Arbeiten im Staatsdienst Trotz neuer Homeoffice-Verordnung: Viele Beamte müssen weiter ins Büro

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes müssen vielerorts auch weiterhin ins Büro kommen.
Düsseldorf „Homeoffice überall da, wo es möglich ist.“ Das verlangt die Bundesregierung von Unternehmen in Deutschland. An diesem Mittwoch tritt eine neue Verordnung des Arbeitsministeriums in Kraft, wonach Arbeitgeber verpflichtet werden, ihren Beschäftigten Heimarbeit anzubieten.
Doch es ist gerade der Staat, der in vielen Fällen nicht schafft, was er von den Firmen verlangt: In Amtsstuben und Behörden in allen Teilen der Republik müssen die Beamten weiterhin ins Büro, wie mehrere Befragungen belegen. Eine des Digitalverbands Bitkom kommt zu dem Ergebnis, dass die meisten Beschäftigten im Öffentlichen Dienst zwar von zu Hause aus arbeiten könnten, doch „den wenigsten wird es bislang ermöglicht“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „In jeder zweiten Kommune wird Homeoffice überhaupt nicht ermöglicht.“
Immer mehr Manager und Mitarbeiter spekulieren in der Krise auf einen Wechsel in den Staatsdienst. Denn während sich Beschäftigte in der Wirtschaft vielerorts um ihren Job sorgen, ist im Amt alles wie immer: keine Kurzarbeit, keine Entlassungen, keine Insolvenzen. Wer bei Vater Staat arbeitet, mit 4,8 Millionen Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Republik, hat zwar eine sichere Beschäftigung – doch er muss dafür in vielen Fällen ins Büro kommen.
Zumindest die Bundesministerien wollen sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen. Auf eine Handelsblatt-Umfrage unter allen 14 Ressorts antworteten die Behörden unisono, dass die Präsenzpflicht auf das Nötigste beschränkt werde. Trotzdem fallen die Homeoffice-Quoten sehr unterschiedlich aus.
Im Arbeitsministerium selbst arbeiten „schätzungsweise deutlich über 85 Prozent von zu Hause aus“, teilt die Behörde mit. Ähnlich ist die Quote im Familienministerium. Beim Wirtschafts- und Umweltministerium sowie im Auswärtigen Amt sind es immerhin 80 Prozent.
Gesundheitsministerium kann Homeoffice-Quote nicht beziffern
Ausgerechnet das Bundesgesundheitsministerium kann nicht genau beziffern, wie hoch die Zahl der Beschäftigten ist, die mobil arbeitet. Eine Sprecherin beschwichtigt: „Derzeit sind alle Arbeitsplätze, die für mobile Arbeit geeignet sind, entsprechend ausgestattet.“
Doch nur weil Mitarbeiter Handy und Dienstlaptop haben, heißt das nicht, dass sie auch von zu Hause aus arbeiten. Beispiel Justizministerium: 95 Prozent der 930 Beschäftigten „verfügen über eine mobile Arbeitsausstattung“. Tatsächlich aber würden nur 80 Prozent daheim arbeiten. Sicher: Die Homeoffice-Quote mag vergleichsweise gut sein, doch wenn der Staat von Betrieben verlangt, alle nach Hause zu schicken, muss er sich selbst mit strengen Maßstäben bewerten lassen.
Und so nimmt das Justizministerium die neue Arbeitsschutzverordnung zum Anlass, „noch einmal zu überprüfen, ob den Beschäftigten die Arbeit im Homeoffice angeboten werden kann“.
In der Rangliste der Ressorts schneiden Verkehrs-, Innen- und Verteidigungsministerium am schlechtesten ab. In der Behörde von Minister Andreas Scheuer sind lediglich drei Viertel der Angestellten in Heimarbeit.
Das Gleiche gilt für das Bundesinnenministerium (BMI). Ein Sprecher verweist auf die besondere Rolle des Ministeriums zur Bekämpfung der Pandemie. Das BMI habe „wesentliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen wahrzunehmen“. Übersetzung aus dem Beamtendeutsch: Krisenstäbe lassen sich nicht aus dem Homeoffice organisieren.
70
Prozent
arbeiten beim Bundesverteidigungsministerium im Homeoffice. So schlecht ist die Quote in keinem anderen Ministerium (Quelle: Handelsblatt-Umfrage).
Beim Verteidigungsressort arbeiten nur 70 Prozent im Homeoffice. Mehr sei nicht möglich, heißt es. „Das mobile Arbeiten findet dort seine Grenzen, wo es um die Bearbeitung eingestufter oder sicherheitsrelevanter Daten geht.“ Das gelte insbesondere für laufende Einsätze der Bundeswehr.
Gerade die Verwaltungen von Bund und Ländern haben Nachholbedarf
Damit sind die Homeoffice-Quoten bei den obersten Bundesministerien auch nicht besser als unter Deutschlands Dax-Konzernen. Die meisten großen Firmen haben das Arbeiten von zu Hause aus zum neuen Standard in der Pandemie erklärt. Bei der Deutschen Bank etwa sind 80 Prozent im Homeoffice, bei SAP sogar bis zu 95 Prozent, zeigen regelmäßige Befragungen des Handelsblatts.
