Im frontalen Kortex introvertierter Versuchspersonen lässt sich im Vergleich zu extrovertierten Probanden eine höhere elektrische Aktivität nachweisen. In diesem Bereich findet die Auseinandersetzung mit inneren Vorgängen statt. Dort sind Lernen, Entscheiden, Erinnern und Problemlösen angesiedelt (Roming 2011).
Die amerikanische Ärztin Debra Johnson konnte 1999 nachweisen, dass Introversion im erwähnten frontalen Bereich mit einem erhöhten Blutfluss verbunden ist. Sie zeigte außerdem, dass Unterschiede zwischen Intros und Extros dadurch zustande kommen, dass ihr Blut im Hirn unterschiedliche Wege geht. Intros haben buchstäblich eine »längere Leitung« – Reize legen auf den Nervenbahnen einen längeren Weg zurück als in Extro-Hirnen. Darin liegt der Grund, dass leise Menschen manchmal eine längere Zeit zum Nachdenken oder Reagieren benötigen.
Diese beiden Neurotransmitter haben ganz unterschiedliche Wirkungen: Dopamin sorgt für motorischen Antrieb, Neugier, für die Suche nach Abwechslung und die Erwartung einer Belohnung. Acetylcholin ist dagegen besonders für Konzentration, Gedächtnis und Lernen wichtig (Roth 2007). Susan Cain bringt die Folgen dieses neurobiologischen Unterschiedes auf den Punkt: Sie bezeichnet Extros als belohnungsorientiert und Intros als sicherheitsorientiert (Cain 2011).
Das hat Folgen in der Kommunikation: Extrovertierte Menschen neigen mit ihrer biologischen Ausstattung stärker zu Freude, Aufregung, Überschwang und sogar zu Euphorie. Extros sind auch eher bereit, Risiken einzugehen: Sie haben z. B. mehr Konflikte, neigen in Verhandlungen eher zu gewagten Aktionen und fühlen sich auch vor einem größeren Publikum meist wohler. Intros dagegen haben weniger häufig und intensiv euphorische Gefühle. Dafür legen sie Wert auf genaues Hinsehen und Hinhören, bevor sie handeln. Sie meiden Konflikte gern und sind selbst selten offensiv. Es gibt sogar Studien, die behaupten, Intros seien treuer als Extros …
Die Neurotransmitter stehen in einem größeren Zusammenhang. In unserem vegetativen Nervensystem (also in dem Teil, in dem alles »automatisch« abläuft) gibt es zwei »Gegenspieler«. Der Sympathikus sorgt dafür, dass der Körper etwas leistet; er bereitet ihn auf Angriff, Flucht oder besondere Anstrengungen in Kontakt mit der Außenwelt vor. Zur Erregungsübertragung nutzt der Sympathikus den »Extro-Transmitter« Dopamin. Der Parasympathikus
(oder Ruhenerv) sorgt dagegen für das genaue Gegenteil: für Ruhe, Erholung und Schonung. Er senkt den Herzschlag und fördert die Verdauung. Zur Erregungsübertragung nutzt der Parasympathikus den »Intro-Transmitter« Acetylcholin.
In den Hirnen von Intros und Extros dominieren unterschiedliche Neurotransmitter. Dies sind Botenstoffe, die die Aktivitäten in der Großhirnrinde beeinflussen und uns unter anderem Zufriedenheit und Wohlsein vermitteln (Roth 2007). Die Wege, die Neurotransmitter zurücklegen, werden von wiederholtem Handeln gebahnt und prägen alles, was wir aus Gewohnheit tun. Jeder Mensch verfügt über einen individuellen »Spiegel« an verschiedenen Neurotransmittern, der genetisch bestimmt ist. Extros zeigen deutlich mehr Aktivitäten in den Bahnen des Neurotransmitters Dopamin, während Intros über mehr Acetylcholin verfügen (Olsen Laney 2002).
Marti Olsen Laney (2002) zieht aus diesen Zusammenhängen (und einigen weiteren Studien) den Schluss, dass Intros und Extros sich biologisch vor allem durch die unterschiedliche Ausprägung des vegetativen Nervensystems unterscheiden: Extros werden von den Aktivitäten des Sympathikus, Intros von den Aktivitäten des Parasympathikus geprägt. Extros scheinen außerdem (so Debrah Johnson in der erwähnten Forschungsarbeit 1999) auf mehr Stimulation durch die Außenwelt angewiesen zu sein als Intros, weil sie sich innerlich nicht in gleicher Intensität stimulieren können. Äußere Ruhe und Innehalten sind für Extros deshalb eine Herausforderung. Die Wissenschaftler
Dean Hamer und Peter Copeland konnten zeigen, dass für Extros die Abwesenheit äußerer Reize (z. B. Routinetätigkeiten, wenig aktive Menschen, starre Rituale) mit einer Unterstimulation verbunden ist (Hamer / Copeland 1998). Extros werden entsprechend leicht unruhig oder gelangweilt, wenn eine reizarme Phase zu lange anhält: Sie sind auf Dopaminentzug.
Damit wird biologisch erklärbar, warum Extros ihre Energie aus aktivem, nach außen gerichteten Verhalten beziehen, während Intros in der Ruhe ihre Kraft finden: Die beiden Möglichkeiten der Energiegewinnung entsprechen den Verhältnissen in den unterschiedlich ausgestatteten vegetativen Nervensystemen.
(Quelle: Silvia Löhken: "Leise Menschen - starke Wirkung - Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden"; Gabal Verlag).
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