Neue Möglichkeiten für Freiberufler Wenn die Bank zum Büro wird

Freiberuflern bietet die polnische Idea Bank einen Gratis-Arbeitsplatz – nur ihr Notebook müssen die Kunden mitbringen.
New York: Expertise termingenau buchen
Ryan Hooks war ein typischer Freiberufler in New York. Manchmal arbeitete der Designer und Regisseur an Dutzenden Projekten gleichzeitig. Dann wieder hatte er nicht einen einzigen Auftrag. Die Liste seiner Kunden von der Rockband Coldplay über das Filmfestival Sundance bis zur Weltkinderorganisation Unicef ist eindrucksvoll, half aber wenig gegen das unstete Einkommen.
Big Apple ist teuer, daher vermietete Hooks seine Wohnung gelegentlich an Touristen. Seine Finanzmisere brachte ihn auf die Idee, eine Plattform wie Airbnb für Freiberufler zu schaffen. Doch statt Unterkünfte können Auftraggeber Experten aller Art suchen und auf deren Kalender auch gleich nachsehen, ob sie verfügbar sind. Einige Websites wie freelancer.com oder odesk.com vermitteln zwar grundsätzlich schon Selbstständige an Auftraggeber. „Die Suche nach Expertise und Datum gibt es bislang aber noch nicht“, sagt Hooks.
Hooks‘ Idee kam in Schwung, als der junge Gründer in einem Café in Brooklyn den Programmierer Olex Ponomarenko traf. Zusammen mit dem gebürtigen Ukrainer mit dem amerikanischen Pass hob er „Avlb“ auf der Taufe. Das steht für „available“ oder „verfügbar“ – den Schlachtruf freier Mitarbeiter.

Betreiber von Avlb, der ersten Börse für Honorarkräfte, die die Verfügbarkeit berücksichtigt.
Die Avlb-Website befindet sich noch im Versuchsstadium. Ihr Design ähnelt dem von Airbnb: Freie stellen sich und ihre bisherigen Projekte per Foto und Web-Link vor, daneben steht ein Kalender, der ihre Verfügbarkeit auf den Tag genau anzeigt. Derzeit bieten rund 8 500 Freie ihre Dienste an. Neuzugänge können nur auf persönliche Einladung einsteigen. „Ich will keine Quantität, sondern Qualität“, sagt Hooks. „Wir bieten Fähigkeiten, Verlässlichkeit und den Wunsch unserer Teilnehmer an, etwas mit Wert zu kreieren“, sagte Hooks.
Zwar will der Betreiber den Zugang zu seiner Datenbank per Facebook erleichtern. Aber offen für jedermann soll Avbl trotzdem nicht werden. Hooks schwebt vielmehr ein elitärer Kreis von Freien und Firmen vor, die sich höhere Ziele setzen, als nur Geld zu verdienen. Laut eigener Aussage steht er dazu zum Beispiel in Kontakt mit Elektroauto-Pionier Tesla oder dem privaten Raumfahrtunternehmen Space X, den beiden Firmen von Visionär Elon Musk.
So wie Airbnb die Vormacht der Hotelketten aufbrach, so soll Avbl nach Hooks‘ Vorstellungen die arbeitende Bevölkerung von ihren „9-bis-17- Uhr-Jobs befreien“. „Wir glauben, dass die meisten als Freiberufler arbeiten können, so wie die meisten ihre Wohnung vermieten können“, sagt der Gründer. Glaubt man einer Prognose der amerikanischen Gewerkschaft für Freiberufler, der Freelance Union, scheint Hooks‘ Vision gar nicht so weit hergeholt: Die Gewerkschaft schätzt, dass die Zahl derjenigen Amerikaner, die ohne festen Arbeitsvertrag beschäftigt sind, bis 2020 um 40 Prozent von 42 Millionen auf dann 60 Millionen zunehmen wird. Thomas Jahn

