Recruiting in Unternehmen Wenn der Algorithmus die besten Bewerber aussucht

Daten ersetzen keinen persönlichen Kontakt.
Köln Für Bewerber gehört Aufregung im Bewerbungsverfahren dazu. Dass auch ein Unternehmen höchst gespannt auf die Ergebnisse des Auswahlprozesses blickt, ist eher ungewöhnlich. So aber ging es einigen Personalverantwortlichen der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte, als im vergangenen Jahr Auszubildende gesucht wurden. Denn erstmals durchliefen alle jungen Bewerber online einen Auswahltest, der automatisch ausgewertet wurde. Eingeladen wurden dann die vielversprechendsten Kandidaten für die 100 Ausbildungsplätze. „Das hat dazu geführt, dass wir mit dem gleichen Einsatz von Ressourcen deutlich bessere Ergebnisse erzielen“, sagt Jens Plinke, der bei Deloitte für das Personalmarketing verantwortlich ist.
Nach dem erfolgreichen Test denkt die Beratung jetzt intensiv darüber nach, auch für andere Stellen auf eine Datenanalyse als Teil des Bewerbungsprozesses zu setzen. Grund dafür ist die schiere Masse: Jedes Jahr landen 60.000 Bewerbungen bei der deutschen Niederlassung der Beratungsgesellschaft, quer durch alle Altersklassen und für die verschiedensten Jobprofile. Mit automatisierten Verfahren wollen die Personaler nicht nur Zeit gewinnen, sie wollen auch weg von der Vorauswahl nach Bauchgefühl: „Wir wollen einen möglichst rational strukturierten Prozess erreichen“, sagt Plinke.
Der Algorithmus als Auswahlhelfer, das bedeutet: Big Data erreicht die Personalabteilungen deutscher Unternehmen. „Wir stehen an einem Wendepunkt im Recruiting“, bemerkt Marc Irmisch-Petit, Geschäftsführer für Deutschland bei der Karrierewebsite Monster. „So wie auch in anderen Sektoren die Zeichen auf Digitalisierung stehen, so werden auch im Personalbereich die Vorteile neuer Technologien erkannt.“
Klar ist aber auch: Im Vergleich zu anderen Branchen ist das Datenaufkommen vergleichsweise gering. In allererster Linie geht es darum, die schon bisher anfallenden Angaben zu Person und Lebenslauf in IT-Systemen zu erfassen und zu bearbeiten. Das fühlt sich für Bewerber und vor allem Personalverantwortliche vielleicht nach Big Data an – ist aber in den meisten Fällen erst einmal eine Aufholjagd zu anderen Unternehmensbereichen. „Es geht um eine grundsätzliche Digitalisierung im Recruiting“, sagt Steffen Braun, Gründer und Geschäftsführer des Software-Anbieters Talention.
Eine aktuelle Umfrage der Universität Bamberg und des Portals Monster zeigt etwa, dass bislang nur vier von zehn Unternehmen überhaupt Kennzahlen für die Mitarbeitersuche definiert haben. Doch das könnte sich schnell ändern. Denn um geeignete Bewerber müssen sich viele Unternehmen heute bereits aufwendig bemühen. Was die Fachleute früher als „Post & Pray“-Prinzip bezeichneten, also das bloße Veröffentlichen einer Stellenanzeige in der Hoffnung auf passende Bewerber, zieht heute nicht mehr.
Gründer Braun vergleicht die Bemühungen in vielen Unternehmen dabei mit dem Stand des Onlinemarketings vor fünf Jahren: Die ersten Digitalisierungsschritte unternehmen die Firmen, indem sie ihre Rekrutierungskanäle besser überprüfen – wo und bei wem ist eine Onlinestellenanzeige besonders gut geklickt worden, welches Portal brachte tatsächlich geeignete Kandidaten hervor? Wie in Onlineshops experimentieren die Unternehmen dabei mit kleinen Details, etwa einem veränderten Bild in der Anzeige, und überprüfen dessen Wirkung. „Und idealerweise finde ich auch noch heraus, warum sich jemand nicht bewirbt“, beschreibt Braun die Datensammlung an dieser Stelle.
Offene Kommunikation steigert Verständnis
Die Ergebnisse überraschen dabei durchaus auch erfahrene Personaler: Als Deloitte etwa im vergangenen Jahr über zahlreiche Kanäle nach SAP-Beratern mit einigen Jahren Berufserfahrung suchte, kam ein großer Teil der erfolgreichen Bewerber via Facebook. „Das war für uns eine sehr wichtige Information“, berichtet Plinke.
