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Ruhe & Beschäftigung Sie sind dann mal weg

Echter Urlaub findet nicht am überfüllten Strand statt, sondern im Kopf. Zwischen Freizeithektik und Stillstands-Terror liegt die Muße, und die macht kreativ. Fünf Schritte helfen – die auch Führungskräfte beherzigen.
18.07.2015 - 10:31 Uhr Kommentieren
Für viele ist ein Urlaub in der Natur pure Entspannung. Quelle: dpa
Sommer auf dem Feldberg

Für viele ist ein Urlaub in der Natur pure Entspannung.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Das Glück lag im Golf von Neapel. Im Küstenstädtchen Baiae, 220 Kilometer von der Hauptstadt des Imperiums entfernt, hatten die alten Römer ihre Sommervillen. Mit genügend Abstand von Politik und Geschäften trafen sie sich dort zu Festen und Gastmählern, man plauderte und scherzte und networkte in diesem Sylt der Antike. Eine neue, direkte Straße von Rom nach Baiae verkürzte die Reisezeit, so dass die Herren Senatoren und Händler am Wochenende Zeit für kleine Fluchten hatten.

Auch Senator Plinius der Jüngere war dabei. Von ihm stammt der Begriff „otium et negotium“ – Muße und Beschäftigung. In den beiden Worten steckt das ganze Geheimnis der an sich simplen und doch so schwer zu realisierenden Tatsache, dass irgendeine Art von Aktivität – ob lesen, malen oder töpfern – besser ist als Nichtstun, wenn es darum geht abzuschalten.

Ausstöpseln oder nicht?

In einer Ära allgegenwärtiger Burnout-Hysterie mag es verrückt klingen, aber: Kreativität wird durch Abwechslung stimuliert und nicht durch Freizeithektik. Darin sind sich Hirnforscher, Arbeitspsychologen und Ratgeberschreiber einig. Schon Immanuel Kant war gelegentlich off, was er „Zweckhaftigkeit ohne Zweck“ nannte. Maximal zwei Wochen sind Führungskräfte „dann mal weg“. Jeder Zweite arbeitet auch in den Ferien und das ganze Jahr über eh am Wochenende. Und so ist es ein Dauerthema im Sommerboulevard: Ausstöpseln oder nicht?

Da gibt es auf der einen Seite ebenso präzise wie ungeschriebene Erreichbarkeits-Vorschriften für Manager und Angestellte. Noch darf das Smartphone klingeln am Strand und auf der Berghütte. Die Policy-Regeln für Urlaub und Feierabend sind bei den großen Unternehmen noch in der Entwicklungsphase.

Aber andererseits fragen sich auch viele: Was, wenn keine E-Mail kommt, wenn keiner anruft? Ist man dann nicht wichtig? Passiert da was im Unternehmen, während man weg ist? Die elektronische Abhängigkeit und das daraus gezogene Selbstwertgefühl sind ein wunderbarer Stoff für Satiren und Kolumnen aus der allmählich verschwimmenden Welt zwischen Job und Privatleben.

Entdeckung der Langsamkeit heute mühsam

In der alten analogen Welt war es einfacher, Abschalten und Kreativität zu verbinden: Der Dichter Petrarca liebte die Provence und bestieg im Jahr 1336 den Mont Ventoux, Thomas Mann zog es an die Ostsee, er baute sogar sein eigenes Ferienhaus in Nidden auf der Kurischen Nehrung. Der Ökonom John Maynard Keynes floh mit seinen Londoner Bloomsbury-Freunden immer mal wieder aufs Landgut Charleston Farmhouse in Sussex, Martin Heidegger verbrachte den Sommer in seiner Schwarzwaldhütte, George Orwell schrieb seinen Roman „1984“ auf der schottischen Hebrideninsel Jura.

Keiner hatte Freizeithektik, keiner wurde gestört oder ließ sich stören. In den Ferien entstanden Skizzen, Ideen, Aufsätze, ganze Bücher. Heute ist die Entdeckung der Langsamkeit ein mühsames Unterfangen – abgezählte Urlaubstage, Sonderschichten und digitales Dauerrauschen machen es schwer. Auf Befehl runterfahren können nur Computer. Der Mensch bleibt im Hamsterrad, den Knopf zum Abschalten gibt es nicht. Er funktioniert wie immer.

„Der Verstand arbeitet trotzdem weiter. Wenn er zuvor abgewogen hat und beurteilt hat, wird er weiter abwägen und beurteilen … Erst wenn neue Zellen aktiviert werden, wenn neue Sterne am Horizont aufleuchten, kann er Erleichterung, Erholung und Erfrischung finden“, so beschreibt Winston Churchill in seinem Essay „Zum Zeitvertreib“ den Versuch des Abschaltens. Und weiter: „Es reicht nicht, nur die Lichter auszuschalten, die auf das hauptsächliche und gewöhnliche Interessengebiet gerichtet sind; ein neues Interessengebiet muss beleuchtet werden.“

Freizeit sollte weise, angenehm und gut gelebt werden

Der Staatsmann und Universalgelehrte, der 1953 für seine Biografien und historischen Werke den Literaturnobelpreis erhielt, ist bis heute Kronzeuge für die Wirkung von kreativer Muße. Erst mit vierzig entdeckte er ein neues Hobby: die Malerei. Bei allen Reisen nahm er fortan die Staffelei mit, ließ sich zu pittoresken Buchten chauffieren und skizzierte die Landschaft. Um neue Zellen zu aktivieren, so Churchill, muss das Gehirn beschäftigt werden.

Untätigkeit führt in die Sackgasse, plötzliches Nichtstun könne zu ganz anderen Kollateralschäden führen: zur „leisure sickness“. So nennen Mediziner Phänomene wie Erschöpfung, Schmerzen und Infektionen, die genau am ersten Urlaubstag auftreten. Der Adrenalinspiegel ist noch immer hoch, die Gedanken rasen weiter, das Immunsystem fällt aus. Die schlimmste Form der „leisure sickness“ ist die Geschichte vom erfolgreichen Manager, der die ersten Monate des Ruhestands nicht überlebt.

Man sollte die freie Zeit möglichst dazu verwenden, „weise, angenehm und gut“ zu leben, meinte Keynes. Doch sein Biograf Robert Skidelsky blieb skeptisch: „In den reichen Gesellschaften ist heute Freizeit immer noch ein Anhängsel der Arbeitszeit, kein Ersatz dafür“, schreibt er. Ferien dienten dazu, die Batterien für die nächste Arbeitsphase aufzuladen.

Wie weit entfernt ist das doch von den alten Philosophen. Schon Aristoteles schreibt in seiner „Politik“, dass wir nur arbeiten, um Muße zu haben. Doch Muße bedeutete für ihn auch die Zeit des Lernens und Lehrens. Seneca, der Erzieher von Kaiser Nero, rät in seinem Traktat „Über die Muße“, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen und „die Schriften hervorragender Männer zu studieren“.

Das klingt für heutige Verhältnisse mehr nach Extrem-Sabbatical als nach Zwei-Wochen-Break oder verlängertem Wochenende. Andere Zeiten, andere Maßstäbe: Auch Goethes „Italienische Reise“ war kein Dauerurlaub, sondern eine zweijährige Flucht aus Weimar und ein Weg zu sich selbst. Und schon in der Antike gab es Gegner der Muße, die vor zu viel Freiraum warnten und der Gefahr, die soziale Ordnung zu destabilisieren. Das Thema ist noch heute so spannend, dass sich ein Sonderforschungsbereich der Uni Freiburg damit beschäftigt.

Natürlicher Rhythmus verloren gegangen
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