Onboarding Wie der Chefwechsel mitten in der Pandemie gelingen kann – am Beispiel von Guido Kerkhoff bei Klöckner

Der Klöckner-Chef stieg mitten in der Pandemie in seinen neuen Job ein.
Berlin, Duisburg Die Abschiedsgrüße der Aktionäre muss Gisbert Rühl selbst vorlesen – denn die letzte Hauptversammlung, die er als Vorstandschef des Duisburger Stahlhändlers Klöckner & Co. leitet, kann wegen der Pandemie nur digital stattfinden. Nach den Grußworten beantwortet Rühl noch ein paar Fragen zum vergangenen Jahr.
Für alles, was die Zukunft betrifft, verweist er die Aktionäre an seinen Nachfolger, den früheren Thyssen-Chef Guido Kerkhoff. Am Ende des Tages wird der das Ruder bei dem SDax-Konzern übernehmen. Damit endet für Kerkhoff eine achtmonatige Onboarding-Phase, so bezeichnen Personaler die Einarbeitungszeit. Das Handelsblatt hat die beiden Manager dabei begleitet, wie die Übergabe in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Homeoffice ablaufen kann.
Nicht nur in Krisenzeiten gilt: „Der CEO-Wechsel ist eine Entscheidung, die größten Einfluss auf das Unternehmen hat“, sagt Thomas Tomkos, Partner bei der Personalberatung Russell Reynolds Associates. Er besetzt seit vielen Jahren Vorstands- und Aufsichtsratsposten in verschiedenen Branchen. „Ein neuer CEO hat ganz unmittelbare Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung und die Unternehmenskultur.“
Wie Firmen den CEO-Übergang gestalten, wird immer bedeutsamer, weil die Zahl der Chefwechsel schon vor der Pandemie anstieg, wie eine Erhebung der Beratungsfirma PwC Strategy& zeigt. In Krisenzeiten halten Unternehmen zwar üblicherweise an ihren Topmanagern fest, weil sie den Wandel scheuen. Allerdings hat die Pandemie den Druck auf die Firmen verstärkt, sich zu transformieren – und das gelingt in vielen Fällen nur mit neuem Spitzenpersonal. Die Bereitschaft, den CEO zu wechseln, dürfte auch nach Corona weiter wachsen, sagt auch Tomkos. „Es ist ein vermehrt genutztes Instrument, über das Aufsichtsräte in das Geschäft eingreifen können.“
Doch worauf kommt es beim CEO-Wechsel an? Kann er inmitten der Pandemie überhaupt gelingen? Das Beispiel von Klöckner zeigt, wie die Übergabe ablaufen kann – und was andere Betriebe davon lernen können.
Erste Phase der Einarbeitung beginnt in Berlin
Die Einarbeitung für Kerkhoff beginnt im August in Berlin. Die Firma hat die Hauptstadt nicht ohne Grund gewählt, dort sitzt die Digitaleinheit Kloeckner.i. Über seine digitalen Kanäle macht der Stahlhändler mittlerweile rund 45 Prozent seines Umsatzes von zuletzt 5,1 Milliarden Euro. In der Branche gilt Klöckner als Vorreiter bei der Digitalisierung.
Mit dem Treffen beginnt die erste Phase: das Kennenlernen der Firma. Kerkhoffs Vertrag hat offiziell noch nicht begonnen, trotzdem hat er sich die Zeit für den Termin genommen. Viele Mitarbeiter sind per Video in den Konferenzraum zugeschaltet, einige sind persönlich gekommen – um sich und ihre Projekte vorzustellen. Kerkhoff spricht zunächst wenig, lässt sich die derzeitige Strategie der Digitaltochter Kloeckner.i erklären. Mit eigenen Ideen hält er sich zurück. „Ich möchte vor allem erst einmal zuhören“, lässt er die Mitarbeiter wissen.
Besonders aufmerksam hört er zu, als ihm ein Manager aus der Softwareentwicklung in weißen Turnschuhen, mit Kappe und Dreitagebart von den manchmal schwierigen Abstimmungsprozessen mit der IT in der Duisburger Zentrale berichtet. Kerkhoff macht sich Notizen, stellt Nachfragen. Dass er diese Einschätzungen gut gebrauchen kann, wird sich allerdings erst später herausstellen.
„Zu Beginn des Onboardings geht es darum, möglichst viele Standorte zu besuchen, Mitarbeiter zu treffen und Eindrücke aufzusaugen“, sagt Russell-Reynolds-Partner Immo Futterlieb. So reist Kerkhoff im Spätsommer zu vielen europäischen Standorten, spricht dort mit den Führungsmannschaften, trifft die Belegschaften in den Lagerhallen. Sein Vorgänger Rühl kommt bei vielen dieser Treffen bewusst nicht mit: „Ich halte es nicht für glücklich, wenn man überall wie zweieiige Zwillinge rumläuft.“ Auch Gespräche mit Investoren, Analysten oder Verbänden sind Teil der Kennenlernphase.

Nach mehr als einer Dekade an der Spitze von Klöckner & Co. geht Gisbert Rühl neue Wege.
