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Sicherheitsrisiken steigen Expats und der Lockruf der Heimat

Putsch, Terror, Viren – die Welt ist unsicherer geworden, Konzerne tun sich schwer, Mitarbeiter für Auslandseinsätze zu finden. Erhöhte Schutzvorkehrungen sollen helfen. Trotzdem wächst immer häufiger der Rückkehrwunsch.
07.08.2016 - 14:38 Uhr Kommentieren
„Mittlere Bedrohungslage für deutsche Mitarbeiter.“ Quelle: Murat Tueremis/laif
Istanbul

„Mittlere Bedrohungslage für deutsche Mitarbeiter.“

(Foto: Murat Tueremis/laif)

Düsseldorf Kaum liefen in der Nacht zum 16. Juli die ersten Meldungen von rollenden Panzern in den Straßen Istanbuls, Bombardements auf das Parlament in Ankara, von Verletzten und Toten, da sprang die Ampel auf der Bosch-Webseite von Gelb auf Orange. Die Ampel ist das Alarm-Signal für die Auslandsmitarbeiter und Geschäftsreisenden des Stuttgarter Elektronikunternehmens, die sich in den verschiedensten Regionen der Erde aufhalten. Zeitgleich ging eine E-Mail an die Türkei-Mitarbeiter raus, dass Teile des Militärs putschten.

Die Sicherheitslage für Mitarbeiter von Bosch, das in Istanbul seine Türkei-Zentrale hat, war aus Sicht des Arbeitgebers plötzlich so bedenklich, dass das Unternehmen für das Land am Bosporus die zweithöchste Risikostufe ausrief.

Darüber kommt nur noch Warnstufe Rot – für die schlimmsten Gefahrengebiete der Welt wie Afghanistan, Nigeria oder Pakistan, in denen Ausländer besonders aufwendig geschützt werden müssen, um nicht Opfer von Terror, Gewalt und Entführungen zu werden.

Ausgewählte Hotels, in denen Mitarbeiter absteigen, hinterlegte Handy-Nummern jedes Reisenden, Notfall-Kontakte von professionellen Helfern vor Ort, aktueller Blog zur Sicherheitslage, Trainings zum richtigen Verhalten in gefährlichen Situationen, Evakuierungspläne: Bosch hat für Krisen- und Katastrophenfälle ein mehrstufiges Sicherheitskonzept, „damit ein Mitarbeiter wie in der Putschnacht in der Türkei nicht auf sich allein gestellt ist“, sagt ein Unternehmenssprecher.

Und das sind nicht gerade wenig: Etwa 7.200 Mitarbeiter sind aufs Jahr betrachtet im Dauereinsatz fern der Heimat. Damit zählt Bosch zu den großen Entsendern in Deutschland ähnlich wie Daimler, Siemens oder die Metro Group. Wie viele Expats mit deutschem Pass insgesamt unterwegs sind, wird allerdings nirgendwo zentral erfasst.

Optimal für die Sicherheit jedes Einzelnen zu sorgen, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers. Doch längst nicht alle Firmen nehmen diese Pflicht wirklich ernst. „Nur wenige Unternehmen verfügen über ein integriertes Sicherheitskonzept“, sagt Andreas Radelbauer, Geschäftsführer der auf Krisenmanagement spezialisierten Unternehmensberatung Result Group.

Sicherheitstrainings gefragt

Doch das ändert sich jetzt. Denn die Welt ist unsicherer geworden: Staatsstreich in der Türkei, islamistischer Terror in weiten Teilen Afrikas, Asiens und Europas, Zika-Viren- und Entführungs-Alarm rund um die heute startenden Olympischen Spiele in Brasilien.

Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Anteil von Ländern mit mittlerem oder hohem Sicherheitsrisiko an der globalen Wirtschaftsleistung und den ausländischen Direktinvestitionen verdoppelt, errechnete das Beratungsunternehmen Control Risk. Und so beobachtet Experte Radelbauer, „dass Präventionsmaßnahmen, wie Sicherheitstrainings für Mitarbeiter, die auf Auslandseinsatz gehen, stärker nachgefragt werden. Und zwar inzwischen auch von Arbeitgebern, die sich bisher nicht darum gekümmert haben.“

Müssen sie wohl notgedrungen, denn es gibt noch einen weiteren Grund, die Sicherheitsstandards schleunigst zu erhöhen. Über den sprechen Arbeitgeber aber nur ungern: Den Konzernen geht der abenteuerlustige Nachwuchs aus. Galt die Auslandsstation jahrzehntelang als Krönung der Karriere, und als Sprungbrett für Top-Positionen, wie das aktuelle Beispiel der künftigen Daimler-Vertriebsvorständin Britta Seeger zeigt, die sowohl in Südkorea als auch zuletzt in der Türkei gearbeitet hat, so hat das internationale Gastspiel für viele heute kaum noch Glamour.

