Debatte um Homeoffice-Pflicht Managementexperte Reinhard Sprenger: „Lassen Sie sich nicht vom Working-Remotely-Virus anstecken“

Der promovierte Philosoph und erfahrene Personalentwickler gehört zu den wichtigsten Managementvordenkern.
Düsseldorf Der zweite Lockdown befeuert die Homeoffice-Debatte. Immer mehr Menschen sehen im Arbeiten auf Distanz eine passende Lösung – für mehr persönliche Flexibilität, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ja sogar für mehr Umweltschutz. Entfällt doch für viele die Pendelei zwischen ihrem Zuhause und dem Arbeitsplatz.
So hat gerade die Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt ein Recht auf Homeoffice für Arbeitnehmer samt Bußgeldern für uneinsichtige Firmenchefs gefordert.
Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordern im Lockdown die Arbeitgeber dazu auf, noch mehr Arbeit von zu Hause zu ermöglichen als bisher.
Insgesamt arbeitet laut einer aktuellen Untersuchung des Digitalverbands Bitkom momentan fast jeder zweite Beschäftigte (45 Prozent) zumindest teilweise im Homeoffice. Damit nach der Coronakrise weiterzumachen wünscht sich die Mehrheit: 55 Prozent der Berufstätigen sehen ihre Tätigkeit zumindest teilweise als Homeoffice-geeignet an. Dagegen sagen 43 Prozent, für ihre Tätigkeit käme Homeoffice grundsätzlich nicht infrage.
Homeoffice, eine Dauerlösung? Dazu sagt Managementexperte Reinhard Sprenger ganz klar: Nein. Der Doktor der Philosophie und erfahrene Personalentwickler, der zu den bekanntesten Führungsexperten im deutschsprachigen Raum zählt, warnt: „Management geht online, Führung nicht; Administration geht online, Kreativität nicht; Koordination geht online, Zusammenarbeit nicht.“
Sprengers Fazit: Büro als Standard – Homeoffice als Ausnahme.
Lesen Sie hier das gesamte Statement von Reinhard Sprenger:
Homeoffice ist die Pandemie in der Pandemie. Mein Rat: Lassen Sie sich nicht vom Working-Remotely-Virus anstecken!
Wenn Ihnen jemand etwas von Geht-doch-auch-so, Kosten-, Öko- und Motivationsvorteilen erzählt, ziehen Sie die nächstbeste Sauerstoffmaske dicht zu sich heran, pressen Sie sie fest über Mund und Nase (können Sie ja jetzt), und atmen Sie folgende Gedanken tief ein: Unternehmen sind Kooperationsarenen, deren Kernidee die Zusammenarbeit ist – keine Koordinationsarenen, die Einzelleistungen addieren und im Fließbanddenken verharren.
Zudem kippt die unternehmerische Zentralperspektive, der Kundennutzen, in Firmenautismus um. Mehr noch: Die Kraft des Wir, der Wunsch dazuzugehören, das Gefühl, ein Beitragender zu sein, ein gemeinsames Werk zu schaffen, all das verdankt sich der Zugehörigkeit zu einer räumlich umgrenzten Gemeinschaft.
Vertrauen Sie also den Arbeitsweltrevolution-Leugnern, das sind keine Verschwörungstheoretiker. Auf physische Anwesenheit zu verzichten ist anthropologisch naiv. Deshalb: Management geht online, Führung nicht; Administration geht online, Kreativität nicht; Koordination geht online, Zusammenarbeit nicht. Die Konsequenz: Büro als Standard, Homeoffice als Ausnahme.
Was für Homeoffice und was dagegen spricht
So stark Sprengers Meinung ist, sie deckt sich nur teilweise mit wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen zum mobilen Arbeiten.
- Einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) zufolge ist die Zahl der Homeoffice-Befürworter laut einer im Dezember 2020 veröffentlichten Umfrage von 42 auf 71 Prozent angestiegen. Studienleiterin Josephine Hofmann: „Dieser Umschwung könnte auf die Ergebnisse in Sachen Produktivität zurückzuführen sein.“
- Mehr als die Hälfte der von IAO und DGFP zu ihren Erfahrungen mit dem ersten Lockdown befragten 500 Unternehmen gab an, dass die Leistung ihrer Mitarbeitenden im Homeoffice gleich geblieben sei. Und über 30 Prozent melden, dass die Produktivität sogar gestiegen sei. Lediglich 0,5 Prozent spürten starke Einschränkungen.
- Sonja Sackmann, Leiterin des Forschungszentrums für Strategie, Führung, Unternehmenskultur und Personalmanagement der Bundeswehr-Universität, ergänzt aus eigenen Untersuchungen: „Produktivitätszuwächse bei Heimarbeit wurden hauptsächlich bei unabhängigen Tätigkeiten ohne größeren Koordinationsbedarf beobachtet.“ Geht es um kreative oder innovative Aufgaben, die zusammen gelöst werden müssen, wird die Bewältigung aufwendiger.
- Fehlt es an sozialem Kitt, etwa durch persönliche Begegnungen auf dem Flur oder in der Kantine, wirkt sich das auch aufs Teamgefühl aus und kann Leistung und Motivation hemmen. Von der schwindenden Verbundenheit gegenüber einem Arbeitgeber mal ganz zu schweigen. Darauf weisen auch Soziologen und Wirtschaftspsychologen hin – und bestätigen damit die Aussage von Coach Reinhard Sprenger.
- Nicht zuletzt zeigen jedoch internationale Konzerne bereits seit Jahren, dass virtuelle Teams mit Mitgliedern rund um den Globus erfolgreich zusammenarbeiten.
Managementvordenker Sprenger weist somit zu Recht auf die Gefahr der schwindenden Kreativität und das nachlassende Teamgefühl durch den kompletten Rückzug aller Mitarbeiter ins Homeoffice hin.
Aber: So muss es nicht zwangsläufig kommen. Um die motivierende und einigende „kooperierende Wechselwirksamkeit auch in Zukunft physisch erlebbar zu machen“, wie Sprenger es nennt, können Chefs sich ja etwa für ein Hybridmodell entscheiden, also eine Kombination aus einigen Tagen im Büro, flankiert von einigen Tagen im Homeoffice.
Die Freenet-Aufsichtsrätin und Unternehmerin Fränzi Kühne hat dafür eine Daumenregel: Beim Start neuer Projekte und auch in den Bereichen Strategieentwicklung oder Kreativität bedürfe es „echter Begegnungen zwischen den Menschen“, sagt sie. In den übrigen Fällen funktioniere Heimarbeit.
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