Der frühere Thyssen-Chef kennt zwar die Stahlbranche, doch die Besuche bei den Landesgesellschaften haben ihm geholfen, Klöckner von innen zu verstehen, wie Kerkhoff erzählt. „Gerade wenn man von oben einsteigt, ist die größte Schwierigkeit zu verstehen, wie ein Unternehmen tickt.“ Er könne zwar die ganzen Zahlen analysieren, „doch ein Bauchgefühl kann man nur durch solche Treffen entwickeln“.
Im Intranet postet er regelmäßig Fotos von seinen Besuchen, die Betriebszeitschrift veröffentlicht ein Interview mit beiden Managern. „Uns war zu Beginn wichtig, dass wir viel kommunizieren, um den neuen Chef nahbarer zu machen“, sagt Klöckner-Personalerin Angelika Kambeck, die das Onboarding konzipiert hat.
Im August und September sind die Inzidenzen noch deutlich niedriger als derzeit, persönliche Treffen sind zu diesem Zeitpunkt noch möglich. Doch die Besuche der Standorte in Amerika, immerhin die größte Auslandsgesellschaft von Klöckner, müssen pandemiebedingt ausfallen. Bis heute hat Kerkhoff das US-Management nicht persönlich gesehen. „Man kann online viel machen“, sagt der neue Klöckner-Chef. „Aber wenn man sich persönlich kennenlernt, hat man sicherlich einen ganz anderen Zugang zueinander.“ Kerkhoff will nach Amerika reisen, sobald es geht.
Für Berater Tomkos sind fehlende persönliche Treffen die größte Schwierigkeit beim Onboarding in der Pandemie. „Das erschwert den Übergang eindeutig, weil man digital nur schwer eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen kann.“
Geholfen hat, dass der Aufsichtsratsvorsitzende von Klöckner, der bekannte Industriemanager Dieter Vogel, den Kandidaten, den er ausgesucht hat, bereits vorher kannte. Dabei hat er auch den aktuellen Amtsinhaber Rühl um Rat gebeten. „Selbstverständlich habe ich mich mit Gisbert Rühl auch hinsichtlich möglicher Nachfolger für seine Position ausgetauscht“, sagt Vogel. „In den letzten Monaten hat sich schnell gezeigt, dass es Guido Kerkhoff versteht, aus dem Erfolgskurs heraus die richtigen neuen Impulse für das zukünftige Wachstum von Klöckner zu setzen.“
Anfängliche Doppelspitze mit klaren Zuständigkeiten
Ende April sitzen Kerkhoff und Rühl im großen Meetingraum der Zentrale, mit Blick über die graue Ruhrgebietsstadt. Sie halten mehrere Meter Abstand, nicht etwa, weil sie sich zerstritten haben, sondern um unter Beachtung der Hygienebedingungen im Gespräch mit dem Handelsblatt auf ihre Übergabe zurückzublicken.
Der 53-jährige Kerkhoff übernimmt im September als Rühls Stellvertreter zunächst das Europageschäft des Konzerns, was etwa zwei Dritteln des operativen Geschäfts entspricht. Peu à peu bekommt Kerkhoff mehr Aufgaben: Nach vorn gerichtete Themen wie beispielsweise Übernahmen treibt er voran, Rühl konzentriert sich auf die Digitalisierung und das Plattformgeschäft.
Diese zweite Phase des Onboardings, in der Vorgänger und Nachfolger teils nebeneinander agieren und sich abstimmen müssen, ist für Berater Tomkos die gefährlichste. „Dieser Zeitraum sollte möglichst kurz sein, weil es zu einem Machtgerangel kommen kann und womöglich wichtige Entscheidungen aufgeschoben werden.“ Der Experte rät Unternehmen zu einem klaren Zuschnitt der Aufgaben, um das Problem zu verkleinern, doch ganz sei es nicht zu vermeiden.
Das zeigte sich auch bei Klöckner: „Es wurde klar kommuniziert ist, wer für welches Thema verantwortlich ist“, sagt Personalerin Kambeck. Dennoch sorgte die Doppelspitze anfangs für Verwirrung: Wer ist jetzt zuständig? Wer bekommt die Mails?
Zunächst standen beide Manager in der Empfängerzeile, mittlerweile ist Rühl bei vielen Anliegen nur noch in Kopie. Für den scheidenden CEO war das gewöhnungsbedürftig: „Wenn man vorher immer allein gefragt wurde und plötzlich ein anderer im Verteiler ist, muss man sich das Entscheiden erst einmal bewusst abgewöhnen. Das ist ein Prozess, den ich mit mir selbst ausmachen musste“, berichtet der 61-Jährige.

Pandemiebedingt wurde die Hauptversammlung – Rühls letzter Termin bei Klöckner – aus der Zentrale des Stahlhändlers übertragen.
