann gleich los. Leipzig. Kurzstrecke. Lufthansa", murmelt Herr K. melancholisch.
"Mit wem quatschen Sie’n da eigentlich?", fragt plötzlich ein Mann neben ihm. Der Service-Beauftragte des Recyclinghofes baut sich in orangefarbener Latzhose neben Herrn K. auf, der wenigstens adäquat gekleidet ist: schwarze Hose, dunkler Mantel.
Aber wie soll er dem jetzt erklären, dass er sich hier lediglich in aller Form von seinem Rollkoffer verabschieden möchte. "Sie woll’n hier also ’n Koffer beerdigen. Ham Sie sie noch alle? Das is’ doch hier kein Friedhof!"
Herr K. will sich nicht stören lassen. Nicht jetzt. Dieser Rollkoffer war der erste, den er jemals hatte. Und natürlich war das Ding von Anfang an geächtet … als Weicheier-Accessoire … als Touri-Utensil … als rumpelnde Gentrifizierungs-Drohung.
"Der Rollkoffer ist zum Politikum geworden", schrieb der "Tagesspiegel" jüngst, "er ist Synonym alles Bösen." Oh ja, das hat Herr K. auch schon erlebt. In Berlin-Mitte haben ihn aufgebrachte Latte-Macchiato-Mütter mit regenbogenfarbenen Batikröcken über der Jeans schon als "Rollkoffernazi" beschimpft, weil er mit seinem airline-gepäckfachtauglichen Koffer über ihr Prenzelberg-Kopfsteinpflaster rasselte. "Sie können das hier nich reinwerfen!", beharrt die Recyclinghof-Fachkraft neben ihm.
Wenn schon Symbol, dann war sein Koffer doch eines für Aufbruch, Globalisierung, Welt-wächst-zusammen und den ganzen Kram. Früher war das Gewehr die Braut des Soldaten. Heute ist der Rollkoffer die … hm … Lebensabschnittsgefährtin des Managers. Da ist doch ein gewisser Fortschritt in puncto Menschheitsentwicklung nicht von der Hand zu weisen, oder? Oder? "Ich sach’s noch ma: Hier könnense das nich’ entsorgen."
Herr K. ist jetzt ehrlich aufgebracht. Der Müllmann hat das ja nicht mitgemacht … all die hektischen Geschäftsreisen, die Auslandsflüge, das Asphalt-Gekratze vor deutschen Regionalbahnhöfen. Bis die beiden Rollen irgendwann anfingen zu quietschen und zu knirschen. Gibt ja längst schon die Luxusvariante mit vier Rollen und Hartschale. Aber Herr K. hielt seinem Zweiachser tapfer die Treue. Bis es nicht mehr ging. Bis vorgestern - ihm schaudert noch immer - die rechte Rolle rausbrach.
"Und da wollen Sie mir sagen, dass mein Koffer hier nicht hergehört, oder was?" "Jetzt kapieren Sie’s doch, Sie steh’n hier bei den Gartenabfällen! Sperrmüll is’ auf der annern Seite."
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K.auf Twitter: @herrnK