Der moderne Mann Wutbürger – next Level

Herr K. schreibt auf Handelsblatt Online über den Alltag des modernen Manns. Anregungen bitte an: [email protected]
Am Montag nach dem G20-Gipfel sitzt Schmitt-Scheckenbach aus dem Controlling in der Firmencafeteria, als wenn nichts gewesen wäre. Sein Auge scheint unter der schwarzen Binde geschwollen, er sieht aus wie eine Mischung aus Jack Sparrow und dem Melittamann. „Bei Gartenarbeiten vom Baum gerutscht“, murmelt er über seinen Caramel Latte Macchiato. Alle glauben ihm, denn es ist spannender, einem Eimer Dispersionsfarbe beim Trocknen zuzuschauen, als mit Schmitt-Scheckenbach zu reden.
Er selbst wird niemandem erzählen, wie er am Wochenende die westliche Wertegemeinschaft verteidigt hat. Würde eh niemand verstehen, dass sein Hamburg-Ausflug für ihn eine ähnliche Funktion hatte wie für den schwarzen Block, Greenpeace oder das „Aktionsbündnis Kommunistischer Mütter Ostwestfalen“: als Eventritual. Als Abenteuertourismus, wenngleich Schmitt-Scheckenbach immer Wert auf Gewaltfreiheit gelegt hat.
Er ist jetzt Mitte 50 und damit in einem Alter, in dem sich auch andere Männer für seltsame Hobbys entscheiden: Sie fangen an, Golf zu spielen oder Vintage-Armbanduhren zu sammeln. Schmitt-Scheckenbach, der Freizeit-Wutbürger blieb sich insofern treu, als er seit seiner Schulzeit immer auf der gleichen Seite stand: Für die 68er war er zwar zu jung und eh zu weit weg. Aber das „Why“-Antikriegsposter gehörte ebenso zu seiner universitären Grundausstattung wie die Konstantin-Wecker-Plattensammlung.
In seiner ostschwäbischen Heimat hat er früh gegen die Volkszählung demonstriert, in Mutlangen gegen den Nato-Doppelbeschluss, in Frankfurt gegen die Startbahn West. Irgendwas war immer: G7, G20, Stuttgart 21. Globalisierung, Occupy Wall Street. Für Wald und Wale. Gegen Welthunger und Nutztierhaltung. Ende der achtziger Jahre auch kurz „Wir sind das Volk“ in Leipzig. Schmitt-Scheckenbach ist überzeugt, dass er für den Untergang der DDR maßgeblich mitverantwortlich war, was niemand ahnt, denn er fuhr nach den Montagsdemos artig wieder in den Westen. Das BWL-Studium wartete.
So zogen die Jahre dahin. Andere Männer gingen zum Fußball, er eben auf die Straße. Einziges unschönes Erlebnis: In Nürnberg hielt ihn ein junger Antikapitalist aus eher bildungsfernen Schichten mal wegen seines curry-farbenen Sakkos für einen AfD-Anhänger und schlug ihm einen Schneidezahn aus. Schmitt-Scheckenbach verzichtete auf eine Anzeige.
Vielleicht hat ihn das aber angespornt: Hamburg jetzt - auf beiden Seiten höchst professionell. Die Stacheldrahtzäune und Panzersperren. Er kaufte sich sogar eine dieser Wollmützen, die wunderbar seinen lichten Haarkranz kaschieren. Und plötzlich war er mittendrin: Schreie, Tränengas, direkt vor ihm der Wasserwerfffffff… dann wurde es dunkel. So lebendig hat er sich noch nie gefühlt wie in diesem Kurzzeit-Koma.
Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: [email protected] oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK
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