„In München ist es schön, da wollen die Leute nicht weg. Schon gar nicht nach Jakarta oder Ho-Chi-Minh-Stadt, wo es gefährlich sein soll.“ Quelle: Reuters
Oliver Bäte, Allianz-Chef

„In München ist es schön, da wollen die Leute nicht weg. Schon gar nicht nach Jakarta oder Ho-Chi-Minh-Stadt, wo es gefährlich sein soll.“

(Foto: Reuters)

Allianz-Chef Oliver Bäte beklagt die Zurückhaltung als einer der wenigen Dax-Chefs öffentlich. „Leider sind manche Menschen in großen Unternehmen nicht mehr bereit, Abstriche zu machen. In München ist es schön, da wollen die Leute nicht weg. Schon gar nicht nach Bangkok oder Jakarta oder Ho-Chi-Minh-Stadt, wo es gefährlich sein soll. Diese Denke hat nichts speziell mit der Allianz zu tun, das ist Teil unserer deutschen Kultur in Großkonzernen“, sagte Bäte in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Doch es müssen gar nicht die extrem exotischen Ziele sein, an denen das Unbekannte und Unsichere abschreckt. Auch das belegt das Beispiel Türkei auf dramatische Weise: Eben noch eine aufstrebende Wirtschaft, die mit ihrem südlich-entspannten Lebensstil gerade Deutsche anlockte, lassen nun „der gescheiterte Putschversuch und die darauf folgende Säuberungsaktion der Regierung Auslandsmitarbeiter um die eigene Sicherheit und die ihrer Familie fürchten“, sagt Malte Zeeck. Zeeck ist Chef der Onlineplattform Internations.org, auf der sich fast 2,3 Millionen Menschen, die in einem Land fern der Heimat leben und arbeiten, organisiert haben.

Regelmäßig befragt er die Mitglieder „wie sicher fühlt Ihr Euch vor Ort?“ Zuletzt im Jahr 2015. Zeeck: „Die Türkei erreichte damals nur Rang 44 von 64. Sie dürfte sich inzwischen signifikant verschlechtert haben.“ Schlusslichter des Rankings sind Brasilien, Südafrika und Nigeria. Am sichersten dagegen fühlen sich die Expats in Österreich.

Zeeck verwundert das schlechte Abschneiden der Türkei nicht: „Wenn schon ein deutscher Fußball-Nationalspieler wie Mario Gomez, der sich Bodyguards und andere Schutzmaßnahmen locker leisten könnte, seinen türkischen Verein aus Sicherheitsbedenken verlassen will, wie muss sich da erst Otto-Normal-Mitarbeiter in Istanbul oder Ankara fühlen?“

Nach dem Putschversuch will er nicht mehr in der Türkei spielen. Quelle: Anadolu Agency/Getty Images
Fußballer Mario Gomez wurde mit Besiktas Istanbul türkischer Meister

Nach dem Putschversuch will er nicht mehr in der Türkei spielen.

(Foto: Anadolu Agency/Getty Images)

Man kann es nur erahnen, denn wer vorsichtig ist, äußert sich angesichts Zigtausender Namen auf „Säuberungslisten“, die Präsident Recep Tayyip Erdogan scheinbar auf Mausklick zur Verfügung hatte, dazu nicht mehr öffentlich. „Man hofft, als Expat nicht angefeindet zu werden oder gar in die Mühlen des ausländischen Systems zu geraten wie der wegen seiner kritischen Berichterstattung ausgewiesene „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim“, sagt Zeeck.

Sicherheitsexperte Radelbauer mahnt zu Besonnenheit: „Deutsche Mitarbeiter sehen sich in der Türkei einer mittleren Bedrohungslage gegenüber, die sich aber verschlechtern könnte.“ Etwa wenn, wie zu erwarten, die wirtschaftliche Leistung nachlässt und die türkische Regierung Sündenböcke dafür im Ausland benennt. Dann könnte die Volksseele überkochen und sich Wut und Frustration gegen Ausländer richten, etwa Expats. Und Manager Horst Werkmann, ein solcher Expat aus München, der seit gut vier Jahren die Entwicklungsabteilung bei Bosch-Siemens Hausgeräte in der Nähe von Istanbul leitet, weiß, wozu die große Verunsicherung führt: „Expats und auch deutsch-türkische Kollegen verlassen definitiv das Land.“

Brasilien? Nein Danke!

Erst gar nicht hin wollen manche Talente nach Brasilien. Nicht nur der ein oder andere Sportler hat seine Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro wegen des Zika-Virus-Alarms abgesagt. Das Virus soll Gehirnschäden bei Neugeborenen auslösen.