Von einem Kompetenzgerangel will Rühl nichts wissen. „Ich war, denke ich, bereit, schrittweise loszulassen, und Guido Kerkhoff war in der Lage, nicht direkt alles an sich zu reißen.“ Kerkhoff nickt zustimmend und ergänzt: „Wir bringen beide viel Erfahrung mit. Das zahlt sich hier aus.“ Auch für Beobachter ist der Übergabeprozess weitgehend geräuschlos abgelaufen. So sagt Russell-Reynolds-Berater Futterlieb: „Wenn es so ruhig bleibt, muss es zwischen Vorgänger und Nachfolger eine gute Vertrauensbasis geben. Das ist ein Glücksfall für das Unternehmen.“ Bei vielen Übergaben gehe schief, dass der Vorgänger nicht loslassen könne und der Nachfolger zu schnell die Geschäfte übernehmen wolle.
Übergabe unter guten Vorzeichen
Tatsächlich stand die Übergabe bei Klöckner unter guten Vorzeichen. Erstens: Beide Manager kannten sich schon vor der Personalentscheidung, haben sich gegenseitig geschätzt und waren auch schon einmal gemeinsam essen. Zweitens: Die Übergabe war geplant und nicht durch eine Absetzung des Vorstands nötig geworden. Drittens: Der Metallhändler litt zwar unter der Pandemie, aber steckt in keiner tiefen Krise.
Und: Rühl hatte bereits begonnen, das Unternehmen zu transformieren, es bedarf keiner Sanierung. „Ich muss jetzt nicht mit den harten Botschaften anfangen, das erleichtert mir natürlich den Einstieg“, sagt Kerkhoff. Für ihn ist das eine neue Erfahrung, seine Vorstandsposten bei Thyssen und der Telekom begann er, als die Firmen in Krisen steckten.
Die Umstände erklären auch, warum die Übergangsphase mit acht Monaten vergleichsweise lange gedauert hat. Berater Tomkos rät seinen Klienten zu einer Onboarding-Zeit von etwa drei Monaten: Lang genug, um sich einzuarbeiten, kurz genug, um Streitigkeiten zu vermeiden. Ex-Klöckner-Chef Rühl sagt: „Wir hätten es auch in vier Monaten geschafft. Im Prinzip ist die Übergabe schon gelaufen.“ Für seinen Nachfolger wirkte es anfangs auch etwas lang, doch „rückblickend war das eine gute Entscheidung, weil die Zeit hilft, ein Gefühl für das Unternehmen und seine Mitarbeiter zu entwickeln“.
Neue Strategie erarbeitet
Darauf aufbauend hat Kerkhoff in den vergangenen Monaten – also in der dritten Phase der Einarbeitung – eine Strategie erarbeitet, „die schon sehr stark von der anfänglichen Kennenlernphase und den Anregungen der Belegschaft geprägt ist“. Schon beim ersten Treffen in Berlin hatte er die Anregung bekommen, dass die IT-Strukturen zu komplex sind, „was im Tagesgeschäft durchaus zu Verzögerungen geführt hat“. Kerkhoff will nun die wesentlichen IT- und Digitalkompetenzen aus dem Konzern bündeln und unter die Leitung der in Berlin beheimateten Digitaltochter Kloeckner.i stellen.
Und auch scheinbar triviale Anregungen hat Kerkhoff von seinen Werksbesuchen mitgenommen. So soll ein Meldetool für Betriebsunfälle aus der Schweiz, mit dem Mitarbeiter Unfälle per QR-Code melden können, auch an anderen Standorten ausgerollt werden.
Insgesamt ist Kerkhoffs neue Strategie für Klöckner eher eine Evolution als eine Revolution. Kerkhoff setzte sich – meist virtuell – mit Beschäftigten aus den verschiedenen Abteilungen zusammen, um deren Anregungen aufzunehmen. Die lange Einarbeitungszeit kam Kerkhoff entgegen: „Ich musste nicht innerhalb von einem Monat sprechfähig sein, sondern konnte die Strategie fundiert ausarbeiten.“
Das Beispiel Klöckner zeigt, was allgemein gilt: „Ein CEO-Wechsel ist üblicherweise mit strategischen Weiterentwicklungen verbunden“, sagt Berater Tomkos, „und mit personellen Entscheidungen.“ Auch Kerkhoff hat die Führungsmannschaft umgestellt: Dem bisherigen Chef der französischen Landesgesellschaft hat er die Verantwortung für die gesamte EU übertragen – und will so eine engere Zusammenarbeit der jeweiligen Töchter erreichen.
Der neue Klöckner-Chef machte die Erfahrung, dass schon jetzt vieles schneller funktioniere als bei einem Großkonzern wie Thyssen-Krupp, weil die Struktur eben schlanker sei. „Das ist auch die Erwartungshaltung des Unternehmens: Köpfe zusammenstecken, entscheiden, weiter!“
Für Ex-Chef Rühl geht es nun mit neuen Herausforderungen als Investor und Unternehmer außerhalb von Klöckner weiter. „Es gibt noch eine virtuelle Verabschiedung – und das wars.“ Kerkhoff zieht in den kommenden Tagen von seinem kleineren Büro auf der einen Seite des Sekretariats in das größere Chefbüro auf der anderen.
Nur einen neuen Schreibtisch muss er sich kaufen. Den alten nimmt Rühl mit.
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