Der Vergleich mit Deutschlands größtem Softwarekonzern mag unfair sein. Doch zur Realität gehört auch: In vielen Behörden scheiterte die Heimarbeit an Aktenbergen, wie immer wieder von Beamten zu hören ist. Dokumente liegen noch immer auf Papier vor und müssen im Amt gelocht, getackert und abgeheftet werden. Anders als die obersten Bundesministerien haben gerade die Verwaltungen von Ländern und Kommunen noch großen Nachholbedarf.
37
Prozent
der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst auf kommunaler Ebene können nur vom heimischen Schreibtisch arbeiten (Quelle: Beamtenbund)
Eine Studie der Beamtengewerkschaft DBB und der Hertie School of Governance belegt, dass bei den Staatsdienern auf Landesebene nur 55 Prozent von zu Hause aus arbeiten können. Die Kommunen kommen lediglich auf eine Quote von 37 Prozent. Die Zahlen stammen aus dem Sommer. Doch glaubt man den Anekdoten von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, hat sich daran auch bis heute kaum etwas geändert.
Das unterstreicht eine aktuelle Umfrage der „Welt am Sonntag“ unter den Kommunalverwaltungen von 14 großen Städten: Schlusslicht der Befragung war Kiel, wo aktuell nur 17 Prozent der Bürobeschäftigten von zu Hause aus arbeiten können. In Frankfurt sollen es immerhin 28 Prozent sein, Leipzig kommt auf einen Homeoffice-Anteil von 33 Prozent.
Von diesen Zuständen ist auch auf einer Liste von Laura Dornheim zu lesen. Unter dem Hashtag #MachtBuerosZu hat die Grünen-Politikerin 1000 Erfahrungsberichte aus dem Arbeitsalltag in Deutschland via Twitter eingesammelt – die meisten positiv, aber auch 200 „horrende Berichte“, wie sie sagt. Darunter findet sich auch viel Kritik aus dem öffentlichen Dienst.
Ein Belegschaftsmitglied des Landkreises Saalekreis etwa bemängelt, dass man sich regelrecht rechtfertigen müsse, „warum man nicht ins Büro kommt“. Im Gesundheitsamt säßen Mitarbeiter sogar zu acht in einem Raum – ohne Maske. Der Landkreis könne sich diese Schilderung nicht erklären, heißt es.
In vielen Fällen scheitert es im Staatsdienst aber nicht nur am Willen der Führungskraft. Es fehlt an Plänen für Heimarbeit, an Schulungen – und an der Technik. Viele Behörden haben sich zu spät um Laptops und Server gekümmert. Und derzeit ist vieles davon nicht lieferbar.
Datenschutzbedenken erschweren Heimarbeit
Auch Datenschutzbedenken machen Heimarbeit im öffentlichen Dienst schwierig: So können auch beim Statistischen Bundesamt nicht alle der 2300 Mitarbeiter mobil arbeiten. Technik und Datenschutz ketten Beschäftigte weiterhin an den Standort Wiesbaden. Wie viele genau, wollte die Bundesbehörde nicht mitteilen. „Die Mitarbeiter arbeiten an hochsensiblen Datensätzen, die ausschließlich im Dienstgebäude bearbeitet werden dürfen“, sagt Georg Thiel, Präsident der Bundesbehörde.
Dass hochsensible Daten im Homeoffice nichts zu suchen haben, daran wird sich nichts ändern. Trotzdem, das gesteht Thiel ein: „Wenn wir als Arbeitgeber attraktiv bleiben und Toparbeitskräfte behalten wollen, müssen wir Homeoffice in unserer Kultur noch stärker etablieren.“
Dass es mit der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes noch dauern wird, belegt die Erzählung eines anonymen Mitarbeiters des Wasser- und Schifffahrtsamts, von der auf der Liste der Politikerin Dornheim zu lesen ist. Im Frühjahr seien sie ohne Laptop für vier Wochen nach Hause geschickt worden, erzählt er – mit dem Hinweis, die privaten Computer aus Datenschutzgründen nicht zu nutzen. Stattdessen kam die Ansage: „Drucken Sie sich immer aus, was sie daheim lesen können.“ Erst im zweiten Lockdown habe der Mitarbeiter dann einen Laptop bekommen – ein zwölf Jahre altes Modell.
Mitarbeit: Philipp Frohn
Mehr: Staatsdienst statt Start-up – Warum immer mehr Leistungsträger beim Staat arbeiten wollen
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Wer hat denn etwas anderes erwartet. Erstens sind die Ämter doch für soviel IT garnicht gerüstet, geschweige denn ausgebildet. Zweitens würde doch die gesamte Hierarchiekette unterlaufen. Kann doch nicht sein daß plötzlich so ein Schreiberling selbst Entscheidungen treffen muß ohne Rücksprache. Nur der Beweis: Deutschland schafft sich ab!