Auch für Konzernangehörige hat das Land trotz seiner Samba-Atmosphäre nur noch geringen Reiz. Denn es hat sich herumgesprochen, dass dort seit Jahren „die Sicherheitslage bedenklich ist“, weiß Internations-Chef Zeeck, der selbst einige Zeit in São Paulo gelebt hat. Schießereien, Raubüberfälle, Entführungen sind in den Metropolen an der Tagesordnung. Gerade ist die Schwiegermutter des Formel-1-Chefs Bernie Ecclestone, Aparecida Schunck, noch mal mit dem Schrecken davongekommen: Die Polizei konnte sie aus der Hand ihrer Entführer befreien, die Lösegeld erpressen wollten.

„Gerade mit Kindern ist der Rückkehrwunsch von Expats aus Brasilien nachvollziehbar.“ Quelle: Pressefoto
Malte Zeeck, Chef von Internations.org

„Gerade mit Kindern ist der Rückkehrwunsch von Expats aus Brasilien nachvollziehbar.“

(Foto: Pressefoto)

Nun kommt noch eine erhöhte Terrorgefahr hinzu. Um Einheimische, Sportler und Touristen zu schützen, „hat an Rios Strandpromenade die Polizei und Militärpräsenz stark zugenommen“, berichtet zum Beispiel Nadine Leptich.

Die Deutsche lebt seit einem Jahr in Rio. Sie wusste, worauf sie sich einlässt und hat sich an den brasilianischen Alltag mit der allgegenwärtigen Kriminalität gewöhnt. „Man hört häufiger von kleinen Überfällen gerade am Strand, aber ich persönlich fühle mich nicht unsicherer als sonst.“ Terrorgefahr sei ein Thema, genauso wie Zika, „aber zumindest unter Brasilianern sieht man das gelassen und macht sich eher über die wirtschaftliche Situation im Bundesstaat Rio de Janeiro Sorgen.“

Viele andere ausländische Manager dagegen bleiben lieber in streng bewachten und gesicherten Wohnanlagen unter sich, lassen sich zur Arbeit chauffieren und machen keine spontanen Ausflüge.

Und wenn doch, dann sind sie womöglich mit einem GPS-Empfänger ausgestattet, um ihren Aufenthaltsort verfolgen und sie im Ernstfall leichter befreien zu können. Weil das ihr Arbeitgeber zu Hause für den Aufenthalt in Hochrisiko-Gebieten so vorschreibt.

Weggegangen, Platz vergangen

Experte Radelbauer fasst die Lage am Zuckerhut so zusammen: „In Brasilien hat sich die Gefahrenlage gerade deutlich verschärft: Ein finanziell schwacher Staat sieht sich einer ohnehin schon durchgängig hohen Kriminalitätsrate in den Städten gegenüber – und muss nun auch noch die Gesundheitsbedrohung durch das Zika-Virus bekämpfen.“

Kriminalität, Krisen, Katastrophen. „Ich glaube schon, dass jemand aufgrund gesundheitlicher Belastung oder unüberschaubarer Sicherheitsbedenken wie in Brasilien oder der Türkei seinen Arbeitgeber bitten könnte, ihn und seine Familie nach Deutschland zurückzuholen. Gerade mit Kindern ist dieser Wunsch absolut nachvollziehbar“, sagt Internations-Gründer Zeeck.

Tatsächlich herrscht seit einiger Zeit schon ein starker Rückkehrwunsch unter Auslandsmanagern und ihren Familien — etwa aus Krisenregionen wie Ägypten. Aber auch aus Wachstumsmärkten wie China, Indien oder Russland will so mancher der Expats, trotz Gehaltszulagen und Extras wie Personal, wieder weg. Zu groß sind die kulturellen Unterschiede, zu ungünstig der Alltag für die Familie. Nun also lösen aktuelle Ereignisse wie der Ausnahmezustand in der Türkei oder das Zika-Virus, das offenbar auch schon in Florida um sich greift, eine weitere Welle aus.

Allerdings treffen die Heimkehrenden in Deutschland oftmals auf Arbeitgeber, die fusionieren, Hierarchien abbauen oder Sparten schließen. „Etliche Rückkehrer erwartet deshalb statt des erwarteten Karrieresprungs das Ende des Aufstiegs im eigenen Haus“, sagt Achim Heuser. Der Jurist berät deutsche Unternehmen bei Entsendungen. Und nicht nur das, häufig muss der Expat miterleben, wie die Daheimgebliebenen längst an ihm vorbeigezogen sind. Ein weiterer gravierender Punkt, warum das einst so sichere Erfolgsmodell „Karriere-Station Ausland“ so viel an Attraktivität verloren hat.

So gut all diese Vorbehalte aus Sicht des einzelnen Beschäftigten nachvollziehbar sind, so negativ sind diese Entwicklungen für die deutschen Unternehmen, deren Führungsriege in spe sich die Chance auf wichtige Erfahrungen entgehen lässt. Aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist diese neue Heimatbezogenheit der traditionellen Exportnation besorgniserregend. Mit der Devise „Wir bleiben zu Hause, wo es am am schönsten ist“, lassen sich kaum neue Märkte erschließen oder Kunden gewinnen.

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