Für die Bewerber ändert sich aktuell noch relativ wenig – die meisten Big-Data-Prozesse laufen im Hintergrund ab. Ausgefüllte Lebenslauf-Masken und Onlinetests gehören ja zumindest in größeren Unternehmen schon seit einiger Zeit zum Repertoire. „Die Kandidaten stehen solchen Analysen sehr offen gegenüber, wenn man ihnen erklärt, was genau passiert“, schildert Plinke aus seinen Erfahrungen.
Das deckt sich mit den Zahlen der Bamberger Wissenschaftler: Sechs von zehn Bewerbern finden demnach eine Datenerhebung gut, wenn sich dadurch die Prozesse beschleunigen. Und fünf von zehn Kandidaten sind bereit, persönliche Daten anzugeben, wenn der Rekrutierungsprozess so insgesamt optimiert werden kann.
Die Unternehmen betonen zudem: Es solle gerade vermieden werden, dass der Bewerber oder Mitarbeiter zu einer Nummer im Bewerbungsprozess verkommt. Laut einer Studie vom Branchenverband Bitkom und dem sozialen Netzwerk LinkedIn aus dem vergangenen Jahr geht es vor allem darum, bessere „Entscheidungsgrundlagen“ zu erhalten – was bei der Vorauswahl an Ressourcen eingespart wird, soll in die detaillierte Beschäftigung mit den interessanten Kandidaten investiert werden. „Die Daten ersetzen nie den persönlichen Kontakt und die Entscheidung“, sagt Plinke, „aber sie helfen uns sehr wohl, eine valide Entscheidung zu treffen.“
Diese Erfahrung teilt auch Musikanbieter Soundcloud, der mit insgesamt etwa 300 Mitarbeitern vom Hauptsitz Berlin aus agiert. Die Akzeptanz für Technologie sei in dem jungen Unternehmen groß, bestätigt Chris Brown, zuständig für die Personalsuche. Trotzdem gelte: „Wir müssen immer nach der Balance suchen, was wir automatisieren wollen und können.“
Aktuell nutzt das Unternehmen vor allem Angebote der Lebenslauf-Plattform LinkedIn, um dort gezielt interessante Kandidaten erreichen zu können. Auch Empfehlungs-Tools gehören dazu, mit denen Mitarbeiter besonders unkompliziert Bekannte mit ihrem Arbeitgeber in Verbindung bringen können. Aber blind wolle man auch hier keinem Algorithmus folgen: „Bevor es im Bewerbungsprozess weitergeht, wird es immer ein persönliches Gespräch geben“, sagt Brown.
Der gläserne Mitarbeiter
Gebastelt wird durchaus auch an noch komplexeren Lösungen. Aus Sicht vieler Personaler wäre eine einheitliche Plattform wünschenswert, die das gesamte Arbeitsleben eines Mitarbeiters abbilden kann – gewissermaßen von der Rekrutierung bis zur Rente. Insbesondere in größeren Firmen könnten in so einer Datenbank dann nicht nur die Erfahrungen bei der Einstellung vermerkt werden, sondern auch jede Fortbildung und jede Beurteilung. Sollten dann etwa für ein neues Büro im Ausland passende Mitarbeiter gesucht werden, wären per Knopfdruck die geeigneten Kandidaten zu sehen.
Noch weiter gehen Versuche, per Software die Kündigungswahrscheinlichkeit abzuschätzen. „Interessant wären sicher Warnsignale, ob sich ein Mitarbeiter mit einem Abschied aus dem Unternehmen beschäftigt“, sagt Brown, in dessen Firma viele begehrte Software-Entwickler benötigt werden. Wer also Führungsverantwortung anstrebt, aber dann zweimal bei einer Beförderung nicht zum Zug kommt, für den könnte der Computer in Zukunft eine besonders intensive Betreuung empfehlen. Um mit mehr Daten rechnen zu können, schalten einige Anbieter von Software für die Personalarbeit bereits – anonymisiert – die Mitarbeiterdaten all ihrer Unternehmenskunden zusammen. So kann der Algorithmus Millionen von Mitarbeiterprofilen auf Auffälligkeiten hin vergleichen.
Langfristig könnten diese Ergebnisse dann wiederum die Schwerpunkte im Recruiting verändern. Je härter der Kampf um bestimmte Fachkräfte wird, desto eher dürften sich Unternehmen auf IT-Unterstützung verlassen, um gezielter rekrutieren zu können. Deloitte-Manager Plinke geht davon aus, dass immer mehr Faktoren auch systematisch ausgewertet werden: „Für uns wäre es sicher spannend zu sehen, von welcher Hochschule die Talente kommen, die sich bei uns besonders erfolgreich entwickeln.“
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