Arbeit und Austausch nach Plan.
Stockholm: Willkommen im Wohnzimmer
Die schwedische „Hoffice“-Bewegung gewinnt Anhänger – auch in Deutschland.
Die Idee von Christofer Gradin Franzén war simpel. „Wir waren eine Gruppe von Leuten, die alle als Freiberufler arbeiteten, aber kein eigenes Büro besaßen“, erzählt der 36-Jährige. Er und ein Freund beschlossen, dieses Defizit in einen Vorteil zu verwandeln. Die Idee von „Hoffice“ – zusammengesetzt aus „Home“ (Zuhause) und „Office“ (Büro) – war geboren. Psychologe Franzén beschreibt das Konzept als „Methode und Philosophie“ zugleich: Ein Hoffice-Mitglied stellt für einen Tag sein Zuhause anderen Mitgliedern gratis als Arbeitsplatz zur Verfügung. Besonderer Clou: Es wird großer Wert auf den Austausch untereinander gelegt. Meistens versammeln sich bis zu fünf Teilnehmer.
Da sitzen dann wie neulich bei Gastgeber Daniel in Stockholm eine Web-Designerin, ein Programmierer und ein Werbetexter in seinem Wohnzimmer, um ihr Tagespensum zu erledigen. Zu Beginn jeder 45-minütigen Arbeitsstunde sieht das Hoffice-Konzept vor, dass jeder Teilnehmer den anderen berichtet, was er in der Stunde schaffen will. Eine Klingel signalisiert das Ende der Stunde. Danach berichtet jeder der Runde kurz, was er geschafft hat und was er in der nächsten Stunde erledigen will.
In der folgenden zehnminütigen Pause können eine Meditation, eine Massage oder auch ein Spaziergang gemacht werden. Das fördere die Effektivität, sagt Franzén, was von den meisten Teilnehmern bestätigt wird. „Früher habe ich mich oft am Abend gefragt, was ich eigentlich den ganzen Tag über gemacht habe“, sagt Web-Designerin Annelie, die seit zwei Jahren bei Hoffice mitmacht. Durch den vorgegebenen Takt und den sanften Gruppendruck lässt sie sich nicht mehr so leicht ablenken.
Inzwischen haben sich mehr als 750 Menschen allein in der schwedischen Hauptstadt Stockholm der Hoffice-Bewegung angeschlossen, und die Idee schwappt zu uns nach Deutschland. Denn Franzéns Motiv hinter dem Non-Profit-Projekt kommt an: „Wir öffnen unsere Wohnung, und es ist ein Geschenk an uns selbst und an andere, die innerhalb unserer Struktur etwas beitragen.“ Tatsächlich berichten immer wieder Teilnehmer, dass sie bei Problemlösungen Hilfe von den anderen Gästen bekommen.
Zu Hause zu arbeiten ist in Schweden generell schon weit verbreitet: Gut 51 Prozent der größeren schwedischen Unternehmen ermöglichen Mitarbeitern die Arbeit im Heimbüro. Es gibt aber auch Kritiker des Konzepts. „Es besteht das Risiko, dass das Arbeitsleben mit dem Privatleben vermischt wird“, sagt etwa Mats Eklöf, Arbeitspsychologe an der Göteborger Universität. Das könne zu mehr statt zu weniger Stress führen.
Davon ist zumindest in Daniels Wohnzimmer an diesem Vormittag nichts zu spüren. Konzentriert arbeiten er und seine Gäste an ihren Notebooks. Wer telefonieren muss, geht in die Küche, um die anderen nicht zu stören. Erst das offizielle Pausenzeichen beendet nach einer Dreiviertelstunde die intensive Arbeit der schwedischen Freiberufler. Helmut Steuer
Warschau: Kaffee und Strom inklusive
Die Idea-Bank bietet Kunden kostenlose Arbeitsplätze.
Dominik Fajbusiewicz reichte wohl ein Spaziergang durch Warschau zur Inspiration: In fast jeder Kawiarnia, wie die Cafés hier heißen, und in den populären Filialen der US-Kette Starbucks sowieso das gleiche Bild: Jeder dritte Kunde hat einen Laptop vor sich auf dem Tisch stehen, nutzt das WLAN-Angebot. Fajbusiewicz wusste auch: Viele von ihnen sind Selbstständige oder Gründer, die beim Kaffee an Business-Plänen feilen und Geschäftstermine festzurren.
Wenn es nach Fajbusiewicz geht, trinken viele von ihnen ihren Kaffee bald in seiner Bank. Er gehört dem Vorstand der polnischen Idea-Bank an, die auf das Geschäft mit Kleinunternehmern und Mittelständlern spezialisiert ist und in Umfragen herausgefunden hat: Fast zwei Drittel ihrer potenziellen Kunden haben kein eigenes Büro, mehr als die Hälfte arbeitet von zu Hause aus. Ein paar gaben sogar an, ihr Geschäft komplett von öffentlich zugänglichen Cafés etwa in Kaufhäusern aus zu steuern.
Fajbusiewicz, der in Polen und England studierte und beruflich international unterwegs war, erkannte darin die Chance fürs Geschäft: An inzwischen sechs Städten bietet die Bank, die 2010 neu gegründet wurde und die jüngste auf dem polnischen Markt ist, ihren Kunden kostenlose Arbeitsplätze in sogenannten Co-Working-Zonen an: In Warschau, Krakau, Lodsch und Kattowitz wartet nicht nur eine schicke Büroeinrichtung auf Nutzer, auch Strom, Drucker und Kaffee sind inklusive.

Bei schönem Wetter können Digitalnomaden auch draußen arbeiten.
Es gibt Konferenzsäle für bis zu 20 Personen; Schulungen etwa zum Aufbau eines Ein-Mann-Unternehmens oder mit einem Coach zum Thema „Wichtige unternehmerische Soft Skills“ runden das Angebot für Selbstständige ab. Explizit sind aber auch jene willkommen, die nur mal schnell ihr Handy aufladen möchten.
„Idea HUB“ heißt die Offerte – die junge Bank will die Basis bieten für den Erfolg ihrer Kundschaft. „Wir wussten: Um einen Platz auf dem hart umkämpften polnischen Markt zu erkämpfen und zu behaupten, müssen wir sehr innovativ sein“, erklärt Fajbusiewicz. „Es war klar: Es geht nicht nur über den Preis unserer Bankprodukte, sondern wir müssen unseren Kunden etwas bieten, das keine andere Bank hat.“
Fajbusiewicz schwärmt von der ganz besonderen Atmosphäre, „fast wie im Café“. Das klingt ein wenig nach Silicon-Valley-Feeling. Tatsächlich erinnern die Bilder der meist jungen Nutzer, die an den Tischen sitzen, sich austauschen und Tablets hin- und herreichen, an die Stimmung auf dem Google-Campus, der im vorigen Jahr in Warschau eröffnet hat – da lief „Idea HUB“ übrigens schon.
Ob sich die Investition auszahlt? Mehr als 12 000 Kunden haben die Arbeitsplätze bereits genutzt, mehr als 500 an Seminaren teilgenommen. Filialen mit „Idea Hub“ verzeichnen doppelt so viele Kontoeröffnungen wie die übrigen. „Wir können noch nicht verraten, wo – aber der nächste Standort eröffnet in Kürze“, heißt es daher bei der Bank. Corinna Nohn