Der moderne Mann Schon Cicero wusste...

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Herr K. soll eine Rede halten. Wer Führungskraft sein will, muss das hinkriegen: sich ad hoc auf jedes Bretterpodium stellen und aus dem Stegreif über Weltfrieden, Feiertagszuschläge oder die Spiralspundmuffe in Zeiten von Industrie 4.0 referieren können. Herr K. kann es nicht.
Er kann so wenig auf einer Bühne begeistern wie sein Chef, der alte Reschke, den Unterschied zu erklären vermag zwischen Powerpoint und Instagram. Eigentlich hat Reschke von gar nichts eine Ahnung, aber Reden hält er wie ein junger Gott: jovial, lustig, auf beruhigende Weise väterlich und von keinerlei Vorbereitung oder Karteikarten-Hilfe angekränkelt.
Das letzte Mal hat Herr K. das beobachten können, als die Firma nach der Finanzkrise 50 Leute rausschmei... öh ... freisetz... also: "aus betrieblichen Gründen zu unserem größten Bedauern verabschieden musste". Reschke erklärte das mit so viel Schmelz in der Stimme, dass selbst seinen Opfern danach Tränen der Rührung in den Augen standen.
Es ist immer eine Freude, ihm zuzuhören. Und vielleicht ist das schon das ganze Geheimnis. Viel wichtiger als ein MBA aus Oestrich-Winkel oder gar Fachkenntnis. Man muss nur sich selbst (und andere gleich mit) verkaufen können.
Herr K. hatte schon in der Schule Probleme, ein Publikum mitzureißen. Beim Abschlussbesäufnis der Schul-Skiferien sollte er sich im Namen aller bei den beiden Skilehrern bedanken, die auch noch Micky und Vicky hießen. Humortechnisch wäre da schon was gegangen. Nach zehn Minuten brodelte die Stimmung, als habe er gerade das Kleingedruckte in den Apple-AGBs vorgelesen.
Über die Jahre wurde sein Rednertalent nicht besser, nur seine Vorbereitung akribischer. Mittlerweile hat er für alle Eventualitäten Zitate-Wörterbücher parat. Zitate täuschen Bildung und Tiefgang vor - so inflationär, dass man damit haushalten sollte. Aber bis zu Herrn K. hat sich das noch nicht herumgesprochen.
Er spickt seinen Vortrag mit allem, was die Weltgeschichte an großen Geistern zu bieten hat, von Aristoteles bis Homer Simpson. Mitunter fragt er sich zwar, wie Cicero das gemacht hat, der vor dem römischen Senat ja noch ohne Voltaire, Churchill oder wenigstens Saint-Exupéry auskommen musste. Aber wie er (also Cicero) selbst ja schon wusste: „Wie du gesät, so wirst du ernten.“
Auf Sprichwörter und „Volksmund“ verzichtet Herr K. ebenso wie auf Zitate, hinter denen „Autor unbekannt“ vermerkt ist. Man will sich ja auch ein wenig schmücken mit großen Geistern, denn „Weisheit ist mehr wert als Gold“. Wusste schon Goethe. Aber vielleicht hätte Herr K. bei der Einweihung der neuen Kundentoiletten dann doch auf Thomas Mann verzichten sollen: „Sei am Tag mit Lust bei den Geschäften, aber mache nur solche, dass du des Nachts ruhig schlafen kannst.“ Obwohl schon Zig Ziglar wusste: „Scheitern ist ein Umweg, keine Sackgasse.“ Und fragen Sie jetzt bitte nicht, wer Zig Ziglar war!
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist - beruflich wie privat - bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will künftig die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K.auf Twitter: @herrnK