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Schlechte Personalentscheidungen Vorsicht, Vorurteil!

Stereotype, Klischees, unbewusste Erwartungen: Sie beeinflussen uns alle und lassen Personaler oft schlechte Entscheidungen treffen. Zehn klassische Stolperfallen aus dem Büroalltag – und wie man sie umgehen kann.
01.06.2016 - 16:56 Uhr Kommentieren
Tattoos überall: Würde Boateng kein Fußballstar, sondern Buchhalter, würde seine Bewerbung auf Grund unbewusster Vorurteile womöglich aussortiert. Quelle: dpa
Jérôme Boateng

Tattoos überall: Würde Boateng kein Fußballstar, sondern Buchhalter, würde seine Bewerbung auf Grund unbewusster Vorurteile womöglich aussortiert.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Stereotype zu bilden ist menschlich. Sie helfen uns, andere schnell einzuschätzen und zügig zu reagieren. Nun ist der Stress im Büro nichts gegen die Aufregung jener Urzeiten, als jederzeit der Feind hinterm Baum hervorspringen konnte. Doch der Hang zum Vereinfachen ist tief in uns verankert. „92 Prozent des Denkens läuft unbewusst ab“, sagt zum Beispiel der Österreicher Manfred Wondrak. Der Gründer der Diversity-Beratung factor-D berät auch deutsche Konzerne zum Thema „Vielfalt der Belegschaft“. Auf seiner Web-Plattform anti-bias.at informiert er zudem über den Umgang mit unbewussten Vorurteilen, die Personalentscheidungen beeinflussen.

Kategorien wie „typisch Mann, typisch Frau, typisch Buchhalter“ verleiten dazu, Menschen falsch einzuschätzen und am Ende Ungeeignete zu befördern. Gerade erst haben der Dax-Konzern Thyssen-Krupp und das Meinungsforschungsinstitut Forsa in einer Umfrage, die an diesem Freitag veröffentlicht wird und die dem Handelsblatt vorliegt, ermittelt: Neun von zehn Mitarbeitern glauben, dass unbewusste Vorurteile unser aller Handeln beeinflussen. Jeder Fünfte hat sich im Berufsleben bereits aufgrund von Vorurteilen anderen gegenüber benachteiligt gefühlt.

„Unconscious bias“ ist der englische Fachbegriff für dieses Phänomen, das Personaler als größte Hürde auf dem Weg zu mehr Vielfalt in Führungsetagen ansehen. Zehn klassische Fallen – und wie sie sich umgehen lassen.

1. Die Monokultur im Vorstand

Monokulturen erleichtern dem Landwirt die Arbeit. Er kann alle Pflanzen gleich pflegen, Schädlinge mit den gleichen Giften beseitigen, qualitativ gleichwertige Produkte ernten. Aber wenn ein neuer Schädling einfliegt? Dann ist die ganze Ernte hin. Übertragen auf die typische, mit Männern gleichen Alters besetzte Führungsetage heißt das: Man ist sich sympathisch, kann sich einschätzen. Aber wenn das Geschäftsmodell wankt? Man denke an Digitalisierung oder Klimawandel, nicht umsonst prägt unsere Zeit das Akronym „VUCA“: Es steht für volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Vielschichtigkeit) und ambiguity (Zweideutigkeit). Woher kommen jetzt die neuen Ideen? Dann rächt sich die Gleichheit in in den Perspektiven und Lösungsansätzen.

Lösung: Vielfalt übertrumpft Eintönigkeit. „Eine heterogene Belegschaft ist eine hervorragende Antwort auf diese VUCA-Welt“, meint der Münchner Wirtschaftspsychologe Matthias Spörrle. Aber: „Wer nur Profit, Effizienz und den schnellen Erfolg im Sinn hat, denkt zu kurz. Es geht um den langfristigen Effekt. Wie beim Landwirt: Heterogene Systeme sind bei Veränderungen robuster als Monokulturen.“

2. Das überschätzte Selbst

Vorurteile? Klischees? Benachteiligung? „Bei uns doch nicht.“ Wer so denkt, vergeudet Potenzial. „Vor unbewussten Vorurteilen ist keiner gefeit“, sagt Jessica Gedamu, die für das Beratungs- und Forschungsinstitut EAF Berlin Trainings und Workshops zu Vorurteilen, Chancengleichheit und Diversity anbietet. Ihr passiere es ja selbst auch, erzählt sie: Etwa, als sie zu einem Vortrag in der tschechischen Botschaft geladen war, ihr die Abteilungsleitung vorgestellt wurde – und sie im ersten Moment überrascht war, als ihr eine Frau die Hand schüttelte. Die Frau mit Fachkenntnis zu Frauenförderung hatte einen Mann auf diesem Posten erwartet.
Lösung: Umfragen unter den Beschäftigten. Wer schon weiter ist und einsieht, dass unbewusste Vorurteile zu Verzerrungen führen, kann das Bewusstsein dafür durch Mitarbeiter-Workshops schärfen und Führungskräfte entsprechend schulen. „Allein über biases und ihre Folgen zu reden, hilft“, sagt Wondrak.

3. Die verzerrende Vorauswahl

Die größte Bemühung um mehr Vielfalt nutzt nichts, wenn schon bei der Bewerbung die Mappen mancher Talente aussortiert werden. Den Exoten mit Piercing disqualifiziert sein Foto, bei anderen ist es das Geschlecht. Auch wer in Deutschland „Hakan“ heißt, muss im Schnitt doppelt so viele Bewerbungen wie ein „Tim“ mit gleicher Qualifikation schreiben, um einen Ausbildungsplatz zu ergattern. „Hier läuft viel unter dem Deckmantel: ,Passt gut zu uns‘, da suchen Führungskräfte Menschen, die ihnen ähnlich sind“, sagt Wondrak. „Das sind die sogenannten cultural fit biases in unseren Köpfen und wahrscheinlich eine der größten Hürden für Diversity.“

Lösung: In den USA oder Großbritannien sind Bewerbungen ohne Fotos üblich. Auch in Deutschland haben anonymisierte Bewerbungen im Test bei Deutscher Post oder L‘Oréal gezeigt: Der Verzicht auf Namen, Alter, Geschlecht, Nationalität und Familienstand führt zu mehr Chancengleichheit. Im weiteren Bewerbungsprozess empfiehlt Wondrak dann „Reflexionsschleifen“: „Keine Entscheidung sollte nur einer Person allein obliegen, jeder Bewerber sollte mit mehreren Personen Gespräche führen.“

4. Das Klischee am Kopierer

Das Papier ist alle. Und wer füllt nach? Bei einer Kollegin würde es vielleicht keiner zur Kenntnis nehmen, denn Hilfsbereitschaft und prosoziale Aktionen werden typischerweise Frauen zugeschrieben. „Bei einem Mann aber würde es positiv auffallen, wenn er das Papier nachlädt, obwohl es nicht seine Aufgabe ist. Weil er mit dem Stereotyp bricht“, sagt Spörrle, der zu sozialen Voreingenommenheitseffekten forscht. Das Gleiche gilt fürs freiwillige Protokollführen in einer Sitzung oder die Frage, wer ein Abschiedsgeschenk für einen Kollegen besorgt.

Lösung: Transparente Wertesysteme, die solche vermeintlichen Kleinigkeiten für alle sichtbar machen. „Der Mitarbeiter des Monats darf nicht per Zuruf durch den Chef, sondern sollte per Checkliste und auf Basis von Dokumentationen gekürt werden“, sagt Spörrle, „sonst sticht nicht die aktivste Person hervor, sondern die auffälligste.“ Poster können Stereotype sichtbar machen und den Bruch damit legitimieren: Um auch Väter zu mehr Work-Life-Balance zu ermuntern, hängen zum Beispiel auf den Fluren der Deutschen Telekom Poster, auf denen ein Junge im Schlafanzug seinen Vater aus dem Meeting zerrt.

Vom Smalltalk mit Folgen und der "Opfer"-Falle
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